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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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ein, und trägt somit wahrscheinlich dazu bei, daß es so leicht
ist. Man könnte sagen, dieser Luftbehälter diene ihm viel-
mehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Versuche,
die Provenzal und ich angestellt, beweisen, daß dieses Organ
selbst bei den Arten, die damit versehen sind, zu der Bewegung
an die Wasserfläche herauf nicht durchaus notwendig ist. Bei
einem jungen 13 cm langen Exocötus bot jede der Brust-
flossen, die als Flügel dienen, der Luft bereits eine Oberfläche
von 26 qcm dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nerven-
stränge, die zu den zwölf Strahlen dieser Flossen verlaufen,
fast dreimal dicker sind als die Nerven der Bauchflossen. Wenn
man die ersteren Nerven galvanisch reizt, so gehen die Strahlen,
welche die Haut der Brustflossen tragen, fünfmal kräftiger
auseinander, als die der anderen Flossen, wenn man sie mit
denselben Metallen galvanisiert. Der Fisch kann sich aber auch
6,5 m weit wagerecht fortschnellen, ehe er mit der Spitze seiner
Flossen die Meeresfläche wieder berührt. Man hat diese Be-
wegung und die eines flachen Steines, der auffallend und
wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die Wellen hüpft,
ganz richtig zusammengestellt. So ausnehmend rasch die
Bewegung ist, kann man doch deutlich sehen, daß das Tier
während des Sprunges die Luft schlägt, das heißt, daß es
die Brustflossen abwechselnd ausbreitet und einzieht. Dieselbe
Bewegung beobachtet man am fliegenden Seeskorpion auf den
japanischen Flüssen, der gleichfalls eine große Schwimmblase
hat, während sie den meisten Seeskorpionen, die nicht fliegen,
fehlt. 1 Die Exocötus können, wie die meisten Kiementiere,
ziemlich lange und mittels derselben Organe im Wasser und
in der Luft atmen, das heißt der Luft wie dem Wasser den
darin enthaltenen Sauerstoff entziehen. Sie bringen einen
großen Teil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes
Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlassen
sie das Meer, um den gefräßigen Goldbrassen zu entgehen,
so begegnen sie in der Luft den Fregatten, Albatrossen und
anderen Vögeln, die sie im Fluge erschnappen. So werden an
den Ufern des Orinoko Rudel von Cabiais, 2 wenn sie vor
den Krokodilen aus dem Wasser flüchten, am Ufer die Beute
der Jaguare.

Ich bezweifle indessen, daß sich die fliegenden Fische allein

1 Scorpaena porcus, S. scrofa, S. dactyloptera, Delaroche.
2 Cavia Capybara L.

ein, und trägt ſomit wahrſcheinlich dazu bei, daß es ſo leicht
iſt. Man könnte ſagen, dieſer Luftbehälter diene ihm viel-
mehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Verſuche,
die Provenzal und ich angeſtellt, beweiſen, daß dieſes Organ
ſelbſt bei den Arten, die damit verſehen ſind, zu der Bewegung
an die Waſſerfläche herauf nicht durchaus notwendig iſt. Bei
einem jungen 13 cm langen Exocötus bot jede der Bruſt-
floſſen, die als Flügel dienen, der Luft bereits eine Oberfläche
von 26 qcm dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nerven-
ſtränge, die zu den zwölf Strahlen dieſer Floſſen verlaufen,
faſt dreimal dicker ſind als die Nerven der Bauchfloſſen. Wenn
man die erſteren Nerven galvaniſch reizt, ſo gehen die Strahlen,
welche die Haut der Bruſtfloſſen tragen, fünfmal kräftiger
auseinander, als die der anderen Floſſen, wenn man ſie mit
denſelben Metallen galvaniſiert. Der Fiſch kann ſich aber auch
6,5 m weit wagerecht fortſchnellen, ehe er mit der Spitze ſeiner
Floſſen die Meeresfläche wieder berührt. Man hat dieſe Be-
wegung und die eines flachen Steines, der auffallend und
wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die Wellen hüpft,
ganz richtig zuſammengeſtellt. So ausnehmend raſch die
Bewegung iſt, kann man doch deutlich ſehen, daß das Tier
während des Sprunges die Luft ſchlägt, das heißt, daß es
die Bruſtfloſſen abwechſelnd ausbreitet und einzieht. Dieſelbe
Bewegung beobachtet man am fliegenden Seeſkorpion auf den
japaniſchen Flüſſen, der gleichfalls eine große Schwimmblaſe
hat, während ſie den meiſten Seeſkorpionen, die nicht fliegen,
fehlt. 1 Die Exocötus können, wie die meiſten Kiementiere,
ziemlich lange und mittels derſelben Organe im Waſſer und
in der Luft atmen, das heißt der Luft wie dem Waſſer den
darin enthaltenen Sauerſtoff entziehen. Sie bringen einen
großen Teil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes
Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlaſſen
ſie das Meer, um den gefräßigen Goldbraſſen zu entgehen,
ſo begegnen ſie in der Luft den Fregatten, Albatroſſen und
anderen Vögeln, die ſie im Fluge erſchnappen. So werden an
den Ufern des Orinoko Rudel von Cabiais, 2 wenn ſie vor
den Krokodilen aus dem Waſſer flüchten, am Ufer die Beute
der Jaguare.

Ich bezweifle indeſſen, daß ſich die fliegenden Fiſche allein

1 Scorpaena porcus, S. scrofa, S. dactyloptera, Delaroche.
2 Cavia Capybara L.
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[133/0149] ein, und trägt ſomit wahrſcheinlich dazu bei, daß es ſo leicht iſt. Man könnte ſagen, dieſer Luftbehälter diene ihm viel- mehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Verſuche, die Provenzal und ich angeſtellt, beweiſen, daß dieſes Organ ſelbſt bei den Arten, die damit verſehen ſind, zu der Bewegung an die Waſſerfläche herauf nicht durchaus notwendig iſt. Bei einem jungen 13 cm langen Exocötus bot jede der Bruſt- floſſen, die als Flügel dienen, der Luft bereits eine Oberfläche von 26 qcm dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nerven- ſtränge, die zu den zwölf Strahlen dieſer Floſſen verlaufen, faſt dreimal dicker ſind als die Nerven der Bauchfloſſen. Wenn man die erſteren Nerven galvaniſch reizt, ſo gehen die Strahlen, welche die Haut der Bruſtfloſſen tragen, fünfmal kräftiger auseinander, als die der anderen Floſſen, wenn man ſie mit denſelben Metallen galvaniſiert. Der Fiſch kann ſich aber auch 6,5 m weit wagerecht fortſchnellen, ehe er mit der Spitze ſeiner Floſſen die Meeresfläche wieder berührt. Man hat dieſe Be- wegung und die eines flachen Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die Wellen hüpft, ganz richtig zuſammengeſtellt. So ausnehmend raſch die Bewegung iſt, kann man doch deutlich ſehen, daß das Tier während des Sprunges die Luft ſchlägt, das heißt, daß es die Bruſtfloſſen abwechſelnd ausbreitet und einzieht. Dieſelbe Bewegung beobachtet man am fliegenden Seeſkorpion auf den japaniſchen Flüſſen, der gleichfalls eine große Schwimmblaſe hat, während ſie den meiſten Seeſkorpionen, die nicht fliegen, fehlt. 1 Die Exocötus können, wie die meiſten Kiementiere, ziemlich lange und mittels derſelben Organe im Waſſer und in der Luft atmen, das heißt der Luft wie dem Waſſer den darin enthaltenen Sauerſtoff entziehen. Sie bringen einen großen Teil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlaſſen ſie das Meer, um den gefräßigen Goldbraſſen zu entgehen, ſo begegnen ſie in der Luft den Fregatten, Albatroſſen und anderen Vögeln, die ſie im Fluge erſchnappen. So werden an den Ufern des Orinoko Rudel von Cabiais, 2 wenn ſie vor den Krokodilen aus dem Waſſer flüchten, am Ufer die Beute der Jaguare. Ich bezweifle indeſſen, daß ſich die fliegenden Fiſche allein 1 Scorpaena porcus, S. scrofa, S. dactyloptera, Delaroche. 2 Cavia Capybara L.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/149>, abgerufen am 24.11.2024.