daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb. Durch den Zug des Wassers, das aus der Boca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entsteht eine Gegenströmung. Man warf das Senkblei aus und fand 66 bis 140 m Tiefe über einem Grunde von grünlichem, sehr feinem Thon. Nach Dampiers Grundsätzen hätten wir in der Nähe einer von sehr hohen, steil aufsteigenden Gebirgen ge- bildeten Küste keine so geringe Meerestiefe erwartet. Wir loteten fort bis zum Cabo de tres puntas und fanden überall erhöhten Meeresgrund, dessen Umriß das Streichen der ehemaligen Meeresküste zu bezeichnen scheint. Die Tem- peratur des Meeres war hier 23 bis 24°, somit 1,5 bis 2° niedriger als auf hoher See, das heißt jenseits der Ränder der Bank.
Das Cabo de tres puntas, von Kolumbus selbst so be- nannt, 1 liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4' 5" der Länge. Es erschien uns um so höher, da seine gezackten Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Ansehen der Berge von Paria, ihre Farbe und besonders ihre meist runden Umrisse ließen uns vermuten, daß die Küste aus Granit be- stehe; die Folge zeigte aber, wie sehr man sich, selbst wenn man sein Leben lang in Gebirgen gereist ist, irren kann, wenn man über die Beschaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urteilt.
Wir benutzten eine Windstille, die ein paar Stunden an- hielt, um die Intensität der magnetischen Kraft beim Cabo de tres puntas genau zu bestimmen. Wir fanden sie größer als auf hoher See ostwärts von Tabago, im Verhältnis von 257 zu 229. Während der Windstille trieb uns die Strö- mung rasch nach West. Ihre Geschwindigkeit betrug 13,5 km in der Stunde; sie nahm zu, je näher wir dem Meridian der Testigos kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der weiten See aufsteigen. Als der Mond unterging, bedeckte sich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder stärker und es stürzte ein Platzregen nieder, wie sie dem heißen Erd- strich eigen sind und wir auf unseren Zügen im Binnenlande sie so oft durchgemacht haben.
Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete sich rasch aus, seit wir uns nahe an der Küste von Terra Firma befanden; der Thermometer stand bei Nacht regelmäßig
1 Im August 1598.
daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb. Durch den Zug des Waſſers, das aus der Boca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entſteht eine Gegenſtrömung. Man warf das Senkblei aus und fand 66 bis 140 m Tiefe über einem Grunde von grünlichem, ſehr feinem Thon. Nach Dampiers Grundſätzen hätten wir in der Nähe einer von ſehr hohen, ſteil aufſteigenden Gebirgen ge- bildeten Küſte keine ſo geringe Meerestiefe erwartet. Wir loteten fort bis zum Cabo de tres puntas und fanden überall erhöhten Meeresgrund, deſſen Umriß das Streichen der ehemaligen Meeresküſte zu bezeichnen ſcheint. Die Tem- peratur des Meeres war hier 23 bis 24°, ſomit 1,5 bis 2° niedriger als auf hoher See, das heißt jenſeits der Ränder der Bank.
Das Cabo de tres puntas, von Kolumbus ſelbſt ſo be- nannt, 1 liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4′ 5″ der Länge. Es erſchien uns um ſo höher, da ſeine gezackten Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Anſehen der Berge von Paria, ihre Farbe und beſonders ihre meiſt runden Umriſſe ließen uns vermuten, daß die Küſte aus Granit be- ſtehe; die Folge zeigte aber, wie ſehr man ſich, ſelbſt wenn man ſein Leben lang in Gebirgen gereiſt iſt, irren kann, wenn man über die Beſchaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urteilt.
Wir benutzten eine Windſtille, die ein paar Stunden an- hielt, um die Intenſität der magnetiſchen Kraft beim Cabo de tres puntas genau zu beſtimmen. Wir fanden ſie größer als auf hoher See oſtwärts von Tabago, im Verhältnis von 257 zu 229. Während der Windſtille trieb uns die Strö- mung raſch nach Weſt. Ihre Geſchwindigkeit betrug 13,5 km in der Stunde; ſie nahm zu, je näher wir dem Meridian der Teſtigos kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der weiten See aufſteigen. Als der Mond unterging, bedeckte ſich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder ſtärker und es ſtürzte ein Platzregen nieder, wie ſie dem heißen Erd- ſtrich eigen ſind und wir auf unſeren Zügen im Binnenlande ſie ſo oft durchgemacht haben.
Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete ſich raſch aus, ſeit wir uns nahe an der Küſte von Terra Firma befanden; der Thermometer ſtand bei Nacht regelmäßig
1 Im Auguſt 1598.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0159"n="143"/>
daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb.<lb/>
Durch den Zug des Waſſers, das aus der Boca de Dragon<lb/>
kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entſteht<lb/>
eine Gegenſtrömung. Man warf das Senkblei aus und fand<lb/>
66 bis 140 <hirendition="#aq">m</hi> Tiefe über einem Grunde von grünlichem, ſehr<lb/>
feinem Thon. Nach Dampiers Grundſätzen hätten wir in der<lb/>
Nähe einer von ſehr hohen, ſteil aufſteigenden Gebirgen ge-<lb/>
bildeten Küſte keine ſo geringe Meerestiefe erwartet. Wir<lb/>
loteten fort bis zum <hirendition="#aq">Cabo de tres puntas</hi> und fanden<lb/>
überall erhöhten Meeresgrund, deſſen Umriß das Streichen<lb/>
der ehemaligen Meeresküſte zu bezeichnen ſcheint. Die Tem-<lb/>
peratur des Meeres war hier 23 bis 24°, ſomit 1,5 bis 2°<lb/>
niedriger als auf hoher See, das heißt jenſeits der Ränder<lb/>
der Bank.</p><lb/><p>Das <hirendition="#aq">Cabo de tres puntas,</hi> von Kolumbus ſelbſt ſo be-<lb/>
nannt, <noteplace="foot"n="1">Im Auguſt 1598.</note> liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4′ 5″<lb/>
der Länge. Es erſchien uns um ſo höher, da ſeine gezackten<lb/>
Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Anſehen der<lb/>
Berge von Paria, ihre Farbe und beſonders ihre meiſt runden<lb/>
Umriſſe ließen uns vermuten, daß die Küſte aus Granit be-<lb/>ſtehe; die Folge zeigte aber, wie ſehr man ſich, ſelbſt wenn<lb/>
man ſein Leben lang in Gebirgen gereiſt iſt, irren kann, wenn<lb/>
man über die Beſchaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne<lb/>
urteilt.</p><lb/><p>Wir benutzten eine Windſtille, die ein paar Stunden an-<lb/>
hielt, um die Intenſität der magnetiſchen Kraft beim <hirendition="#aq">Cabo<lb/>
de tres puntas</hi> genau zu beſtimmen. Wir fanden ſie größer<lb/>
als auf hoher See oſtwärts von Tabago, im Verhältnis von<lb/>
257 zu 229. Während der Windſtille trieb uns die Strö-<lb/>
mung raſch nach Weſt. Ihre Geſchwindigkeit betrug 13,5 <hirendition="#aq">km</hi><lb/>
in der Stunde; ſie nahm zu, je näher wir dem Meridian der<lb/><hirendition="#g">Teſtigos</hi> kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der<lb/>
weiten See aufſteigen. Als der Mond unterging, bedeckte<lb/>ſich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder ſtärker<lb/>
und es ſtürzte ein Platzregen nieder, wie ſie dem heißen Erd-<lb/>ſtrich eigen ſind und wir auf unſeren Zügen im Binnenlande<lb/>ſie ſo oft durchgemacht haben.</p><lb/><p>Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete<lb/>ſich raſch aus, ſeit wir uns nahe an der Küſte von Terra<lb/>
Firma befanden; der Thermometer ſtand bei Nacht regelmäßig<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[143/0159]
daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb.
Durch den Zug des Waſſers, das aus der Boca de Dragon
kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entſteht
eine Gegenſtrömung. Man warf das Senkblei aus und fand
66 bis 140 m Tiefe über einem Grunde von grünlichem, ſehr
feinem Thon. Nach Dampiers Grundſätzen hätten wir in der
Nähe einer von ſehr hohen, ſteil aufſteigenden Gebirgen ge-
bildeten Küſte keine ſo geringe Meerestiefe erwartet. Wir
loteten fort bis zum Cabo de tres puntas und fanden
überall erhöhten Meeresgrund, deſſen Umriß das Streichen
der ehemaligen Meeresküſte zu bezeichnen ſcheint. Die Tem-
peratur des Meeres war hier 23 bis 24°, ſomit 1,5 bis 2°
niedriger als auf hoher See, das heißt jenſeits der Ränder
der Bank.
Das Cabo de tres puntas, von Kolumbus ſelbſt ſo be-
nannt, 1 liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4′ 5″
der Länge. Es erſchien uns um ſo höher, da ſeine gezackten
Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Anſehen der
Berge von Paria, ihre Farbe und beſonders ihre meiſt runden
Umriſſe ließen uns vermuten, daß die Küſte aus Granit be-
ſtehe; die Folge zeigte aber, wie ſehr man ſich, ſelbſt wenn
man ſein Leben lang in Gebirgen gereiſt iſt, irren kann, wenn
man über die Beſchaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne
urteilt.
Wir benutzten eine Windſtille, die ein paar Stunden an-
hielt, um die Intenſität der magnetiſchen Kraft beim Cabo
de tres puntas genau zu beſtimmen. Wir fanden ſie größer
als auf hoher See oſtwärts von Tabago, im Verhältnis von
257 zu 229. Während der Windſtille trieb uns die Strö-
mung raſch nach Weſt. Ihre Geſchwindigkeit betrug 13,5 km
in der Stunde; ſie nahm zu, je näher wir dem Meridian der
Teſtigos kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der
weiten See aufſteigen. Als der Mond unterging, bedeckte
ſich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder ſtärker
und es ſtürzte ein Platzregen nieder, wie ſie dem heißen Erd-
ſtrich eigen ſind und wir auf unſeren Zügen im Binnenlande
ſie ſo oft durchgemacht haben.
Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete
ſich raſch aus, ſeit wir uns nahe an der Küſte von Terra
Firma befanden; der Thermometer ſtand bei Nacht regelmäßig
1 Im Auguſt 1598.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/159>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.