armen Indianer! Ungeheure Vijaoblätter 1 bedeckten Bananen- büschel; der Schuppenpanzer eines Tatou, 2 die Frucht der Crescentia cujete, die den Eingeborenen als Trinkgefäße dienen, Naturkörper, die in den europäischen Kabinetten zu den gemeinsten gehören, hatten ungemeinen Reiz für uns, weil sie uns lebhaft daran mahnten, daß wir uns im heißen Erdgürtel befanden und das längstersehnte Ziel er- reicht hatten.
Der Patron einer der Piroguen erbot sich an Bord des Pizarro zu bleiben, um uns als Lotse zu dienen. Der Mann empfahl sich durch sein ganzes Wesen; er war ein scharfsinniger Beobachter und hatte sich in lebhafter Wißbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimischen Ge- wächsen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der erste Indianer, dem wir bei unserer Landung begegneten, der Mann war, dessen Bekanntschaft unseren Reisezwecken äußerst förderlich wurde. Mit Vergnügen schreibe ich in dieser Er- zählung den Namen Carlos del Pino nieder, so hieß der Mann, der uns 16 Monate lang auf unseren Zügen längs der Küsten und im inneren Lande begleitet hat.
Gegen Abend ließ der Kapitän der Korvette den Anker lichten. Bevor wir die Untiefe oder den Placer bei Coche verließen, bestimmte ich die Länge des östlichen Vorgebirges der Insel und fand sie 66° 11' 53". Westwärts steuernd hatten wir bald die kleine Insel Cubagua vor uns, die jetzt ganz öde ist, früher aber durch Perlenfischerei berühmt war. Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Kolumbus' und Ojedas Reisen eine Stadt unter dem Namen Neucadiz gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden ist. Zu An- fang des 16. Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und Toledo, wie auf den großen Messen in Augs- burg und Brügge bekannt. Da Neucadiz kein Wasser hatte, so mußte man es an der benachbarten Küste aus dem Man- zanaresflusse holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum, beschuldigte, daß es Augenentzündungen verursache. Die Schriftsteller jener Zeit sprechen alle vom Reichtum der ersten Ansiedler und vom Luxus, den sie getrieben; jetzt erheben sich Dünen von Flugsand auf der unbewohnten Küste und der Name Cubagua ist auf unseren Karten kaum verzeichnet.
1Heliconia bihai.
2 Armadill, Dasypus, Cachicamo.
armen Indianer! Ungeheure Vijaoblätter 1 bedeckten Bananen- büſchel; der Schuppenpanzer eines Tatou, 2 die Frucht der Crescentia cujete, die den Eingeborenen als Trinkgefäße dienen, Naturkörper, die in den europäiſchen Kabinetten zu den gemeinſten gehören, hatten ungemeinen Reiz für uns, weil ſie uns lebhaft daran mahnten, daß wir uns im heißen Erdgürtel befanden und das längſterſehnte Ziel er- reicht hatten.
Der Patron einer der Piroguen erbot ſich an Bord des Pizarro zu bleiben, um uns als Lotſe zu dienen. Der Mann empfahl ſich durch ſein ganzes Weſen; er war ein ſcharfſinniger Beobachter und hatte ſich in lebhafter Wißbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimiſchen Ge- wächſen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der erſte Indianer, dem wir bei unſerer Landung begegneten, der Mann war, deſſen Bekanntſchaft unſeren Reiſezwecken äußerſt förderlich wurde. Mit Vergnügen ſchreibe ich in dieſer Er- zählung den Namen Carlos del Pino nieder, ſo hieß der Mann, der uns 16 Monate lang auf unſeren Zügen längs der Küſten und im inneren Lande begleitet hat.
Gegen Abend ließ der Kapitän der Korvette den Anker lichten. Bevor wir die Untiefe oder den Placer bei Coche verließen, beſtimmte ich die Länge des öſtlichen Vorgebirges der Inſel und fand ſie 66° 11′ 53″. Weſtwärts ſteuernd hatten wir bald die kleine Inſel Cubagua vor uns, die jetzt ganz öde iſt, früher aber durch Perlenfiſcherei berühmt war. Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Kolumbus’ und Ojedas Reiſen eine Stadt unter dem Namen Neucadiz gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden iſt. Zu An- fang des 16. Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und Toledo, wie auf den großen Meſſen in Augs- burg und Brügge bekannt. Da Neucadiz kein Waſſer hatte, ſo mußte man es an der benachbarten Küſte aus dem Man- zanaresfluſſe holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum, beſchuldigte, daß es Augenentzündungen verurſache. Die Schriftſteller jener Zeit ſprechen alle vom Reichtum der erſten Anſiedler und vom Luxus, den ſie getrieben; jetzt erheben ſich Dünen von Flugſand auf der unbewohnten Küſte und der Name Cubagua iſt auf unſeren Karten kaum verzeichnet.
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2 Armadill, Dasypus, Cachicamo.
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Crescentia cujete, die den Eingeborenen als Trinkgefäße
dienen, Naturkörper, die in den europäiſchen Kabinetten
zu den gemeinſten gehören, hatten ungemeinen Reiz für
uns, weil ſie uns lebhaft daran mahnten, daß wir uns im
heißen Erdgürtel befanden und das längſterſehnte Ziel er-
reicht hatten.
Der Patron einer der Piroguen erbot ſich an Bord
des Pizarro zu bleiben, um uns als Lotſe zu dienen. Der
Mann empfahl ſich durch ſein ganzes Weſen; er war ein
ſcharfſinniger Beobachter und hatte ſich in lebhafter Wißbegier
mit den Meeresprodukten wie mit den einheimiſchen Ge-
wächſen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der
erſte Indianer, dem wir bei unſerer Landung begegneten, der
Mann war, deſſen Bekanntſchaft unſeren Reiſezwecken äußerſt
förderlich wurde. Mit Vergnügen ſchreibe ich in dieſer Er-
zählung den Namen Carlos del Pino nieder, ſo hieß der
Mann, der uns 16 Monate lang auf unſeren Zügen längs
der Küſten und im inneren Lande begleitet hat.
Gegen Abend ließ der Kapitän der Korvette den Anker
lichten. Bevor wir die Untiefe oder den Placer bei Coche
verließen, beſtimmte ich die Länge des öſtlichen Vorgebirges
der Inſel und fand ſie 66° 11′ 53″. Weſtwärts ſteuernd
hatten wir bald die kleine Inſel Cubagua vor uns, die jetzt
ganz öde iſt, früher aber durch Perlenfiſcherei berühmt war.
Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Kolumbus’ und
Ojedas Reiſen eine Stadt unter dem Namen Neucadiz
gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden iſt. Zu An-
fang des 16. Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua
in Sevilla und Toledo, wie auf den großen Meſſen in Augs-
burg und Brügge bekannt. Da Neucadiz kein Waſſer hatte,
ſo mußte man es an der benachbarten Küſte aus dem Man-
zanaresfluſſe holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum,
beſchuldigte, daß es Augenentzündungen verurſache. Die
Schriftſteller jener Zeit ſprechen alle vom Reichtum der erſten
Anſiedler und vom Luxus, den ſie getrieben; jetzt erheben
ſich Dünen von Flugſand auf der unbewohnten Küſte und
der Name Cubagua iſt auf unſeren Karten kaum verzeichnet.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/167>, abgerufen am 16.02.2025.
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