hören, Gastfreundschaft sei leicht zu üben in einem herrlichen Klima, wo es Nahrungsmittel im Ueberfluß gibt, wo die einheimischen Gewächse wirksame Heilmittel liefern, und der Kranke in seiner Hängematte unter einem Schuppen das nötige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlast, welche die Ankunft eines Fremden, dessen Gemütsart man nicht kennt, einer Familie verursacht, für nichts rechnen? und die Beweise gefühlvoller Teilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die während einer langen, schweren Wiedergenesung nimmer ermüdet, soll man von dem allen absehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, daß, vielleicht mit Ausnahme einiger sehr volkreichen Städte, seit den ersten Niederlassungen spanischer Ansiedler in der Neuen Welt die Gastfreundschaft nicht merkbar abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, daß dies allerdings anders werden muß, wenn einmal Bevölkerung und Industrie in den Kolo- nieen rascher zunehmen, und wenn sich auf der Stufe gesell- schaftlicher Entwickelung, die man als vorgeschrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die kastilianische Offenheit allmählich verliert.
Unter den Kranken, die in Cumana ans Land kamen, befand sich ein Neger, der einige Tage nach unserer Ankunft in Raserei verfiel; er starb in diesem kläglichen Zustande, obgleich sein Herr, ein fast siebzigjähriger Mann, der Europa verlassen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfes von Kalifornien, eine neue Heimat zu suchen, ihm alle er- denkliche Pflege hatte zu teil werden lassen. Ich erwähne dieses Falles, um zu zeigen, daß zuweilen Menschen, die im heißen Erdstrich geboren sind, aber in einem gemäßigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einflüssen der tropischen Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Mensch von achtzehn Jahren, sehr kräftig und auf der Küste von Guinea geboren. Durch mehrjährigen Aufenthalt auf der Hochebene von Kastilien hatte aber seine Konstitution den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heißen Zone für die Bewohner nördlicher Länder so gefährlich macht.
Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehört einer geologisch sehr interessanten Bildung an. Da mir aber seit meiner Rückkehr nach Europa einige Reisende mit der Beschreibung von Küstenstrichen, die sie nach mir besucht, zuvorgekommen sind, so beschränke ich mich hier auf Bemer- kungen, die außerhalb des Kreises ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual streicht
hören, Gaſtfreundſchaft ſei leicht zu üben in einem herrlichen Klima, wo es Nahrungsmittel im Ueberfluß gibt, wo die einheimiſchen Gewächſe wirkſame Heilmittel liefern, und der Kranke in ſeiner Hängematte unter einem Schuppen das nötige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlaſt, welche die Ankunft eines Fremden, deſſen Gemütsart man nicht kennt, einer Familie verurſacht, für nichts rechnen? und die Beweiſe gefühlvoller Teilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die während einer langen, ſchweren Wiedergeneſung nimmer ermüdet, ſoll man von dem allen abſehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, daß, vielleicht mit Ausnahme einiger ſehr volkreichen Städte, ſeit den erſten Niederlaſſungen ſpaniſcher Anſiedler in der Neuen Welt die Gaſtfreundſchaft nicht merkbar abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, daß dies allerdings anders werden muß, wenn einmal Bevölkerung und Induſtrie in den Kolo- nieen raſcher zunehmen, und wenn ſich auf der Stufe geſell- ſchaftlicher Entwickelung, die man als vorgeſchrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die kaſtilianiſche Offenheit allmählich verliert.
Unter den Kranken, die in Cumana ans Land kamen, befand ſich ein Neger, der einige Tage nach unſerer Ankunft in Raſerei verfiel; er ſtarb in dieſem kläglichen Zuſtande, obgleich ſein Herr, ein faſt ſiebzigjähriger Mann, der Europa verlaſſen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfes von Kalifornien, eine neue Heimat zu ſuchen, ihm alle er- denkliche Pflege hatte zu teil werden laſſen. Ich erwähne dieſes Falles, um zu zeigen, daß zuweilen Menſchen, die im heißen Erdſtrich geboren ſind, aber in einem gemäßigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einflüſſen der tropiſchen Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Menſch von achtzehn Jahren, ſehr kräftig und auf der Küſte von Guinea geboren. Durch mehrjährigen Aufenthalt auf der Hochebene von Kaſtilien hatte aber ſeine Konſtitution den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heißen Zone für die Bewohner nördlicher Länder ſo gefährlich macht.
Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehört einer geologiſch ſehr intereſſanten Bildung an. Da mir aber ſeit meiner Rückkehr nach Europa einige Reiſende mit der Beſchreibung von Küſtenſtrichen, die ſie nach mir beſucht, zuvorgekommen ſind, ſo beſchränke ich mich hier auf Bemer- kungen, die außerhalb des Kreiſes ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual ſtreicht
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hören, Gaſtfreundſchaft ſei leicht zu üben in einem herrlichen
Klima, wo es Nahrungsmittel im Ueberfluß gibt, wo die
einheimiſchen Gewächſe wirkſame Heilmittel liefern, und der
Kranke in ſeiner Hängematte unter einem Schuppen das
nötige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlaſt, welche
die Ankunft eines Fremden, deſſen Gemütsart man nicht
kennt, einer Familie verurſacht, für nichts rechnen? und die
Beweiſe gefühlvoller Teilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der
Frauen, die Geduld, die während einer langen, ſchweren
Wiedergeneſung nimmer ermüdet, ſoll man von dem allen
abſehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, daß,
vielleicht mit Ausnahme einiger ſehr volkreichen Städte, ſeit
den erſten Niederlaſſungen ſpaniſcher Anſiedler in der Neuen
Welt die Gaſtfreundſchaft nicht merkbar abgenommen habe.
Der Gedanke thut wehe, daß dies allerdings anders werden
muß, wenn einmal Bevölkerung und Induſtrie in den Kolo-
nieen raſcher zunehmen, und wenn ſich auf der Stufe geſell-
ſchaftlicher Entwickelung, die man als vorgeſchrittene Kultur zu
bezeichnen pflegt, die kaſtilianiſche Offenheit allmählich verliert.
Unter den Kranken, die in Cumana ans Land kamen,
befand ſich ein Neger, der einige Tage nach unſerer Ankunft
in Raſerei verfiel; er ſtarb in dieſem kläglichen Zuſtande,
obgleich ſein Herr, ein faſt ſiebzigjähriger Mann, der Europa
verlaſſen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfes
von Kalifornien, eine neue Heimat zu ſuchen, ihm alle er-
denkliche Pflege hatte zu teil werden laſſen. Ich erwähne
dieſes Falles, um zu zeigen, daß zuweilen Menſchen, die im
heißen Erdſtrich geboren ſind, aber in einem gemäßigten
Klima gelebt haben, den verderblichen Einflüſſen der tropiſchen
Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Menſch von
achtzehn Jahren, ſehr kräftig und auf der Küſte von Guinea
geboren. Durch mehrjährigen Aufenthalt auf der Hochebene
von Kaſtilien hatte aber ſeine Konſtitution den Grad von
Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heißen Zone für
die Bewohner nördlicher Länder ſo gefährlich macht.
Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehört
einer geologiſch ſehr intereſſanten Bildung an. Da mir aber
ſeit meiner Rückkehr nach Europa einige Reiſende mit der
Beſchreibung von Küſtenſtrichen, die ſie nach mir beſucht,
zuvorgekommen ſind, ſo beſchränke ich mich hier auf Bemer-
kungen, die außerhalb des Kreiſes ihrer Beobachtungen fallen.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/174>, abgerufen am 16.02.2025.
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