Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.eines in nördlichen Ländern herrschenden Vorurteiles hatte ich Den Einwohnern Cumanas ist die Kühlung durch den 1 Cavia capybara, Linne. 2 Vultur aura, Linne.
eines in nördlichen Ländern herrſchenden Vorurteiles hatte ich Den Einwohnern Cumanas iſt die Kühlung durch den 1 Cavia capybara, Linné. 2 Vultur aura, Linné.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0181" n="165"/> eines in nördlichen Ländern herrſchenden Vorurteiles hatte ich<lb/> geglaubt, in der heißen Zone geben die Kühe keine ſehr fette<lb/> Milch; aber der Aufenthalt in Cumana, beſonders aber die<lb/> Reiſe über die weiten mit Gräſern und krautartigen Mimoſen<lb/> bewachſenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt, daß<lb/> ſich die Wiederkäuer Europas vollkommen an das heißeſte<lb/> Klima gewöhnen, wenn ſie nur Waſſer und gutes Futter<lb/> finden. Die Milchwirtſchaft iſt in den Provinzen Neuanda-<lb/> luſien, Barcelona und Venezuela ausgezeichnet, und häufig iſt<lb/> die Butter auf den Ebenen der heißen Zone beſſer als auf<lb/> dem Rücken der Anden, wo für die Alppflanzen die Tem-<lb/> peratur in keiner Jahreszeit hoch genug iſt und ſie daher<lb/> weniger aromatiſch ſind als auf den Pyrenäen, auf den Bergen<lb/> Eſtremaduras und Griechenlands.</p><lb/> <p>Den Einwohnern Cumanas iſt die Kühlung durch den<lb/> Seewind lieber als der Blick ins Grüne, und ſo kennen ſie<lb/> faſt keinen anderen Spaziergang als den großen Strand. Die<lb/> Kaſtilianer, denen man nachſagt, ſie ſeien im allgemeinen keine<lb/> Freunde von Bäumen und Vogelſang, haben ihre Sitten und<lb/> ihre Vorurteile in die Kolonieen mitgenommen. In Terra<lb/> Firma, Mexiko und Peru ſieht man ſelten einen Eingeborenen<lb/> einen Baum pflanzen allein in der Abſicht, ſich Schatten zu<lb/> ſchaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der großen Haupt-<lb/> ſtädte weiß man in dieſen Ländern ſo gut wie nichts von<lb/> Alleen. Die dürre Ebene von Cumana zeigt nach ſtarken<lb/> Regengüſſen eine merkwürdige Erſcheinung. Der durchnäßte,<lb/> von den Sonnenſtrahlen erhitzte Boden verbreitet jenen Biſam-<lb/> geruch, der in der heißen Zone Tieren der verſchiedenſten<lb/> Klaſſen gemein iſt, dem Jaguar, den kleinen Arten von Tiger-<lb/> katzen, dem Cabia<hi rendition="#aq">ï</hi>, <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Cavia capybara, Linné.</hi></note> dem Galinazogeier, <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Vultur aura, Linné.</hi></note> dem Krokodil, den<lb/> Vipern und Klapperſchlangen. Die Gaſe, die das Vehikel<lb/> dieſes Aroms ſind, ſcheinen ſich nur in dem Maße zu ent-<lb/> wickeln, als der Boden, der die Reſte zahlloſer Reptilien,<lb/> Würmer und Inſekten enthält, ſich mit Waſſer ſchwängert.<lb/> Ich habe indianiſche Kinder vom Stamme der Chaymas 4 <hi rendition="#aq">cm</hi><lb/> lange und 15 <hi rendition="#aq">mm</hi> breite Scolopender oder Tauſendfüße aus<lb/> dem Boden ziehen und verzehren ſehen. Wo man den Boden<lb/> aufgräbt, muß man ſtaunen über die Maſſen organiſcher<lb/> Stoffe, die wechſelnd ſich entwickeln, ſich umwandeln oder zer-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [165/0181]
eines in nördlichen Ländern herrſchenden Vorurteiles hatte ich
geglaubt, in der heißen Zone geben die Kühe keine ſehr fette
Milch; aber der Aufenthalt in Cumana, beſonders aber die
Reiſe über die weiten mit Gräſern und krautartigen Mimoſen
bewachſenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt, daß
ſich die Wiederkäuer Europas vollkommen an das heißeſte
Klima gewöhnen, wenn ſie nur Waſſer und gutes Futter
finden. Die Milchwirtſchaft iſt in den Provinzen Neuanda-
luſien, Barcelona und Venezuela ausgezeichnet, und häufig iſt
die Butter auf den Ebenen der heißen Zone beſſer als auf
dem Rücken der Anden, wo für die Alppflanzen die Tem-
peratur in keiner Jahreszeit hoch genug iſt und ſie daher
weniger aromatiſch ſind als auf den Pyrenäen, auf den Bergen
Eſtremaduras und Griechenlands.
Den Einwohnern Cumanas iſt die Kühlung durch den
Seewind lieber als der Blick ins Grüne, und ſo kennen ſie
faſt keinen anderen Spaziergang als den großen Strand. Die
Kaſtilianer, denen man nachſagt, ſie ſeien im allgemeinen keine
Freunde von Bäumen und Vogelſang, haben ihre Sitten und
ihre Vorurteile in die Kolonieen mitgenommen. In Terra
Firma, Mexiko und Peru ſieht man ſelten einen Eingeborenen
einen Baum pflanzen allein in der Abſicht, ſich Schatten zu
ſchaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der großen Haupt-
ſtädte weiß man in dieſen Ländern ſo gut wie nichts von
Alleen. Die dürre Ebene von Cumana zeigt nach ſtarken
Regengüſſen eine merkwürdige Erſcheinung. Der durchnäßte,
von den Sonnenſtrahlen erhitzte Boden verbreitet jenen Biſam-
geruch, der in der heißen Zone Tieren der verſchiedenſten
Klaſſen gemein iſt, dem Jaguar, den kleinen Arten von Tiger-
katzen, dem Cabiaï, 1 dem Galinazogeier, 2 dem Krokodil, den
Vipern und Klapperſchlangen. Die Gaſe, die das Vehikel
dieſes Aroms ſind, ſcheinen ſich nur in dem Maße zu ent-
wickeln, als der Boden, der die Reſte zahlloſer Reptilien,
Würmer und Inſekten enthält, ſich mit Waſſer ſchwängert.
Ich habe indianiſche Kinder vom Stamme der Chaymas 4 cm
lange und 15 mm breite Scolopender oder Tauſendfüße aus
dem Boden ziehen und verzehren ſehen. Wo man den Boden
aufgräbt, muß man ſtaunen über die Maſſen organiſcher
Stoffe, die wechſelnd ſich entwickeln, ſich umwandeln oder zer-
1 Cavia capybara, Linné.
2 Vultur aura, Linné.
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