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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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den Strand und stieg 30 bis 39 m hoch an. Die Einwohner
flüchteten sich auf den Cerro de San Antonio und auf den
Hügel, auf dem jetzt das kleine Kloster San Francisco steht.
Man glaubt sogar, infolge dieser häufigen Ueberschwemmungen
habe man das an den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt,
das zum Teil auf dem Abhang desselben liegt.

Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da sich
wegen der beständigen Verheerungen der Termiten oder weißen
Ameisen in den Archiven keine Urkunde befindet, die über
150 Jahre hinaufreicht, so weiß man nicht genau, wann diese
früheren Erdbeben stattgefunden haben. Man weiß nur, daß
näher unserer Zeit das Jahr 1766 für die Ansiedler das ent-
setzlichste und zugleich für die Naturgeschichte des Landes merk-
würdigste gewesen ist. Seit 15 Monaten hatte eine Trocken-
heit geherrscht, wie sie zuweilen auch auf den Inseln des
Grünen Vorgebirges beobachtet wird, als am 21. Oktober 1766
die Stadt Cumana von Grund aus zerstört wurde. Das
Gedächtnis dieses Tages wird alljährlich mit einem Gottes-
dienst und einer feierlichen Prozession begangen. In wenigen
Minuten stürzten sämtliche Häuser zusammen. An verschie-
denen Orten der Provinz that sich die Erde auf und spie
nach Schwefel riechendes Wasser aus. Diese Ausbrüche waren
besonders häufig auf einer Ebene, die sich gegen Casanay,
9 km östlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen
tierra hueca, hohler Boden, bekannt ist, weil sie überall
von warmen Quellen unterhöhlt zu sein scheint. Während der
Jahre 1766 und 1767 lagerten die Einwohner von Cumana
in den Straßen und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer
Häuser erst, als sich die Erdbeben nur noch alle Monate
wiederholten. Hier auf der Küste traten damals dieselben
Erscheinungen ein, die man auch im Königreich Quito un-
mittelbar nach der großen Katastrophe vom 4. Februar 1797
beobachtet hat. Während sich der Boden beständig wellen-
förmig bewegte, war es, als wollte sich die Luft in Wasser
auflösen. Durch ungeheure Regengüsse schwollen die Flüsse
an; das Jahr war ausnehmend fruchtbar, und die Indianer,
deren leichten Hütten die stärksten Erdstöße nichts anhaben,
feierten nach einem uralten Aberglauben durch festlichen Tanz
den Untergang der Welt und ihre bevorstehende Wiedergeburt.

Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766,
wie bei einem anderen sehr merkwürdigen im Jahre 1794,
die Stöße bloße wagerechte, wellenförmige Bewegungen; erst

den Strand und ſtieg 30 bis 39 m hoch an. Die Einwohner
flüchteten ſich auf den Cerro de San Antonio und auf den
Hügel, auf dem jetzt das kleine Kloſter San Francisco ſteht.
Man glaubt ſogar, infolge dieſer häufigen Ueberſchwemmungen
habe man das an den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt,
das zum Teil auf dem Abhang desſelben liegt.

Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da ſich
wegen der beſtändigen Verheerungen der Termiten oder weißen
Ameiſen in den Archiven keine Urkunde befindet, die über
150 Jahre hinaufreicht, ſo weiß man nicht genau, wann dieſe
früheren Erdbeben ſtattgefunden haben. Man weiß nur, daß
näher unſerer Zeit das Jahr 1766 für die Anſiedler das ent-
ſetzlichſte und zugleich für die Naturgeſchichte des Landes merk-
würdigſte geweſen iſt. Seit 15 Monaten hatte eine Trocken-
heit geherrſcht, wie ſie zuweilen auch auf den Inſeln des
Grünen Vorgebirges beobachtet wird, als am 21. Oktober 1766
die Stadt Cumana von Grund aus zerſtört wurde. Das
Gedächtnis dieſes Tages wird alljährlich mit einem Gottes-
dienſt und einer feierlichen Prozeſſion begangen. In wenigen
Minuten ſtürzten ſämtliche Häuſer zuſammen. An verſchie-
denen Orten der Provinz that ſich die Erde auf und ſpie
nach Schwefel riechendes Waſſer aus. Dieſe Ausbrüche waren
beſonders häufig auf einer Ebene, die ſich gegen Caſanay,
9 km öſtlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen
tierra hueca, hohler Boden, bekannt iſt, weil ſie überall
von warmen Quellen unterhöhlt zu ſein ſcheint. Während der
Jahre 1766 und 1767 lagerten die Einwohner von Cumana
in den Straßen und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer
Häuſer erſt, als ſich die Erdbeben nur noch alle Monate
wiederholten. Hier auf der Küſte traten damals dieſelben
Erſcheinungen ein, die man auch im Königreich Quito un-
mittelbar nach der großen Kataſtrophe vom 4. Februar 1797
beobachtet hat. Während ſich der Boden beſtändig wellen-
förmig bewegte, war es, als wollte ſich die Luft in Waſſer
auflöſen. Durch ungeheure Regengüſſe ſchwollen die Flüſſe
an; das Jahr war ausnehmend fruchtbar, und die Indianer,
deren leichten Hütten die ſtärkſten Erdſtöße nichts anhaben,
feierten nach einem uralten Aberglauben durch feſtlichen Tanz
den Untergang der Welt und ihre bevorſtehende Wiedergeburt.

Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766,
wie bei einem anderen ſehr merkwürdigen im Jahre 1794,
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[171/0187] den Strand und ſtieg 30 bis 39 m hoch an. Die Einwohner flüchteten ſich auf den Cerro de San Antonio und auf den Hügel, auf dem jetzt das kleine Kloſter San Francisco ſteht. Man glaubt ſogar, infolge dieſer häufigen Ueberſchwemmungen habe man das an den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt, das zum Teil auf dem Abhang desſelben liegt. Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da ſich wegen der beſtändigen Verheerungen der Termiten oder weißen Ameiſen in den Archiven keine Urkunde befindet, die über 150 Jahre hinaufreicht, ſo weiß man nicht genau, wann dieſe früheren Erdbeben ſtattgefunden haben. Man weiß nur, daß näher unſerer Zeit das Jahr 1766 für die Anſiedler das ent- ſetzlichſte und zugleich für die Naturgeſchichte des Landes merk- würdigſte geweſen iſt. Seit 15 Monaten hatte eine Trocken- heit geherrſcht, wie ſie zuweilen auch auf den Inſeln des Grünen Vorgebirges beobachtet wird, als am 21. Oktober 1766 die Stadt Cumana von Grund aus zerſtört wurde. Das Gedächtnis dieſes Tages wird alljährlich mit einem Gottes- dienſt und einer feierlichen Prozeſſion begangen. In wenigen Minuten ſtürzten ſämtliche Häuſer zuſammen. An verſchie- denen Orten der Provinz that ſich die Erde auf und ſpie nach Schwefel riechendes Waſſer aus. Dieſe Ausbrüche waren beſonders häufig auf einer Ebene, die ſich gegen Caſanay, 9 km öſtlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen tierra hueca, hohler Boden, bekannt iſt, weil ſie überall von warmen Quellen unterhöhlt zu ſein ſcheint. Während der Jahre 1766 und 1767 lagerten die Einwohner von Cumana in den Straßen und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer Häuſer erſt, als ſich die Erdbeben nur noch alle Monate wiederholten. Hier auf der Küſte traten damals dieſelben Erſcheinungen ein, die man auch im Königreich Quito un- mittelbar nach der großen Kataſtrophe vom 4. Februar 1797 beobachtet hat. Während ſich der Boden beſtändig wellen- förmig bewegte, war es, als wollte ſich die Luft in Waſſer auflöſen. Durch ungeheure Regengüſſe ſchwollen die Flüſſe an; das Jahr war ausnehmend fruchtbar, und die Indianer, deren leichten Hütten die ſtärkſten Erdſtöße nichts anhaben, feierten nach einem uralten Aberglauben durch feſtlichen Tanz den Untergang der Welt und ihre bevorſtehende Wiedergeburt. Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766, wie bei einem anderen ſehr merkwürdigen im Jahre 1794, die Stöße bloße wagerechte, wellenförmige Bewegungen; erſt

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/187>, abgerufen am 21.11.2024.