Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.Nachdem wir die Salinen besehen und unsere geodätischen Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schau- Nachdem wir die Salinen beſehen und unſere geodätiſchen Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schau- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0213" n="197"/> <p>Nachdem wir die Salinen beſehen und unſere geodätiſchen<lb/> Arbeiten beendigt hatten, brachen wir gegen Abend auf, um<lb/> einige Meilen weiterhin in einer indianiſchen Hütte bei den<lb/> Trümmern des Schloſſes von Araya die Nacht zuzubringen.<lb/> Unſere Inſtrumente und unſeren Mundvorrat ſchickten wir<lb/> voraus; denn wenn wir von der großen Hitze und der Re-<lb/> verberation des Bodens erſchöpft waren, ſpürten wir in dieſen<lb/> Ländern nur abends und in der Morgenkühle Eßluſt. Wir<lb/> wandten uns nach Süd und gingen zuerſt über die kahle mit<lb/> Salzthon bedeckte Ebene, und dann über zwei aus Sandſtein<lb/> beſtehende Hügelketten, zwiſchen denen die Lagune liegt. Die<lb/> Nacht überraſchte uns, während wir einen ſchmalen Pfad ver-<lb/> folgten, der einerſeits vom Meer, andererſeits von ſenkrechten<lb/> Felswänden begrenzt iſt. Die Flut war im raſchen Steigen<lb/> und engte unſeren Weg mit jedem Schritt mehr ein. Am<lb/> Fuße des alten Schloſſes von Araya angelangt, lag ein Natur-<lb/> bild mit einem melancholiſchen, romantiſchen Anſtrich vor uns,<lb/> und doch wurde weder durch die Kühle eines finſteren Forſtes,<lb/> noch durch die Großartigkeit der Pflanzengeſtalten die Schön-<lb/> heit der Trümmer gehoben. Sie liegen auf einem kahlen,<lb/> dürren Berge, mit Agaven, Säulenkaktus und Mimoſen be-<lb/> wachſen, und gleichen nicht ſowohl einem Werke von Menſchen-<lb/> hand, als vielmehr Felsmaſſen, die in den älteſten Umwälzun-<lb/> gen des Erdballes zertrümmert worden.</p><lb/> <p>Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schau-<lb/> ſpieles zu genießen und den Untergang der Venus zu beob-<lb/> achten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwiſchen dem Gemäuer<lb/> des Schloſſes erſchien; aber der Mulatte, der uns als Führer<lb/> diente, wollte verdurſten und drang lebhaft in uns, umzu-<lb/> kehren. Er hatte längſt gemerkt, daß wir uns verirrt hatten,<lb/> und da er hoffte, durch die Furcht auf uns zu wirken, ſprach<lb/> er beſtändig von Tigern und Klapperſchlangen. Giftige Rep-<lb/> tilien ſind allerdings beim Schloſſe Araya ſehr häufig, und<lb/> erſt vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez<lb/> zwei Jaguare erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen<lb/> waren ſie nicht viel kleiner als die oſtindiſchen Tiger. Ver-<lb/> geblich führten wir unſerem Führer zu Gemüt, daß dieſe<lb/> Tiere an einer Küſte, wo die Ziegen ihnen reichliche Nahrung<lb/> bieten, keinen Menſchen anfallen; wir mußten nachgeben und<lb/> hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei<lb/> Viertelſtunden über einen von der ſteigenden Flut bedeckten<lb/> Strand gegangen, ſtieß der Neger zu uns, der unſeren Mund-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0213]
Nachdem wir die Salinen beſehen und unſere geodätiſchen
Arbeiten beendigt hatten, brachen wir gegen Abend auf, um
einige Meilen weiterhin in einer indianiſchen Hütte bei den
Trümmern des Schloſſes von Araya die Nacht zuzubringen.
Unſere Inſtrumente und unſeren Mundvorrat ſchickten wir
voraus; denn wenn wir von der großen Hitze und der Re-
verberation des Bodens erſchöpft waren, ſpürten wir in dieſen
Ländern nur abends und in der Morgenkühle Eßluſt. Wir
wandten uns nach Süd und gingen zuerſt über die kahle mit
Salzthon bedeckte Ebene, und dann über zwei aus Sandſtein
beſtehende Hügelketten, zwiſchen denen die Lagune liegt. Die
Nacht überraſchte uns, während wir einen ſchmalen Pfad ver-
folgten, der einerſeits vom Meer, andererſeits von ſenkrechten
Felswänden begrenzt iſt. Die Flut war im raſchen Steigen
und engte unſeren Weg mit jedem Schritt mehr ein. Am
Fuße des alten Schloſſes von Araya angelangt, lag ein Natur-
bild mit einem melancholiſchen, romantiſchen Anſtrich vor uns,
und doch wurde weder durch die Kühle eines finſteren Forſtes,
noch durch die Großartigkeit der Pflanzengeſtalten die Schön-
heit der Trümmer gehoben. Sie liegen auf einem kahlen,
dürren Berge, mit Agaven, Säulenkaktus und Mimoſen be-
wachſen, und gleichen nicht ſowohl einem Werke von Menſchen-
hand, als vielmehr Felsmaſſen, die in den älteſten Umwälzun-
gen des Erdballes zertrümmert worden.
Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schau-
ſpieles zu genießen und den Untergang der Venus zu beob-
achten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwiſchen dem Gemäuer
des Schloſſes erſchien; aber der Mulatte, der uns als Führer
diente, wollte verdurſten und drang lebhaft in uns, umzu-
kehren. Er hatte längſt gemerkt, daß wir uns verirrt hatten,
und da er hoffte, durch die Furcht auf uns zu wirken, ſprach
er beſtändig von Tigern und Klapperſchlangen. Giftige Rep-
tilien ſind allerdings beim Schloſſe Araya ſehr häufig, und
erſt vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez
zwei Jaguare erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen
waren ſie nicht viel kleiner als die oſtindiſchen Tiger. Ver-
geblich führten wir unſerem Führer zu Gemüt, daß dieſe
Tiere an einer Küſte, wo die Ziegen ihnen reichliche Nahrung
bieten, keinen Menſchen anfallen; wir mußten nachgeben und
hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei
Viertelſtunden über einen von der ſteigenden Flut bedeckten
Strand gegangen, ſtieß der Neger zu uns, der unſeren Mund-
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