Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

sahen wir zum erstenmal jene Nester in Gestalt von Flaschen
oder kleinen Taschen, die an den Aesten der niedrigsten Bäume
aufgehängt sind. Es sind Werke des bewundernswürdigen
Bautriebes der Drosseln, deren Gesang sich mit dem heiseren
Geschrei der Papageien und Aras mischte. Die letzteren, die
wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt
sind, flogen nur paarweise, während die eigentlichen Papageien
in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen.
Man muß in diesen Ländern, besonders in den heißen Thälern
der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß
zuweilen das Geschrei dieser Vögel das Brausen der Berg-
ströme, die von Fels zu Fels stürzen, übertönt.

Gute 5 km vor dem Dorfe San Fernando kamen wir
aus dem Walde heraus. Ein schmaler Fußpfad führt auf
mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes
Land. Unter dem gemäßigten Himmelsstrich hätten unter
solchen Umständen Gräser und Riedgräser einen weiten Wiesen-
teppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Wasserpflanzen
mit pfeilförmigen Blättern, besonders von Cannaarten, unter
denen wir die prachtvollen Blüten der Costus, der Thalien
und Helikonien erkannten. Diese saftigen Gewächse werden
21/2 bis 31/2 m hoch, und wo sie dicht beisammen stehen,
könnten sie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herr-
liche Bild eines Wiesengrundes und eines mit Blumen durch-
wirkten Rasens ist den niederen Landstrichen der heißen Zone
fast ganz fremd und findet sich nur auf den Hochebenen der
Anden wieder.

Bei San Fernando war die Verdunstung unter den
Strahlen der Sonne so stark, daß wir, da wir sehr leicht
gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade.
Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer
Jagua oder Guadua nennen und das über 13 m hoch wird.
Nichts kann zierlicher sein als diese baumartige Grasart. Form
und Stellung der Blätter geben ihr ein Ansehen von Leichtig-
keit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontrastiert. Der
glatte, glänzende Stamm der Jagua ist meist den Bachufern
zugeneigt und schwankt beim leisesten Luftzuge hin und her.
So hoch auch das Rohr 1 im mittäglichen Europa wächst, so
gibt es doch keinen Begriff vom Aussehen der baumartigen
Gräser, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung sprechen

1 Arundo Donax.

ſahen wir zum erſtenmal jene Neſter in Geſtalt von Flaſchen
oder kleinen Taſchen, die an den Aeſten der niedrigſten Bäume
aufgehängt ſind. Es ſind Werke des bewundernswürdigen
Bautriebes der Droſſeln, deren Geſang ſich mit dem heiſeren
Geſchrei der Papageien und Aras miſchte. Die letzteren, die
wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt
ſind, flogen nur paarweiſe, während die eigentlichen Papageien
in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen.
Man muß in dieſen Ländern, beſonders in den heißen Thälern
der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß
zuweilen das Geſchrei dieſer Vögel das Brauſen der Berg-
ſtröme, die von Fels zu Fels ſtürzen, übertönt.

Gute 5 km vor dem Dorfe San Fernando kamen wir
aus dem Walde heraus. Ein ſchmaler Fußpfad führt auf
mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes
Land. Unter dem gemäßigten Himmelsſtrich hätten unter
ſolchen Umſtänden Gräſer und Riedgräſer einen weiten Wieſen-
teppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Waſſerpflanzen
mit pfeilförmigen Blättern, beſonders von Cannaarten, unter
denen wir die prachtvollen Blüten der Coſtus, der Thalien
und Helikonien erkannten. Dieſe ſaftigen Gewächſe werden
2½ bis 3½ m hoch, und wo ſie dicht beiſammen ſtehen,
könnten ſie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herr-
liche Bild eines Wieſengrundes und eines mit Blumen durch-
wirkten Raſens iſt den niederen Landſtrichen der heißen Zone
faſt ganz fremd und findet ſich nur auf den Hochebenen der
Anden wieder.

Bei San Fernando war die Verdunſtung unter den
Strahlen der Sonne ſo ſtark, daß wir, da wir ſehr leicht
gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade.
Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer
Jagua oder Guadua nennen und das über 13 m hoch wird.
Nichts kann zierlicher ſein als dieſe baumartige Grasart. Form
und Stellung der Blätter geben ihr ein Anſehen von Leichtig-
keit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontraſtiert. Der
glatte, glänzende Stamm der Jagua iſt meiſt den Bachufern
zugeneigt und ſchwankt beim leiſeſten Luftzuge hin und her.
So hoch auch das Rohr 1 im mittäglichen Europa wächſt, ſo
gibt es doch keinen Begriff vom Ausſehen der baumartigen
Gräſer, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung ſprechen

1 Arundo Donax.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="226"/>
&#x017F;ahen wir zum er&#x017F;tenmal jene Ne&#x017F;ter in Ge&#x017F;talt von Fla&#x017F;chen<lb/>
oder kleinen Ta&#x017F;chen, die an den Ae&#x017F;ten der niedrig&#x017F;ten Bäume<lb/>
aufgehängt &#x017F;ind. Es &#x017F;ind Werke des bewundernswürdigen<lb/>
Bautriebes der Dro&#x017F;&#x017F;eln, deren Ge&#x017F;ang &#x017F;ich mit dem hei&#x017F;eren<lb/>
Ge&#x017F;chrei der Papageien und Aras mi&#x017F;chte. Die letzteren, die<lb/>
wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt<lb/>
&#x017F;ind, flogen nur paarwei&#x017F;e, während die eigentlichen Papageien<lb/>
in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen.<lb/>
Man muß in die&#x017F;en Ländern, be&#x017F;onders in den heißen Thälern<lb/>
der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß<lb/>
zuweilen das Ge&#x017F;chrei die&#x017F;er Vögel das Brau&#x017F;en der Berg-<lb/>
&#x017F;tröme, die von Fels zu Fels &#x017F;türzen, übertönt.</p><lb/>
          <p>Gute 5 <hi rendition="#aq">km</hi> vor dem Dorfe San Fernando kamen wir<lb/>
aus dem Walde heraus. Ein &#x017F;chmaler Fußpfad führt auf<lb/>
mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes<lb/>
Land. Unter dem gemäßigten Himmels&#x017F;trich hätten unter<lb/>
&#x017F;olchen Um&#x017F;tänden Grä&#x017F;er und Riedgrä&#x017F;er einen weiten Wie&#x017F;en-<lb/>
teppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Wa&#x017F;&#x017F;erpflanzen<lb/>
mit pfeilförmigen Blättern, be&#x017F;onders von Cannaarten, unter<lb/>
denen wir die prachtvollen Blüten der Co&#x017F;tus, der Thalien<lb/>
und Helikonien erkannten. Die&#x017F;e &#x017F;aftigen Gewäch&#x017F;e werden<lb/>
2½ bis 3½ <hi rendition="#aq">m</hi> hoch, und wo &#x017F;ie dicht bei&#x017F;ammen &#x017F;tehen,<lb/>
könnten &#x017F;ie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herr-<lb/>
liche Bild eines Wie&#x017F;engrundes und eines mit Blumen durch-<lb/>
wirkten Ra&#x017F;ens i&#x017F;t den niederen Land&#x017F;trichen der heißen Zone<lb/>
fa&#x017F;t ganz fremd und findet &#x017F;ich nur auf den Hochebenen der<lb/>
Anden wieder.</p><lb/>
          <p>Bei San Fernando war die Verdun&#x017F;tung unter den<lb/>
Strahlen der Sonne &#x017F;o &#x017F;tark, daß wir, da wir &#x017F;ehr leicht<lb/>
gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade.<lb/>
Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer<lb/>
Jagua oder Guadua nennen und das über 13 <hi rendition="#aq">m</hi> hoch wird.<lb/>
Nichts kann zierlicher &#x017F;ein als die&#x017F;e baumartige Grasart. Form<lb/>
und Stellung der Blätter geben ihr ein An&#x017F;ehen von Leichtig-<lb/>
keit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontra&#x017F;tiert. Der<lb/>
glatte, glänzende Stamm der Jagua i&#x017F;t mei&#x017F;t den Bachufern<lb/>
zugeneigt und &#x017F;chwankt beim lei&#x017F;e&#x017F;ten Luftzuge hin und her.<lb/>
So hoch auch das Rohr <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Arundo Donax.</hi></note> im mittäglichen Europa wäch&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
gibt es doch keinen Begriff vom Aus&#x017F;ehen der baumartigen<lb/>
Grä&#x017F;er, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung &#x017F;prechen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0242] ſahen wir zum erſtenmal jene Neſter in Geſtalt von Flaſchen oder kleinen Taſchen, die an den Aeſten der niedrigſten Bäume aufgehängt ſind. Es ſind Werke des bewundernswürdigen Bautriebes der Droſſeln, deren Geſang ſich mit dem heiſeren Geſchrei der Papageien und Aras miſchte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt ſind, flogen nur paarweiſe, während die eigentlichen Papageien in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen. Man muß in dieſen Ländern, beſonders in den heißen Thälern der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß zuweilen das Geſchrei dieſer Vögel das Brauſen der Berg- ſtröme, die von Fels zu Fels ſtürzen, übertönt. Gute 5 km vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde heraus. Ein ſchmaler Fußpfad führt auf mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemäßigten Himmelsſtrich hätten unter ſolchen Umſtänden Gräſer und Riedgräſer einen weiten Wieſen- teppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Waſſerpflanzen mit pfeilförmigen Blättern, beſonders von Cannaarten, unter denen wir die prachtvollen Blüten der Coſtus, der Thalien und Helikonien erkannten. Dieſe ſaftigen Gewächſe werden 2½ bis 3½ m hoch, und wo ſie dicht beiſammen ſtehen, könnten ſie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herr- liche Bild eines Wieſengrundes und eines mit Blumen durch- wirkten Raſens iſt den niederen Landſtrichen der heißen Zone faſt ganz fremd und findet ſich nur auf den Hochebenen der Anden wieder. Bei San Fernando war die Verdunſtung unter den Strahlen der Sonne ſo ſtark, daß wir, da wir ſehr leicht gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer Jagua oder Guadua nennen und das über 13 m hoch wird. Nichts kann zierlicher ſein als dieſe baumartige Grasart. Form und Stellung der Blätter geben ihr ein Anſehen von Leichtig- keit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontraſtiert. Der glatte, glänzende Stamm der Jagua iſt meiſt den Bachufern zugeneigt und ſchwankt beim leiſeſten Luftzuge hin und her. So hoch auch das Rohr 1 im mittäglichen Europa wächſt, ſo gibt es doch keinen Begriff vom Ausſehen der baumartigen Gräſer, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung ſprechen 1 Arundo Donax.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/242
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/242>, abgerufen am 24.11.2024.