Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen, so möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzenge-
stalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Rei-
senden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn.

Die ostindischen Bambu, die Calumets des hauts 1 der
Insel Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht sogar
die riesenhaften Arundinarien an den Ufern des Mississippi,
gehören derselben Pflanzengruppe an. In Amerika sind aber
die Bambuarten nicht so häufig, als man gewöhnlich glaubt.
In den Sümpfen und auf den großen unter Wasser stehen-
den Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo
fehlen sie fast ganz, wogegen sie im Nordwesten, in Neu-
granada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte
Wälder bilden. Der westliche Abhang der Anden erscheint
als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend ist,
wir haben sie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere ge-
legenen Landstrichen, sondern auch in den hohen Thälern der
Kordilleren bis in 1680 m Meereshöhe angetroffen.

Der Weg mit dem Bambugebüsch zu beiden Seiten
führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer
schmalen, von sehr steilen Kalksteinwänden umgebenen Ebene
liegt. Es war die erste Mission; die wir in Amerika betraten. 2
Die Häuser oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer sind
weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben.
Die breiten geraden Straßen schneiden sich unter rechten Win-
keln; die sehr dünnen, unsoliden Wände bestehen aus Letten
und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernste
schweigsame Wesen der Einwohner, die ausnehmende Rein-
lichkeit in den Häusern, alles erinnert an die Gemeinden der
mährischen Brüder. Jede indianische Familie baut draußen
vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den Conuco
de la communidad.
In diesem arbeiten die Erwachsenen
beider Geschlechter morgens und abends je eine Stunde. In

1 Bambusa, oder vielmehr Nastus alpina.
2 In den spanischen Kolonieen heißt Mision oder Pueblo
de Mision
eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo
ein Missionär, der Ordensgeistlicher ist, den Gottesdienst versieht.
Die indianischen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern stehen,
heißen Pueblos de Doctrina. Man unterscheidet noch weiter
den Cura doctrinero, den Pfarrer einer indianischen Ge-
meinde, und den Cura rector, den Pfarrer eines von Weißen
oder Farbigen bewohnten Dorfes.

laſſen, ſo möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzenge-
ſtalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Rei-
ſenden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn.

Die oſtindiſchen Bambu, die Calumets des hauts 1 der
Inſel Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht ſogar
die rieſenhaften Arundinarien an den Ufern des Miſſiſſippi,
gehören derſelben Pflanzengruppe an. In Amerika ſind aber
die Bambuarten nicht ſo häufig, als man gewöhnlich glaubt.
In den Sümpfen und auf den großen unter Waſſer ſtehen-
den Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo
fehlen ſie faſt ganz, wogegen ſie im Nordweſten, in Neu-
granada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte
Wälder bilden. Der weſtliche Abhang der Anden erſcheint
als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend iſt,
wir haben ſie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere ge-
legenen Landſtrichen, ſondern auch in den hohen Thälern der
Kordilleren bis in 1680 m Meereshöhe angetroffen.

Der Weg mit dem Bambugebüſch zu beiden Seiten
führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer
ſchmalen, von ſehr ſteilen Kalkſteinwänden umgebenen Ebene
liegt. Es war die erſte Miſſion; die wir in Amerika betraten. 2
Die Häuſer oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer ſind
weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben.
Die breiten geraden Straßen ſchneiden ſich unter rechten Win-
keln; die ſehr dünnen, unſoliden Wände beſtehen aus Letten
und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernſte
ſchweigſame Weſen der Einwohner, die ausnehmende Rein-
lichkeit in den Häuſern, alles erinnert an die Gemeinden der
mähriſchen Brüder. Jede indianiſche Familie baut draußen
vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den Conuco
de la communidad.
In dieſem arbeiten die Erwachſenen
beider Geſchlechter morgens und abends je eine Stunde. In

1 Bambusa, oder vielmehr Nastus alpina.
2 In den ſpaniſchen Kolonieen heißt Mision oder Pueblo
de Mision
eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo
ein Miſſionär, der Ordensgeiſtlicher iſt, den Gottesdienſt verſieht.
Die indianiſchen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern ſtehen,
heißen Pueblos de Doctrina. Man unterſcheidet noch weiter
den Cura doctrinero, den Pfarrer einer indianiſchen Ge-
meinde, und den Cura rector, den Pfarrer eines von Weißen
oder Farbigen bewohnten Dorfes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="227"/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzenge-<lb/>
&#x017F;talten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Rei-<lb/>
&#x017F;enden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn.</p><lb/>
          <p>Die o&#x017F;tindi&#x017F;chen Bambu, die <hi rendition="#aq">Calumets des hauts</hi> <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Bambusa,</hi> oder vielmehr <hi rendition="#aq">Nastus alpina.</hi></note> der<lb/>
In&#x017F;el Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht &#x017F;ogar<lb/>
die rie&#x017F;enhaften Arundinarien an den Ufern des Mi&#x017F;&#x017F;i&#x017F;&#x017F;ippi,<lb/>
gehören der&#x017F;elben Pflanzengruppe an. In Amerika &#x017F;ind aber<lb/>
die Bambuarten nicht &#x017F;o häufig, als man gewöhnlich glaubt.<lb/>
In den Sümpfen und auf den großen unter Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;tehen-<lb/>
den Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo<lb/>
fehlen &#x017F;ie fa&#x017F;t ganz, wogegen &#x017F;ie im Nordwe&#x017F;ten, in Neu-<lb/>
granada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte<lb/>
Wälder bilden. Der we&#x017F;tliche Abhang der Anden er&#x017F;cheint<lb/>
als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend i&#x017F;t,<lb/>
wir haben &#x017F;ie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere ge-<lb/>
legenen Land&#x017F;trichen, &#x017F;ondern auch in den hohen Thälern der<lb/>
Kordilleren bis in 1680 <hi rendition="#aq">m</hi> Meereshöhe angetroffen.</p><lb/>
          <p>Der Weg mit dem Bambugebü&#x017F;ch zu beiden Seiten<lb/>
führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer<lb/>
&#x017F;chmalen, von &#x017F;ehr &#x017F;teilen Kalk&#x017F;teinwänden umgebenen Ebene<lb/>
liegt. Es war die er&#x017F;te Mi&#x017F;&#x017F;ion; die wir in Amerika betraten. <note place="foot" n="2">In den &#x017F;pani&#x017F;chen Kolonieen heißt <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Mision</hi></hi> oder <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Pueblo<lb/>
de Mision</hi></hi> eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo<lb/>
ein Mi&#x017F;&#x017F;ionär, der Ordensgei&#x017F;tlicher i&#x017F;t, den Gottesdien&#x017F;t ver&#x017F;ieht.<lb/>
Die indiani&#x017F;chen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern &#x017F;tehen,<lb/>
heißen <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Pueblos de Doctrina.</hi></hi> Man unter&#x017F;cheidet noch weiter<lb/>
den <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Cura doctrinero,</hi></hi> den Pfarrer einer indiani&#x017F;chen Ge-<lb/>
meinde, und den <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Cura rector,</hi></hi> den Pfarrer eines von Weißen<lb/>
oder Farbigen bewohnten Dorfes.</note><lb/>
Die Häu&#x017F;er oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer &#x017F;ind<lb/>
weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben.<lb/>
Die breiten geraden Straßen &#x017F;chneiden &#x017F;ich unter rechten Win-<lb/>
keln; die &#x017F;ehr dünnen, un&#x017F;oliden Wände be&#x017F;tehen aus Letten<lb/>
und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ern&#x017F;te<lb/>
&#x017F;chweig&#x017F;ame We&#x017F;en der Einwohner, die ausnehmende Rein-<lb/>
lichkeit in den Häu&#x017F;ern, alles erinnert an die Gemeinden der<lb/>
mähri&#x017F;chen Brüder. Jede indiani&#x017F;che Familie baut draußen<lb/>
vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Conuco<lb/>
de la communidad.</hi></hi> In die&#x017F;em arbeiten die Erwach&#x017F;enen<lb/>
beider Ge&#x017F;chlechter morgens und abends je eine Stunde. In<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0243] laſſen, ſo möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzenge- ſtalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Rei- ſenden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn. Die oſtindiſchen Bambu, die Calumets des hauts 1 der Inſel Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht ſogar die rieſenhaften Arundinarien an den Ufern des Miſſiſſippi, gehören derſelben Pflanzengruppe an. In Amerika ſind aber die Bambuarten nicht ſo häufig, als man gewöhnlich glaubt. In den Sümpfen und auf den großen unter Waſſer ſtehen- den Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo fehlen ſie faſt ganz, wogegen ſie im Nordweſten, in Neu- granada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte Wälder bilden. Der weſtliche Abhang der Anden erſcheint als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend iſt, wir haben ſie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere ge- legenen Landſtrichen, ſondern auch in den hohen Thälern der Kordilleren bis in 1680 m Meereshöhe angetroffen. Der Weg mit dem Bambugebüſch zu beiden Seiten führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer ſchmalen, von ſehr ſteilen Kalkſteinwänden umgebenen Ebene liegt. Es war die erſte Miſſion; die wir in Amerika betraten. 2 Die Häuſer oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer ſind weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben. Die breiten geraden Straßen ſchneiden ſich unter rechten Win- keln; die ſehr dünnen, unſoliden Wände beſtehen aus Letten und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernſte ſchweigſame Weſen der Einwohner, die ausnehmende Rein- lichkeit in den Häuſern, alles erinnert an die Gemeinden der mähriſchen Brüder. Jede indianiſche Familie baut draußen vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den Conuco de la communidad. In dieſem arbeiten die Erwachſenen beider Geſchlechter morgens und abends je eine Stunde. In 1 Bambusa, oder vielmehr Nastus alpina. 2 In den ſpaniſchen Kolonieen heißt Mision oder Pueblo de Mision eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Miſſionär, der Ordensgeiſtlicher iſt, den Gottesdienſt verſieht. Die indianiſchen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern ſtehen, heißen Pueblos de Doctrina. Man unterſcheidet noch weiter den Cura doctrinero, den Pfarrer einer indianiſchen Ge- meinde, und den Cura rector, den Pfarrer eines von Weißen oder Farbigen bewohnten Dorfes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/243
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/243>, abgerufen am 24.11.2024.