Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.hervorgebracht, war nicht mehr zu verwischen; im Kopfe der Nachdem wir fast den ganzen Tag im Freien zugebracht, Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne hervorgebracht, war nicht mehr zu verwiſchen; im Kopfe der Nachdem wir faſt den ganzen Tag im Freien zugebracht, Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0292" n="276"/> hervorgebracht, war nicht mehr zu verwiſchen; im Kopfe der<lb/> Neophyten waren die Vorſtellungen Regen und Hölle, <hi rendition="#aq">invierno</hi><lb/> und <hi rendition="#aq">infierno,</hi> nicht mehr auseinander zu bringen.</p><lb/> <p>Nachdem wir faſt den ganzen Tag im Freien zugebracht,<lb/> ſchrieben wir abends im Kloſter unſere Beobachtungen und Be-<lb/> merkungen nieder, trockneten unſere Pflanzen und zeichneten<lb/> die, welche nach unſerer Anſicht neue Gattungen bildeten.<lb/> Die Mönche ließen uns volle Freiheit und wir denken mit<lb/> Vergnügen an einen Aufenthalt zurück, der ſo angenehm als<lb/> für unſer Unternehmen förderlich war. Leider war der<lb/> bedeckte Himmel in einem Thal, wo die Wälder ungeheure<lb/> Waſſermaſſen an die Luft abgeben, aſtronomiſchen Beobach-<lb/> tungen nicht günſtig. Ich blieb nachts oft lange auf, um<lb/> den Augenblick zu benutzen, wo ſich ein Stern vor ſeinem<lb/> Durchgang durch den Meridian zwiſchen den Wolken zeigen<lb/> würde. Oft zitterte ich vor Froſt, obgleich der Thermometer<lb/> nie unter 16° fiel. Es iſt dies in unſerem Klima die Tages-<lb/> temperatur gegen Ende Septembers. Die Inſtrumente blieben<lb/> mehrere Stunden im Kloſterhofe aufgeſtellt, und faſt immer<lb/> harrte ich vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Foma-<lb/> haults und Denebs im Schwan ergaben für Caripe 10° 10′<lb/> 14″ Breite, wonach es auf der Karte von Caulin um 18′,<lb/> auf der von Arrowſmith um 14′ unrichtig eingezeichnet iſt.</p><lb/> <p>Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne<lb/> entzog, war der einzige, den wir im Thale von Caripe erlebt.<lb/> Wildheit und Friedlichkeit, Schwermut und Lieblichkeit, beides<lb/> zuſammen iſt der Charakter der Landſchaft. Inmitten einer ſo<lb/> gewaltigen Natur herrſcht in unſerem Inneren nur Friede und<lb/> Ruhe. Ja noch mehr, in der Einſamkeit dieſer Berge wundert<lb/> man ſich weniger über die neuen Eindrücke, die man bei jedem<lb/> Schritte erhält, als darüber, daß die verſchiedenſten Klimate<lb/> ſo viele Züge miteinander gemein haben. Auf den Hügeln,<lb/> an die das Kloſter ſich lehnt, ſtehen Palmen und Baumfarne;<lb/> abends, wenn der Himmel auf Regen deutet, ſchallt das ein-<lb/> tönige Geheul der roten Brüllaffen durch die Luft, das dem<lb/> fernen Brauſen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz<lb/> dieſer unbekannten Töne, dieſer fremdartigen Geſtalten der<lb/> Gewächſe, alle dieſer Wunder einer Neuen Welt, läßt doch die<lb/> Natur den Menſchen allerorten eine Stimme hören, die in<lb/> vertrauten Lauten zu ihm ſpricht. Der Raſen am Boden,<lb/> das alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln,<lb/> der Bach, der über die geneigten Kalkſteinſchichten niederſtürzt,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [276/0292]
hervorgebracht, war nicht mehr zu verwiſchen; im Kopfe der
Neophyten waren die Vorſtellungen Regen und Hölle, invierno
und infierno, nicht mehr auseinander zu bringen.
Nachdem wir faſt den ganzen Tag im Freien zugebracht,
ſchrieben wir abends im Kloſter unſere Beobachtungen und Be-
merkungen nieder, trockneten unſere Pflanzen und zeichneten
die, welche nach unſerer Anſicht neue Gattungen bildeten.
Die Mönche ließen uns volle Freiheit und wir denken mit
Vergnügen an einen Aufenthalt zurück, der ſo angenehm als
für unſer Unternehmen förderlich war. Leider war der
bedeckte Himmel in einem Thal, wo die Wälder ungeheure
Waſſermaſſen an die Luft abgeben, aſtronomiſchen Beobach-
tungen nicht günſtig. Ich blieb nachts oft lange auf, um
den Augenblick zu benutzen, wo ſich ein Stern vor ſeinem
Durchgang durch den Meridian zwiſchen den Wolken zeigen
würde. Oft zitterte ich vor Froſt, obgleich der Thermometer
nie unter 16° fiel. Es iſt dies in unſerem Klima die Tages-
temperatur gegen Ende Septembers. Die Inſtrumente blieben
mehrere Stunden im Kloſterhofe aufgeſtellt, und faſt immer
harrte ich vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Foma-
haults und Denebs im Schwan ergaben für Caripe 10° 10′
14″ Breite, wonach es auf der Karte von Caulin um 18′,
auf der von Arrowſmith um 14′ unrichtig eingezeichnet iſt.
Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne
entzog, war der einzige, den wir im Thale von Caripe erlebt.
Wildheit und Friedlichkeit, Schwermut und Lieblichkeit, beides
zuſammen iſt der Charakter der Landſchaft. Inmitten einer ſo
gewaltigen Natur herrſcht in unſerem Inneren nur Friede und
Ruhe. Ja noch mehr, in der Einſamkeit dieſer Berge wundert
man ſich weniger über die neuen Eindrücke, die man bei jedem
Schritte erhält, als darüber, daß die verſchiedenſten Klimate
ſo viele Züge miteinander gemein haben. Auf den Hügeln,
an die das Kloſter ſich lehnt, ſtehen Palmen und Baumfarne;
abends, wenn der Himmel auf Regen deutet, ſchallt das ein-
tönige Geheul der roten Brüllaffen durch die Luft, das dem
fernen Brauſen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz
dieſer unbekannten Töne, dieſer fremdartigen Geſtalten der
Gewächſe, alle dieſer Wunder einer Neuen Welt, läßt doch die
Natur den Menſchen allerorten eine Stimme hören, die in
vertrauten Lauten zu ihm ſpricht. Der Raſen am Boden,
das alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln,
der Bach, der über die geneigten Kalkſteinſchichten niederſtürzt,
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