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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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und der geographischen Lage, der geeignetste Punkt seien, um
die Naturprodukte beider Indien zu akklimatisieren, um die
Gewächse aufzunehmen, die sich allmählich an die niedrigere
Temperatur des südlichen Europas gewöhnen sollen. Asiatische,
afrikanische, südamerikanische Pflanzen gelangen leicht in den
Garten bei Orotava, und um den Chinabaum 1 in Sizilien,
Portugal oder Granada einzuführen, müßte man ihn zuerst in
Durasno oder Laguna anbauen und dann erst die Schößlinge
der kanarischen China nach Europa verpflanzen. In besseren
Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Fesseln schlägt,
kann der Garten von Tenerifa auch für die starken Pflanzen-
sendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden.
Diese Gewächse gehen häufig, ehe sie unsere Küsten erreichen,
zu Grunde, weil sie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salz-
wasser geschwängerte Luft atmen müssen. Im Garten von
Orotava fänden sie eine Pflege und ein Klima, wobei sie sich
erholen könnten. Da die Unterhaltung des botanischen Gartens
von Jahr zu Jahr kostspieliger wurde, trat der Marquis den-
selben der Regierung ab. Wir fanden daselbst einen geschickten
Gärtner, einen Schüler Aitons, des Vorstehers des königlichen
Gartens zu Kew. Der Boden steigt in Terrassen auf und
wird von einer natürlichen Quelle bewässert. Man hat die
Aussicht auf die Insel Palma, die wie ein Kastell aus dem
Meere emporsteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen
hier; man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgesteckt,
mit Namen, die aufs Geratewohl aus Linnes Systema vegeta-
bilium
genommen schienen. Diese Anordnung der Gewächse
nach den Klassen des Sexualsystems, die man leider auch in
manchen europäischen Gärten findet, ist dem Anbau sehr hin-
derlich. In Durasno wachsen Proteen, der Gujavabaum, der
Jambusenbaum, die Chirimoya aus Peru, 2 Mimosen und
Helikonien im Freien. Wir pflückten reife Samen von meh-
reren schönen Glycinearten aus Neuholland, welche der Gou-
verneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat

1 Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Königreich
Neugranada auf dem Rücken der Kordilleren, zwischen 1950 und
2925 m Meereshöhe an Orten wachsen, wo der Thermometer bei
Tag zwischen 9 und 10°, bei Nacht zwischen 3 und 4° steht. Die
orangegelbe Quinquina (Cinchona lancifolia) ist weit weniger em-
pfindlich als die rote (C. oblongifolia).
2 Annona Cherimolia, Lamarck.

und der geographiſchen Lage, der geeignetſte Punkt ſeien, um
die Naturprodukte beider Indien zu akklimatiſieren, um die
Gewächſe aufzunehmen, die ſich allmählich an die niedrigere
Temperatur des ſüdlichen Europas gewöhnen ſollen. Aſiatiſche,
afrikaniſche, ſüdamerikaniſche Pflanzen gelangen leicht in den
Garten bei Orotava, und um den Chinabaum 1 in Sizilien,
Portugal oder Granada einzuführen, müßte man ihn zuerſt in
Durasno oder Laguna anbauen und dann erſt die Schößlinge
der kanariſchen China nach Europa verpflanzen. In beſſeren
Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Feſſeln ſchlägt,
kann der Garten von Tenerifa auch für die ſtarken Pflanzen-
ſendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden.
Dieſe Gewächſe gehen häufig, ehe ſie unſere Küſten erreichen,
zu Grunde, weil ſie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salz-
waſſer geſchwängerte Luft atmen müſſen. Im Garten von
Orotava fänden ſie eine Pflege und ein Klima, wobei ſie ſich
erholen könnten. Da die Unterhaltung des botaniſchen Gartens
von Jahr zu Jahr koſtſpieliger wurde, trat der Marquis den-
ſelben der Regierung ab. Wir fanden daſelbſt einen geſchickten
Gärtner, einen Schüler Aitons, des Vorſtehers des königlichen
Gartens zu Kew. Der Boden ſteigt in Terraſſen auf und
wird von einer natürlichen Quelle bewäſſert. Man hat die
Ausſicht auf die Inſel Palma, die wie ein Kaſtell aus dem
Meere emporſteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen
hier; man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgeſteckt,
mit Namen, die aufs Geratewohl aus Linnés Systema vegeta-
bilium
genommen ſchienen. Dieſe Anordnung der Gewächſe
nach den Klaſſen des Sexualſyſtems, die man leider auch in
manchen europäiſchen Gärten findet, iſt dem Anbau ſehr hin-
derlich. In Durasno wachſen Proteen, der Gujavabaum, der
Jambuſenbaum, die Chirimoya aus Peru, 2 Mimoſen und
Helikonien im Freien. Wir pflückten reife Samen von meh-
reren ſchönen Glycinearten aus Neuholland, welche der Gou-
verneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat

1 Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Königreich
Neugranada auf dem Rücken der Kordilleren, zwiſchen 1950 und
2925 m Meereshöhe an Orten wachſen, wo der Thermometer bei
Tag zwiſchen 9 und 10°, bei Nacht zwiſchen 3 und 4° ſteht. Die
orangegelbe Quinquina (Cinchona lancifolia) iſt weit weniger em-
pfindlich als die rote (C. oblongifolia).
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[70/0086] und der geographiſchen Lage, der geeignetſte Punkt ſeien, um die Naturprodukte beider Indien zu akklimatiſieren, um die Gewächſe aufzunehmen, die ſich allmählich an die niedrigere Temperatur des ſüdlichen Europas gewöhnen ſollen. Aſiatiſche, afrikaniſche, ſüdamerikaniſche Pflanzen gelangen leicht in den Garten bei Orotava, und um den Chinabaum 1 in Sizilien, Portugal oder Granada einzuführen, müßte man ihn zuerſt in Durasno oder Laguna anbauen und dann erſt die Schößlinge der kanariſchen China nach Europa verpflanzen. In beſſeren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Feſſeln ſchlägt, kann der Garten von Tenerifa auch für die ſtarken Pflanzen- ſendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Dieſe Gewächſe gehen häufig, ehe ſie unſere Küſten erreichen, zu Grunde, weil ſie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salz- waſſer geſchwängerte Luft atmen müſſen. Im Garten von Orotava fänden ſie eine Pflege und ein Klima, wobei ſie ſich erholen könnten. Da die Unterhaltung des botaniſchen Gartens von Jahr zu Jahr koſtſpieliger wurde, trat der Marquis den- ſelben der Regierung ab. Wir fanden daſelbſt einen geſchickten Gärtner, einen Schüler Aitons, des Vorſtehers des königlichen Gartens zu Kew. Der Boden ſteigt in Terraſſen auf und wird von einer natürlichen Quelle bewäſſert. Man hat die Ausſicht auf die Inſel Palma, die wie ein Kaſtell aus dem Meere emporſteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier; man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgeſteckt, mit Namen, die aufs Geratewohl aus Linnés Systema vegeta- bilium genommen ſchienen. Dieſe Anordnung der Gewächſe nach den Klaſſen des Sexualſyſtems, die man leider auch in manchen europäiſchen Gärten findet, iſt dem Anbau ſehr hin- derlich. In Durasno wachſen Proteen, der Gujavabaum, der Jambuſenbaum, die Chirimoya aus Peru, 2 Mimoſen und Helikonien im Freien. Wir pflückten reife Samen von meh- reren ſchönen Glycinearten aus Neuholland, welche der Gou- verneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat 1 Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Königreich Neugranada auf dem Rücken der Kordilleren, zwiſchen 1950 und 2925 m Meereshöhe an Orten wachſen, wo der Thermometer bei Tag zwiſchen 9 und 10°, bei Nacht zwiſchen 3 und 4° ſteht. Die orangegelbe Quinquina (Cinchona lancifolia) iſt weit weniger em- pfindlich als die rote (C. oblongifolia). 2 Annona Cherimolia, Lamarck.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/86>, abgerufen am 24.11.2024.