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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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so regelmäßig verteilt sind wie im Königreich Venezuela.
Bevölkerung, Industrie und Geistesbildung nehmen keines-
wegs überall von der Küste dem Inneren zu ab. In Mexiko,
Peru und Quito findet man die stärkste ackerbauende Be-
völkerung, die meisten Städte, die ältesten bürgerlichen Ein-
richtungen auf den Hochebenen und in den Gebirgen des
Binnenlandes. Ja, im Königreich Buenos Ayres liegt die
Region der Weiden, der sogenannten Pampas, zwischen dem
vereinzelten Hafen von Buenos Ayres und der großen Masse
ackerbauender Indianer, welche in den Kordilleren von Charras,
La Paz und Potosi wohnen. Dieser Umstand macht, daß sich
im selben Lande die gegenseitigen Interessen der Bewohner
des Binnenlandes und der Küsten sehr verschiedenartig ge-
stalten.

Will man eine richtige Vorstellung von diesen gewaltigen
Provinzen erhalten, die seit Jahrhunderten fast wie unab-
hängige Staaten von Vizekönigen oder Generalkapitänen re-
giert wurden, so muß man mehrere Punkte zumal ins Auge
fassen. Man muß die Teile des spanischen Amerikas, die Asien
gegenüber liegen, von denen trennen, die der Atlantische Ozean
bespült; man muß, wie wir eben gethan, untersuchen, wo sich
die Hauptmasse der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der
Küsten, ob konzentriert im Inneren auf kalten und gemäßigten
Hochebenen der Kordilleren; man muß die numerischen Ver-
hältnisse zwischen den Eingeborenen und den anderen Menschen-
stämmen ermitteln, sich nach der Herkunft der europäischen
Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksstamme die
Mehrzahl der Weißen in jedem Teile der Provinzen angehört.
Die andalusischen Kanarier in Venezuela, die "Montanneses" 1
und Biscayer in Mexiko, die Katalonier in Buenos Ayres
unterscheiden sich hinsichtlich des Geschickes zum Ackerbau, zu
mechanischen Fertigkeiten, zum Handel und zu geistigen Be-
schäftigungen sehr wesentlich voneinander. Alle diese Stämme
haben in der Neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten,
der ihnen in der Alten zukommt, die rauhe oder sanfte Ge-
mütsart, die Mäßigkeit oder die ungezügelte Habgier, die
leutselige Gastlichkeit oder den Hang zum einsamen Leben.
In Ländern, deren Bevölkerung großenteils aus Indianern

1 So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von San-
tander.
A. v. Humboldt, Reise. II. 7

ſo regelmäßig verteilt ſind wie im Königreich Venezuela.
Bevölkerung, Induſtrie und Geiſtesbildung nehmen keines-
wegs überall von der Küſte dem Inneren zu ab. In Mexiko,
Peru und Quito findet man die ſtärkſte ackerbauende Be-
völkerung, die meiſten Städte, die älteſten bürgerlichen Ein-
richtungen auf den Hochebenen und in den Gebirgen des
Binnenlandes. Ja, im Königreich Buenos Ayres liegt die
Region der Weiden, der ſogenannten Pampas, zwiſchen dem
vereinzelten Hafen von Buenos Ayres und der großen Maſſe
ackerbauender Indianer, welche in den Kordilleren von Charras,
La Paz und Potoſi wohnen. Dieſer Umſtand macht, daß ſich
im ſelben Lande die gegenſeitigen Intereſſen der Bewohner
des Binnenlandes und der Küſten ſehr verſchiedenartig ge-
ſtalten.

Will man eine richtige Vorſtellung von dieſen gewaltigen
Provinzen erhalten, die ſeit Jahrhunderten faſt wie unab-
hängige Staaten von Vizekönigen oder Generalkapitänen re-
giert wurden, ſo muß man mehrere Punkte zumal ins Auge
faſſen. Man muß die Teile des ſpaniſchen Amerikas, die Aſien
gegenüber liegen, von denen trennen, die der Atlantiſche Ozean
beſpült; man muß, wie wir eben gethan, unterſuchen, wo ſich
die Hauptmaſſe der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der
Küſten, ob konzentriert im Inneren auf kalten und gemäßigten
Hochebenen der Kordilleren; man muß die numeriſchen Ver-
hältniſſe zwiſchen den Eingeborenen und den anderen Menſchen-
ſtämmen ermitteln, ſich nach der Herkunft der europäiſchen
Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksſtamme die
Mehrzahl der Weißen in jedem Teile der Provinzen angehört.
Die andaluſiſchen Kanarier in Venezuela, die „Montañeſes“ 1
und Biscayer in Mexiko, die Katalonier in Buenos Ayres
unterſcheiden ſich hinſichtlich des Geſchickes zum Ackerbau, zu
mechaniſchen Fertigkeiten, zum Handel und zu geiſtigen Be-
ſchäftigungen ſehr weſentlich voneinander. Alle dieſe Stämme
haben in der Neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten,
der ihnen in der Alten zukommt, die rauhe oder ſanfte Ge-
mütsart, die Mäßigkeit oder die ungezügelte Habgier, die
leutſelige Gaſtlichkeit oder den Hang zum einſamen Leben.
In Ländern, deren Bevölkerung großenteils aus Indianern

1 So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von San-
tander.
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[97/0105] ſo regelmäßig verteilt ſind wie im Königreich Venezuela. Bevölkerung, Induſtrie und Geiſtesbildung nehmen keines- wegs überall von der Küſte dem Inneren zu ab. In Mexiko, Peru und Quito findet man die ſtärkſte ackerbauende Be- völkerung, die meiſten Städte, die älteſten bürgerlichen Ein- richtungen auf den Hochebenen und in den Gebirgen des Binnenlandes. Ja, im Königreich Buenos Ayres liegt die Region der Weiden, der ſogenannten Pampas, zwiſchen dem vereinzelten Hafen von Buenos Ayres und der großen Maſſe ackerbauender Indianer, welche in den Kordilleren von Charras, La Paz und Potoſi wohnen. Dieſer Umſtand macht, daß ſich im ſelben Lande die gegenſeitigen Intereſſen der Bewohner des Binnenlandes und der Küſten ſehr verſchiedenartig ge- ſtalten. Will man eine richtige Vorſtellung von dieſen gewaltigen Provinzen erhalten, die ſeit Jahrhunderten faſt wie unab- hängige Staaten von Vizekönigen oder Generalkapitänen re- giert wurden, ſo muß man mehrere Punkte zumal ins Auge faſſen. Man muß die Teile des ſpaniſchen Amerikas, die Aſien gegenüber liegen, von denen trennen, die der Atlantiſche Ozean beſpült; man muß, wie wir eben gethan, unterſuchen, wo ſich die Hauptmaſſe der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der Küſten, ob konzentriert im Inneren auf kalten und gemäßigten Hochebenen der Kordilleren; man muß die numeriſchen Ver- hältniſſe zwiſchen den Eingeborenen und den anderen Menſchen- ſtämmen ermitteln, ſich nach der Herkunft der europäiſchen Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksſtamme die Mehrzahl der Weißen in jedem Teile der Provinzen angehört. Die andaluſiſchen Kanarier in Venezuela, die „Montañeſes“ 1 und Biscayer in Mexiko, die Katalonier in Buenos Ayres unterſcheiden ſich hinſichtlich des Geſchickes zum Ackerbau, zu mechaniſchen Fertigkeiten, zum Handel und zu geiſtigen Be- ſchäftigungen ſehr weſentlich voneinander. Alle dieſe Stämme haben in der Neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten, der ihnen in der Alten zukommt, die rauhe oder ſanfte Ge- mütsart, die Mäßigkeit oder die ungezügelte Habgier, die leutſelige Gaſtlichkeit oder den Hang zum einſamen Leben. In Ländern, deren Bevölkerung großenteils aus Indianern 1 So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von San- tander. A. v. Humboldt, Reiſe. II. 7

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/105>, abgerufen am 21.11.2024.