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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Wenn auch die Natur in ähnlichen Klimaten, sei es nun
in Niederungen auf isothermen Parallelen (von gleicher Wärme),
sei es auf Hochebenen, deren Temperatur mit der Temperatur
weiter gegen die Pole gelegener Länder übereinkommt, nicht
dieselben Pflanzenarten hervorbringt, so zeigt doch die Vege-
tation noch so weit entlegener Landstriche im ganzen Habitus
die auffallendste Aehnlichkeit. Diese Erscheinung ist eine der
merkwürdigsten in der Geschichte der organischen Bildungen;
ich sage in der Geschichte, denn wenn auch die Vernunft dem
Menschen sagt, wie eitel Hypothesen über den Ursprung der
Dinge sind, das unlösbare Problem, wie sich die Organismen
über die Erde verbreitet, läßt uns dennoch keine Ruhe. Eine
schweizerische Grasart 1 wächst auf dem Granitfelsen der Magel-
haensschen Meerenge. Neuholland hat über vierzig europäische
phanerogame Pflanzenarten aufzuweisen, und die meisten Ge-
wächse, die den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln gemein
sind, fehlen gänzlich in dem dazwischen liegenden Landstriche,
das heißt in der äquinoktialen Zone, sowohl auf den Ebenen
als auf dem Rücken der Gebirge. Eine Veilchenart mit be-
haarten Blättern, mit der die Zone der Phanerogamen am
Vulkan von Tenerifa gleichsam abschließt, und von der man
lange glaubte, sie gehöre der Insel eigentümlich an, 2 kommt
1350 km weiter nordwärts am beschneiten Gipfel der Pyre-
näen vor. Gräser und Riedgräser, die in Deutschland, in
Arabien und am Senegal wachsen, wurden unter den Pflanzen
gefunden, die Bonpland und ich auf den kalten mexikanischen
Hochebenen, an den heißen Ufern des Orinoko und in der
südlichen Halbkugel auf dem Rücken der Anden von Quito
gesammelt. Wie will man begreiflich machen, daß Gewächse
über Striche mit ganz verschiedenem Klima, und die gegen-
wärtig vom Meere bedeckt sind, gewandert sein sollen? Oder

1 Phleum alpinum, von Brown untersucht. Nach den Beob-
achtungen dieses großen Botanikers unterliegt es keinem Zweifel,
daß mehrere Pflanzen beiden Kontinenten und den gemäßigten
Zonen beider Halbkugeln zugleich angehören. Potentilla anserina,
Prunella vulgaris, Scirpus mucronatus
und Panicum Crus Galli
wachsen in Deutschland, in Neuholland und in Pennsylvanien.
2 Viola chiranthifolia, die Bonpland und ich beschrieben
haben, ist von Kunth und Leopold von Buch unter den Alpen-
pflanzen gefunden worden, die Joseph de Jussieu aus den Pyrenäen
mitgebracht hat.

Wenn auch die Natur in ähnlichen Klimaten, ſei es nun
in Niederungen auf iſothermen Parallelen (von gleicher Wärme),
ſei es auf Hochebenen, deren Temperatur mit der Temperatur
weiter gegen die Pole gelegener Länder übereinkommt, nicht
dieſelben Pflanzenarten hervorbringt, ſo zeigt doch die Vege-
tation noch ſo weit entlegener Landſtriche im ganzen Habitus
die auffallendſte Aehnlichkeit. Dieſe Erſcheinung iſt eine der
merkwürdigſten in der Geſchichte der organiſchen Bildungen;
ich ſage in der Geſchichte, denn wenn auch die Vernunft dem
Menſchen ſagt, wie eitel Hypotheſen über den Urſprung der
Dinge ſind, das unlösbare Problem, wie ſich die Organismen
über die Erde verbreitet, läßt uns dennoch keine Ruhe. Eine
ſchweizeriſche Grasart 1 wächſt auf dem Granitfelſen der Magel-
haensſchen Meerenge. Neuholland hat über vierzig europäiſche
phanerogame Pflanzenarten aufzuweiſen, und die meiſten Ge-
wächſe, die den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln gemein
ſind, fehlen gänzlich in dem dazwiſchen liegenden Landſtriche,
das heißt in der äquinoktialen Zone, ſowohl auf den Ebenen
als auf dem Rücken der Gebirge. Eine Veilchenart mit be-
haarten Blättern, mit der die Zone der Phanerogamen am
Vulkan von Tenerifa gleichſam abſchließt, und von der man
lange glaubte, ſie gehöre der Inſel eigentümlich an, 2 kommt
1350 km weiter nordwärts am beſchneiten Gipfel der Pyre-
näen vor. Gräſer und Riedgräſer, die in Deutſchland, in
Arabien und am Senegal wachſen, wurden unter den Pflanzen
gefunden, die Bonpland und ich auf den kalten mexikaniſchen
Hochebenen, an den heißen Ufern des Orinoko und in der
ſüdlichen Halbkugel auf dem Rücken der Anden von Quito
geſammelt. Wie will man begreiflich machen, daß Gewächſe
über Striche mit ganz verſchiedenem Klima, und die gegen-
wärtig vom Meere bedeckt ſind, gewandert ſein ſollen? Oder

1 Phleum alpinum, von Brown unterſucht. Nach den Beob-
achtungen dieſes großen Botanikers unterliegt es keinem Zweifel,
daß mehrere Pflanzen beiden Kontinenten und den gemäßigten
Zonen beider Halbkugeln zugleich angehören. Potentilla anserina,
Prunella vulgaris, Scirpus mucronatus
und Panicum Crus Galli
wachſen in Deutſchland, in Neuholland und in Pennſylvanien.
2 Viola chiranthifolia, die Bonpland und ich beſchrieben
haben, iſt von Kunth und Leopold von Buch unter den Alpen-
pflanzen gefunden worden, die Joſeph de Juſſieu aus den Pyrenäen
mitgebracht hat.
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[131/0139] Wenn auch die Natur in ähnlichen Klimaten, ſei es nun in Niederungen auf iſothermen Parallelen (von gleicher Wärme), ſei es auf Hochebenen, deren Temperatur mit der Temperatur weiter gegen die Pole gelegener Länder übereinkommt, nicht dieſelben Pflanzenarten hervorbringt, ſo zeigt doch die Vege- tation noch ſo weit entlegener Landſtriche im ganzen Habitus die auffallendſte Aehnlichkeit. Dieſe Erſcheinung iſt eine der merkwürdigſten in der Geſchichte der organiſchen Bildungen; ich ſage in der Geſchichte, denn wenn auch die Vernunft dem Menſchen ſagt, wie eitel Hypotheſen über den Urſprung der Dinge ſind, das unlösbare Problem, wie ſich die Organismen über die Erde verbreitet, läßt uns dennoch keine Ruhe. Eine ſchweizeriſche Grasart 1 wächſt auf dem Granitfelſen der Magel- haensſchen Meerenge. Neuholland hat über vierzig europäiſche phanerogame Pflanzenarten aufzuweiſen, und die meiſten Ge- wächſe, die den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln gemein ſind, fehlen gänzlich in dem dazwiſchen liegenden Landſtriche, das heißt in der äquinoktialen Zone, ſowohl auf den Ebenen als auf dem Rücken der Gebirge. Eine Veilchenart mit be- haarten Blättern, mit der die Zone der Phanerogamen am Vulkan von Tenerifa gleichſam abſchließt, und von der man lange glaubte, ſie gehöre der Inſel eigentümlich an, 2 kommt 1350 km weiter nordwärts am beſchneiten Gipfel der Pyre- näen vor. Gräſer und Riedgräſer, die in Deutſchland, in Arabien und am Senegal wachſen, wurden unter den Pflanzen gefunden, die Bonpland und ich auf den kalten mexikaniſchen Hochebenen, an den heißen Ufern des Orinoko und in der ſüdlichen Halbkugel auf dem Rücken der Anden von Quito geſammelt. Wie will man begreiflich machen, daß Gewächſe über Striche mit ganz verſchiedenem Klima, und die gegen- wärtig vom Meere bedeckt ſind, gewandert ſein ſollen? Oder 1 Phleum alpinum, von Brown unterſucht. Nach den Beob- achtungen dieſes großen Botanikers unterliegt es keinem Zweifel, daß mehrere Pflanzen beiden Kontinenten und den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln zugleich angehören. Potentilla anserina, Prunella vulgaris, Scirpus mucronatus und Panicum Crus Galli wachſen in Deutſchland, in Neuholland und in Pennſylvanien. 2 Viola chiranthifolia, die Bonpland und ich beſchrieben haben, iſt von Kunth und Leopold von Buch unter den Alpen- pflanzen gefunden worden, die Joſeph de Juſſieu aus den Pyrenäen mitgebracht hat.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/139>, abgerufen am 21.11.2024.