ein; wir konnten die nächsten Gegenstände nicht mehr er- kennen und sahen mit Erstaunen, daß das Instrument fort- während dem Trockenpunkte zuging, bis 47° (84° Saussure). Die Lufttemperatur war dabei 12 bis 13°. Obgleich beim Fischbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht bei 100° ist, sondern bei 84,5° (99° S.), so schien mir doch dieser Einfluß einer Wolke auf den Gang des Instrumentes im höchsten Grade auffallend. Der Nebel dauerte lange ge- nug, daß der Fischbeinstreifen durch Anziehung der Wasser- teilchen sich hätte verlängern können. Unsere Kleider wurden nicht feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Rei- sender versicherte mich kürzlich, er habe auf der Montagne pelee auf Martinique eine Wolke ähnlich auf den Haarhygro- meter wirken sehen. Der Physiker hat die Verpflichtung, die Erscheinungen zu berichten, wie die Natur sie bietet, zu- mal wenn er nichts versäumt hat, um Fehler in der Be- obachtung zu vermeiden. Saussure sah während eines heftigen Regengusses, wobei sein Hygrometer nicht naß wurde, den- selben (fast wie auf der Silla in der Wolke) auf 84,7° (48,6° Deluc) stehen bleiben; man begreift aber leichter, daß die Luft zwischen den Regentropfen nicht vollständig gesättigt wird, als daß der Wasserdunst, der den hygroskopischen Körper unmittelbar berührt, denselben nicht dem Sättigungspunkte zutreibt. In welchem Zustande befindet sich Wasserdunst, der nicht naß macht und doch sichtbar ist? Man muß, glaube ich, annehmen, daß sich eine trockenere Luft mit der, in der sich die Wolke gebildet, gemischt hat, und daß die Dunstbläschen, die ein weit geringeres Volumen haben als die dazwischen befindliche Luft, die glatte Fläche des Fischbeinstreifens nicht naß gemacht haben. Die durchsichtige Luft vor einer Wolke kann zuweilen feuchter sein als der Luftstrom, der mit der Wolke zu uns gelangt.
Es wäre unvorsichtig gewesen, in diesem dichten Nebel am Rande eines 2270 bis 2600 m hohen Abhanges länger zu verweilen. Wir gingen wieder vom Ostgipfel der Silla herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht nur eine neue, sehr interessante Gattung bildet, sondern die wir auch, zu unserer großen Ueberraschung, später auf dem Gipfel des Vulkanes Pichincha in der südlichen Halbkugel, 1800 km von der Silla, wieder fanden.1Lichen floridus, der im
1Aegopogon cenchroides.
ein; wir konnten die nächſten Gegenſtände nicht mehr er- kennen und ſahen mit Erſtaunen, daß das Inſtrument fort- während dem Trockenpunkte zuging, bis 47° (84° Sauſſure). Die Lufttemperatur war dabei 12 bis 13°. Obgleich beim Fiſchbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht bei 100° iſt, ſondern bei 84,5° (99° S.), ſo ſchien mir doch dieſer Einfluß einer Wolke auf den Gang des Inſtrumentes im höchſten Grade auffallend. Der Nebel dauerte lange ge- nug, daß der Fiſchbeinſtreifen durch Anziehung der Waſſer- teilchen ſich hätte verlängern können. Unſere Kleider wurden nicht feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Rei- ſender verſicherte mich kürzlich, er habe auf der Montagne pelée auf Martinique eine Wolke ähnlich auf den Haarhygro- meter wirken ſehen. Der Phyſiker hat die Verpflichtung, die Erſcheinungen zu berichten, wie die Natur ſie bietet, zu- mal wenn er nichts verſäumt hat, um Fehler in der Be- obachtung zu vermeiden. Sauſſure ſah während eines heftigen Regenguſſes, wobei ſein Hygrometer nicht naß wurde, den- ſelben (faſt wie auf der Silla in der Wolke) auf 84,7° (48,6° Deluc) ſtehen bleiben; man begreift aber leichter, daß die Luft zwiſchen den Regentropfen nicht vollſtändig geſättigt wird, als daß der Waſſerdunſt, der den hygroſkopiſchen Körper unmittelbar berührt, denſelben nicht dem Sättigungspunkte zutreibt. In welchem Zuſtande befindet ſich Waſſerdunſt, der nicht naß macht und doch ſichtbar iſt? Man muß, glaube ich, annehmen, daß ſich eine trockenere Luft mit der, in der ſich die Wolke gebildet, gemiſcht hat, und daß die Dunſtbläschen, die ein weit geringeres Volumen haben als die dazwiſchen befindliche Luft, die glatte Fläche des Fiſchbeinſtreifens nicht naß gemacht haben. Die durchſichtige Luft vor einer Wolke kann zuweilen feuchter ſein als der Luftſtrom, der mit der Wolke zu uns gelangt.
Es wäre unvorſichtig geweſen, in dieſem dichten Nebel am Rande eines 2270 bis 2600 m hohen Abhanges länger zu verweilen. Wir gingen wieder vom Oſtgipfel der Silla herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht nur eine neue, ſehr intereſſante Gattung bildet, ſondern die wir auch, zu unſerer großen Ueberraſchung, ſpäter auf dem Gipfel des Vulkanes Pichincha in der ſüdlichen Halbkugel, 1800 km von der Silla, wieder fanden.1Lichen floridus, der im
1Aegopogon cenchroides.
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ein; wir konnten die nächſten Gegenſtände nicht mehr er-
kennen und ſahen mit Erſtaunen, daß das Inſtrument fort-
während dem Trockenpunkte zuging, bis 47° (84° Sauſſure).
Die Lufttemperatur war dabei 12 bis 13°. Obgleich beim
Fiſchbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht
bei 100° iſt, ſondern bei 84,5° (99° S.), ſo ſchien mir doch
dieſer Einfluß einer Wolke auf den Gang des Inſtrumentes
im höchſten Grade auffallend. Der Nebel dauerte lange ge-
nug, daß der Fiſchbeinſtreifen durch Anziehung der Waſſer-
teilchen ſich hätte verlängern können. Unſere Kleider wurden
nicht feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Rei-
ſender verſicherte mich kürzlich, er habe auf der Montagne
pelée auf Martinique eine Wolke ähnlich auf den Haarhygro-
meter wirken ſehen. Der Phyſiker hat die Verpflichtung,
die Erſcheinungen zu berichten, wie die Natur ſie bietet, zu-
mal wenn er nichts verſäumt hat, um Fehler in der Be-
obachtung zu vermeiden. Sauſſure ſah während eines heftigen
Regenguſſes, wobei ſein Hygrometer nicht naß wurde, den-
ſelben (faſt wie auf der Silla in der Wolke) auf 84,7°
(48,6° Deluc) ſtehen bleiben; man begreift aber leichter, daß
die Luft zwiſchen den Regentropfen nicht vollſtändig geſättigt
wird, als daß der Waſſerdunſt, der den hygroſkopiſchen Körper
unmittelbar berührt, denſelben nicht dem Sättigungspunkte
zutreibt. In welchem Zuſtande befindet ſich Waſſerdunſt, der
nicht naß macht und doch ſichtbar iſt? Man muß, glaube ich,
annehmen, daß ſich eine trockenere Luft mit der, in der ſich
die Wolke gebildet, gemiſcht hat, und daß die Dunſtbläschen,
die ein weit geringeres Volumen haben als die dazwiſchen
befindliche Luft, die glatte Fläche des Fiſchbeinſtreifens nicht
naß gemacht haben. Die durchſichtige Luft vor einer Wolke
kann zuweilen feuchter ſein als der Luftſtrom, der mit der
Wolke zu uns gelangt.
Es wäre unvorſichtig geweſen, in dieſem dichten Nebel
am Rande eines 2270 bis 2600 m hohen Abhanges länger
zu verweilen. Wir gingen wieder vom Oſtgipfel der Silla
herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht nur
eine neue, ſehr intereſſante Gattung bildet, ſondern die wir
auch, zu unſerer großen Ueberraſchung, ſpäter auf dem Gipfel
des Vulkanes Pichincha in der ſüdlichen Halbkugel, 1800 km
von der Silla, wieder fanden. 1 Lichen floridus, der im
1 Aegopogon cenchroides.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/152>, abgerufen am 16.02.2025.
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