neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzustellen, und die in der Richtung der Silla nordöstlich von der Stadt ge- legenen Vulkane der Antillen seien vielleicht Luftlöcher, durch welche bei einem Ausbruch die elastischen Flüssigkeiten ent- weichen, welche die Erdbeben auf den Küsten des Festlandes verursachen. Zwischen solchen Betrachtungen, die sich auf die Kenntnis der Oertlichkeiten und auf bloße Analogieen grün- den, und einer durch den Lauf der Naturereignisse bestätigten Vorhersagung ist ein großer Unterschied.
Während man im Thale des Mississippi, auf der Insel San Vincent und in der Provinz Venezuela gleichzeitig starke Erdstöße spürte, wurde man am 30. April 1812 in Caracas, in Calabozo mitten in den Steppen, und an den Ufern des Rio Apure, auf einem Landstrich von 81000 qkm, durch ein unterirdisches Getöse erschreckt, das wiederholten Salven aus Geschützen vom größten Kaliber glich. Es fing um 2 Uhr morgens an; es war von keinen Stößen begleitet, und, was sehr merkwürdig ist, es war auf der Küste und 360 km weit im Lande gleich stark. Ueberall meinte man, es komme durch die Luft her, und man war so weit entfernt, dabei an einen unterirdischen Donner zu denken, daß man in Caracas wie in Calabozo militärische Maßregeln ergriff, um den Platz in Verteidigungszustand zu setzen, da der Feind mit seinem groben Geschütz anzurücken schien. Beim Uebergang über den Apure unterhalb Orivante, beim Einfluß des Rio Nula, hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die "Kanonenschüsse" ebensogut am westlichen Ende der Provinz Varinas als im Hafen von Guayra nördlich von der Küsten- kette gehört.
Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch ein unterirdisches Getöse erschreckt wurden, erfolgte ein großer Ausbruch des Vulkans auf der Insel San Vincent. Der Berg, der gegen 970 m hoch ist, hatte seit dem Jahre 1718 keine Lava mehr ausgeworfen. Man sah ihn kaum rauchen, als im Mai 1811 häufige Erdstöße verkündeten, daß sich das vulkanische Feuer entweder von neuem entzündet oder nach diesem Strich der Antillen gezogen habe. Der erste Ausbruch fand erst am 27. April 1812 um Mittag statt. Der Vulkan warf dabei nur Asche aus, aber unter furchtbarem Krachen. Am 30. floß die Lava über den Kraterrand und erreichte nach vier Stunden die See. Das Getöse beim Ausbruch glich "abwechselnd Salven aus dem schwersten Geschütz und
neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzuſtellen, und die in der Richtung der Silla nordöſtlich von der Stadt ge- legenen Vulkane der Antillen ſeien vielleicht Luftlöcher, durch welche bei einem Ausbruch die elaſtiſchen Flüſſigkeiten ent- weichen, welche die Erdbeben auf den Küſten des Feſtlandes verurſachen. Zwiſchen ſolchen Betrachtungen, die ſich auf die Kenntnis der Oertlichkeiten und auf bloße Analogieen grün- den, und einer durch den Lauf der Naturereigniſſe beſtätigten Vorherſagung iſt ein großer Unterſchied.
Während man im Thale des Miſſiſſippi, auf der Inſel San Vincent und in der Provinz Venezuela gleichzeitig ſtarke Erdſtöße ſpürte, wurde man am 30. April 1812 in Caracas, in Calabozo mitten in den Steppen, und an den Ufern des Rio Apure, auf einem Landſtrich von 81000 qkm, durch ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt, das wiederholten Salven aus Geſchützen vom größten Kaliber glich. Es fing um 2 Uhr morgens an; es war von keinen Stößen begleitet, und, was ſehr merkwürdig iſt, es war auf der Küſte und 360 km weit im Lande gleich ſtark. Ueberall meinte man, es komme durch die Luft her, und man war ſo weit entfernt, dabei an einen unterirdiſchen Donner zu denken, daß man in Caracas wie in Calabozo militäriſche Maßregeln ergriff, um den Platz in Verteidigungszuſtand zu ſetzen, da der Feind mit ſeinem groben Geſchütz anzurücken ſchien. Beim Uebergang über den Apure unterhalb Orivante, beim Einfluß des Rio Nula, hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die „Kanonenſchüſſe“ ebenſogut am weſtlichen Ende der Provinz Varinas als im Hafen von Guayra nördlich von der Küſten- kette gehört.
Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt wurden, erfolgte ein großer Ausbruch des Vulkans auf der Inſel San Vincent. Der Berg, der gegen 970 m hoch iſt, hatte ſeit dem Jahre 1718 keine Lava mehr ausgeworfen. Man ſah ihn kaum rauchen, als im Mai 1811 häufige Erdſtöße verkündeten, daß ſich das vulkaniſche Feuer entweder von neuem entzündet oder nach dieſem Strich der Antillen gezogen habe. Der erſte Ausbruch fand erſt am 27. April 1812 um Mittag ſtatt. Der Vulkan warf dabei nur Aſche aus, aber unter furchtbarem Krachen. Am 30. floß die Lava über den Kraterrand und erreichte nach vier Stunden die See. Das Getöſe beim Ausbruch glich „abwechſelnd Salven aus dem ſchwerſten Geſchütz und
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neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzuſtellen, und
die in der Richtung der Silla nordöſtlich von der Stadt ge-
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welche bei einem Ausbruch die elaſtiſchen Flüſſigkeiten ent-
weichen, welche die Erdbeben auf den Küſten des Feſtlandes
verurſachen. Zwiſchen ſolchen Betrachtungen, die ſich auf die
Kenntnis der Oertlichkeiten und auf bloße Analogieen grün-
den, und einer durch den Lauf der Naturereigniſſe beſtätigten
Vorherſagung iſt ein großer Unterſchied.
Während man im Thale des Miſſiſſippi, auf der Inſel
San Vincent und in der Provinz Venezuela gleichzeitig ſtarke
Erdſtöße ſpürte, wurde man am 30. April 1812 in Caracas,
in Calabozo mitten in den Steppen, und an den Ufern des
Rio Apure, auf einem Landſtrich von 81000 qkm, durch ein
unterirdiſches Getöſe erſchreckt, das wiederholten Salven aus
Geſchützen vom größten Kaliber glich. Es fing um 2 Uhr
morgens an; es war von keinen Stößen begleitet, und, was
ſehr merkwürdig iſt, es war auf der Küſte und 360 km weit
im Lande gleich ſtark. Ueberall meinte man, es komme durch
die Luft her, und man war ſo weit entfernt, dabei an einen
unterirdiſchen Donner zu denken, daß man in Caracas wie
in Calabozo militäriſche Maßregeln ergriff, um den Platz in
Verteidigungszuſtand zu ſetzen, da der Feind mit ſeinem
groben Geſchütz anzurücken ſchien. Beim Uebergang über
den Apure unterhalb Orivante, beim Einfluß des Rio Nula,
hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die
„Kanonenſchüſſe“ ebenſogut am weſtlichen Ende der Provinz
Varinas als im Hafen von Guayra nördlich von der Küſten-
kette gehört.
Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch
ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt wurden, erfolgte ein großer
Ausbruch des Vulkans auf der Inſel San Vincent. Der Berg,
der gegen 970 m hoch iſt, hatte ſeit dem Jahre 1718 keine
Lava mehr ausgeworfen. Man ſah ihn kaum rauchen, als
im Mai 1811 häufige Erdſtöße verkündeten, daß ſich das
vulkaniſche Feuer entweder von neuem entzündet oder nach
dieſem Strich der Antillen gezogen habe. Der erſte Ausbruch
fand erſt am 27. April 1812 um Mittag ſtatt. Der Vulkan
warf dabei nur Aſche aus, aber unter furchtbarem Krachen.
Am 30. floß die Lava über den Kraterrand und erreichte
nach vier Stunden die See. Das Getöſe beim Ausbruch
glich „abwechſelnd Salven aus dem ſchwerſten Geſchütz und
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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