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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir erst am 14. Februar
abends ankamen. Das Thal wird allmählich weiter; zu beiden
Seiten desselben stehen Hügel von Kalktuff, den man hierzu-
lande tierra blanca nennt. Die Gelehrten im Lande haben
verschiedene Versuche gemacht, diese Erde zu brennen; sie ver-
wechselten dieselbe mit Porzellanerde, die sich aus Schichten
verwitterten Feldspats bildet. Wir verweilten ein paar Stunden
bei einer achtungswürdigen und gebildeten Familie, den Ustariz
in Concesion. Das Haus mit einer auserlesenen Bücher-
sammlung steht auf einer Anhöhe und ist mit Kaffee- und
Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüsch von Balsambäumen
(balsamo)1 gibt Kühlung und Schatten. Mit reger Teil-
nahme sahen wir die vielen im Thale zerstreuten Häuser, die
von Freigelassenen bewohnt sind. Gesetze, Einrichtungen,
Sitten begünstigen in den spanischen Kolonieen die Frei-
heit der Neger ungleich mehr als bei den übrigen europäischen
Nationen.

San Mateo, Turmero und Maracay sind reizende Dörfer,
wo alles den größten Wohlstand verrät. Man glaubt sich in
den gewerbsamsten Teil von Katalonien versetzt. Bei San
Mateo sahen wir die letzten Weizenfelder und die letzten
Mühlen mit wagerechten Wasserrädern. Man rechnete bei
der bevorstehenden Ernte auf die zwanzigfache Aussaat, und
als wäre dies noch ein mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob
man in Preußen und Polen mehr ernte. Unter den Tropen
ist der Irrtum ziemlich verbreitet, das Getreide arte gegen
den Aequator zu aus und die Ernten seien im Norden reicher.
Seit man den Ertrag des Ackerbaues in verschiedenen Erd-
strichen und die Temperaturen, bei denen das Getreide ge-
deiht, berechnen kann, weiß man, daß nirgends jenseits des
45. Breitengrades der Weizen so reiche Ernten gibt als auf den
Nordküsten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu-
granada, Peru und Mexiko. Vergleicht man nicht die mitt-
lere Temperatur des ganzen Jahres, sondern nur die mittleren
Temperaturen der Jahreszeit, in welche der "Vegetations-
cyklus" des Getreides fällt, so findet2 man für drei Sommer-

1 Amyris elata.
2 Die mittlere Sommertemperatur ist in Schottland (bei
Edinburg unter dem 56. Grad der Breite) dieselbe wie auf den
Hochebenen von Neugranada, wo in 2725 m Meereshöhe und unter
dem 4. Grad der Breite so viel Getreide gebaut wird. Auf der

Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir erſt am 14. Februar
abends ankamen. Das Thal wird allmählich weiter; zu beiden
Seiten desſelben ſtehen Hügel von Kalktuff, den man hierzu-
lande tierra blanca nennt. Die Gelehrten im Lande haben
verſchiedene Verſuche gemacht, dieſe Erde zu brennen; ſie ver-
wechſelten dieſelbe mit Porzellanerde, die ſich aus Schichten
verwitterten Feldſpats bildet. Wir verweilten ein paar Stunden
bei einer achtungswürdigen und gebildeten Familie, den Uſtariz
in Conceſion. Das Haus mit einer auserleſenen Bücher-
ſammlung ſteht auf einer Anhöhe und iſt mit Kaffee- und
Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüſch von Balſambäumen
(balsamo)1 gibt Kühlung und Schatten. Mit reger Teil-
nahme ſahen wir die vielen im Thale zerſtreuten Häuſer, die
von Freigelaſſenen bewohnt ſind. Geſetze, Einrichtungen,
Sitten begünſtigen in den ſpaniſchen Kolonieen die Frei-
heit der Neger ungleich mehr als bei den übrigen europäiſchen
Nationen.

San Mateo, Turmero und Maracay ſind reizende Dörfer,
wo alles den größten Wohlſtand verrät. Man glaubt ſich in
den gewerbſamſten Teil von Katalonien verſetzt. Bei San
Mateo ſahen wir die letzten Weizenfelder und die letzten
Mühlen mit wagerechten Waſſerrädern. Man rechnete bei
der bevorſtehenden Ernte auf die zwanzigfache Ausſaat, und
als wäre dies noch ein mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob
man in Preußen und Polen mehr ernte. Unter den Tropen
iſt der Irrtum ziemlich verbreitet, das Getreide arte gegen
den Aequator zu aus und die Ernten ſeien im Norden reicher.
Seit man den Ertrag des Ackerbaues in verſchiedenen Erd-
ſtrichen und die Temperaturen, bei denen das Getreide ge-
deiht, berechnen kann, weiß man, daß nirgends jenſeits des
45. Breitengrades der Weizen ſo reiche Ernten gibt als auf den
Nordküſten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu-
granada, Peru und Mexiko. Vergleicht man nicht die mitt-
lere Temperatur des ganzen Jahres, ſondern nur die mittleren
Temperaturen der Jahreszeit, in welche der „Vegetations-
cyklus“ des Getreides fällt, ſo findet2 man für drei Sommer-

1 Amyris elata.
2 Die mittlere Sommertemperatur iſt in Schottland (bei
Edinburg unter dem 56. Grad der Breite) dieſelbe wie auf den
Hochebenen von Neugranada, wo in 2725 m Meereshöhe und unter
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[190/0198] Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir erſt am 14. Februar abends ankamen. Das Thal wird allmählich weiter; zu beiden Seiten desſelben ſtehen Hügel von Kalktuff, den man hierzu- lande tierra blanca nennt. Die Gelehrten im Lande haben verſchiedene Verſuche gemacht, dieſe Erde zu brennen; ſie ver- wechſelten dieſelbe mit Porzellanerde, die ſich aus Schichten verwitterten Feldſpats bildet. Wir verweilten ein paar Stunden bei einer achtungswürdigen und gebildeten Familie, den Uſtariz in Conceſion. Das Haus mit einer auserleſenen Bücher- ſammlung ſteht auf einer Anhöhe und iſt mit Kaffee- und Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüſch von Balſambäumen (balsamo) 1 gibt Kühlung und Schatten. Mit reger Teil- nahme ſahen wir die vielen im Thale zerſtreuten Häuſer, die von Freigelaſſenen bewohnt ſind. Geſetze, Einrichtungen, Sitten begünſtigen in den ſpaniſchen Kolonieen die Frei- heit der Neger ungleich mehr als bei den übrigen europäiſchen Nationen. San Mateo, Turmero und Maracay ſind reizende Dörfer, wo alles den größten Wohlſtand verrät. Man glaubt ſich in den gewerbſamſten Teil von Katalonien verſetzt. Bei San Mateo ſahen wir die letzten Weizenfelder und die letzten Mühlen mit wagerechten Waſſerrädern. Man rechnete bei der bevorſtehenden Ernte auf die zwanzigfache Ausſaat, und als wäre dies noch ein mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob man in Preußen und Polen mehr ernte. Unter den Tropen iſt der Irrtum ziemlich verbreitet, das Getreide arte gegen den Aequator zu aus und die Ernten ſeien im Norden reicher. Seit man den Ertrag des Ackerbaues in verſchiedenen Erd- ſtrichen und die Temperaturen, bei denen das Getreide ge- deiht, berechnen kann, weiß man, daß nirgends jenſeits des 45. Breitengrades der Weizen ſo reiche Ernten gibt als auf den Nordküſten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu- granada, Peru und Mexiko. Vergleicht man nicht die mitt- lere Temperatur des ganzen Jahres, ſondern nur die mittleren Temperaturen der Jahreszeit, in welche der „Vegetations- cyklus“ des Getreides fällt, ſo findet 2 man für drei Sommer- 1 Amyris elata. 2 Die mittlere Sommertemperatur iſt in Schottland (bei Edinburg unter dem 56. Grad der Breite) dieſelbe wie auf den Hochebenen von Neugranada, wo in 2725 m Meereshöhe und unter dem 4. Grad der Breite ſo viel Getreide gebaut wird. Auf der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/198>, abgerufen am 24.11.2024.