Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.Missionen dagegen ist, wie ich am Orinoko oft beobachten Dieser physischen Schilderung der Chaymas lassen wir Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in sehr Miſſionen dagegen iſt, wie ich am Orinoko oft beobachten Dieſer phyſiſchen Schilderung der Chaymas laſſen wir Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in ſehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0023" n="15"/> Miſſionen dagegen iſt, wie ich am Orinoko oft beobachten<lb/> konnte, der Zorn nicht ſo heftig, nicht ſo offen, aber er hält<lb/> länger an. Uebrigens iſt es auf allen Stufen menſchlicher<lb/> Entwickelung nicht die Stärke oder die augenblickliche Ent-<lb/> feſſelung der Leidenſchaften, was den Zügen den eigentlichen<lb/> Ausdruck gibt, ſondern vielmehr jene Reizbarkeit der Seele,<lb/> die uns in beſtändiger Berührung mit der Außenwelt erhält,<lb/> Zahl und Maß unſerer Schmerzen und unſerer Freuden<lb/> ſteigert und auf Phyſiognomie, Sitten und Sprache zugleich<lb/> zurückwirkt. Wenn Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit der<lb/> Züge das belebte Naturreich verſchönern, ſo iſt auch nicht zu<lb/> leugnen, daß beide zwar nicht allein Produkte der Kultur<lb/> ſind, wohl aber mit ihr ſich ſteigern. In der großen Völker-<lb/> familie kommen dieſe Vorzüge keiner Raſſe in höherem Maße<lb/> zu als der kaukaſiſchen oder europäiſchen. Nur beim weißen<lb/> Menſchen tritt das Blut plötzlich in das Gewebe der Haut<lb/> und tritt damit jener leiſe Wechſel der Geſichtsfarbe ein, der<lb/> den Ausdruck der Gemütsbewegungen ſo bedeutend verſtärkt.<lb/> „Wie ſoll man Menſchen trauen, die nicht rot werden können?“<lb/> ſagt der Europäer in ſeinem eingewurzelten Haſſe gegen den<lb/> Neger und den Indianer. Man muß übrigens zugeben, daß<lb/> dieſe Starrheit der Züge nicht allen Raſſen mit ſehr dunkel<lb/> gefärbter Haut zukommt; ſie iſt beim Afrikaner lange nicht<lb/> ſo bedeutend wie bei den eingeborenen Amerikanern.</p><lb/> <p>Dieſer phyſiſchen Schilderung der Chaymas laſſen wir<lb/> einige allgemeine Bemerkungen über ihre Lebensweiſe und<lb/> ihre Sitten folgen. Da ich die Sprache des Volkes nicht<lb/> verſtehe, kann ich keinen Anſpruch darauf machen, während<lb/> meines nicht ſehr langen Aufenthaltes in den Miſſionen ihren<lb/> Charakter durchgängig kennen gelernt zu haben. So oft im<lb/> folgenden von den Indianern die Rede iſt, ſtelle ich das,<lb/> was wir von den Miſſionären erfahren, neben das Wenige,<lb/> was wir ſelbſt beobachten konnten.</p><lb/> <p>Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in ſehr<lb/> heißen Ländern, eine entſchiedene Abneigung gegen Kleider.<lb/> Von mittelalterlichen Schriftſtellern hören wir, daß im nörd-<lb/> lichen Europa die Hemden und Beinkleider, welche die Miſ-<lb/> ſionäre austeilten, nicht wenig zur Bekehrung der Heiden bei-<lb/> getragen haben. In der heißen Zone dagegen ſchämen ſich<lb/> die Eingeborenen, wie ſie ſagen, daß ſie Kleider tragen ſollen,<lb/> und ſie laufen in die Wälder, wenn man ſie zu frühe nötigt,<lb/> ihr Nacktgehen aufzugeben. Bei den Chaymas bleiben, trotz<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0023]
Miſſionen dagegen iſt, wie ich am Orinoko oft beobachten
konnte, der Zorn nicht ſo heftig, nicht ſo offen, aber er hält
länger an. Uebrigens iſt es auf allen Stufen menſchlicher
Entwickelung nicht die Stärke oder die augenblickliche Ent-
feſſelung der Leidenſchaften, was den Zügen den eigentlichen
Ausdruck gibt, ſondern vielmehr jene Reizbarkeit der Seele,
die uns in beſtändiger Berührung mit der Außenwelt erhält,
Zahl und Maß unſerer Schmerzen und unſerer Freuden
ſteigert und auf Phyſiognomie, Sitten und Sprache zugleich
zurückwirkt. Wenn Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit der
Züge das belebte Naturreich verſchönern, ſo iſt auch nicht zu
leugnen, daß beide zwar nicht allein Produkte der Kultur
ſind, wohl aber mit ihr ſich ſteigern. In der großen Völker-
familie kommen dieſe Vorzüge keiner Raſſe in höherem Maße
zu als der kaukaſiſchen oder europäiſchen. Nur beim weißen
Menſchen tritt das Blut plötzlich in das Gewebe der Haut
und tritt damit jener leiſe Wechſel der Geſichtsfarbe ein, der
den Ausdruck der Gemütsbewegungen ſo bedeutend verſtärkt.
„Wie ſoll man Menſchen trauen, die nicht rot werden können?“
ſagt der Europäer in ſeinem eingewurzelten Haſſe gegen den
Neger und den Indianer. Man muß übrigens zugeben, daß
dieſe Starrheit der Züge nicht allen Raſſen mit ſehr dunkel
gefärbter Haut zukommt; ſie iſt beim Afrikaner lange nicht
ſo bedeutend wie bei den eingeborenen Amerikanern.
Dieſer phyſiſchen Schilderung der Chaymas laſſen wir
einige allgemeine Bemerkungen über ihre Lebensweiſe und
ihre Sitten folgen. Da ich die Sprache des Volkes nicht
verſtehe, kann ich keinen Anſpruch darauf machen, während
meines nicht ſehr langen Aufenthaltes in den Miſſionen ihren
Charakter durchgängig kennen gelernt zu haben. So oft im
folgenden von den Indianern die Rede iſt, ſtelle ich das,
was wir von den Miſſionären erfahren, neben das Wenige,
was wir ſelbſt beobachten konnten.
Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in ſehr
heißen Ländern, eine entſchiedene Abneigung gegen Kleider.
Von mittelalterlichen Schriftſtellern hören wir, daß im nörd-
lichen Europa die Hemden und Beinkleider, welche die Miſ-
ſionäre austeilten, nicht wenig zur Bekehrung der Heiden bei-
getragen haben. In der heißen Zone dagegen ſchämen ſich
die Eingeborenen, wie ſie ſagen, daß ſie Kleider tragen ſollen,
und ſie laufen in die Wälder, wenn man ſie zu frühe nötigt,
ihr Nacktgehen aufzugeben. Bei den Chaymas bleiben, trotz
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