flicht. Das Palmengehölz, wo die dürren Blätter beim ge- ringsten Luftzug rasseln, die auf der Ebene weidenden Kamele, das Wallen der Dünste auf einem vom Sonnenstrahl glühen- den Boden, geben der Landschaft ein afrikanisches Gepräge. Je näher man der Stadt und über das westliche Ende des Sees hinauskommt, desto dürrer wird der Boden. Es ist ein ganz ebener, vom Wasser verlassener Thonboden. Die benachbarten Hügel, Morros de Valencia genannt, bestehen aus weißem Tuff, einer ganz neuen Bildung, die unmittelbar auf dem Gneis aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an verschiedenen anderen Punkten längs der Küstengebirgskette wieder zum Vorschein. Die weiße Farbe dieses Tuffs, von dem die Sonnenstrahlen abprallen, trägt viel zur drückenden Hitze bei, die hier herrscht. Alles ist wüst und öde, kaum sieht man an den Ufern des Rio de Valencia hie und da einen Kakaostamm; sonst ist die Ebene kahl, pflanzenlos. Diese anscheinende Unfruchtbarkeit schreibt man hier, wie überall in den Thälern von Aragua, dem Indigo- bau zu, der den Boden stärker erschöpft (cansa) als irgend ein Gewächs. Es wäre interessant, sich nach den wahren physischen Ursachen dieser Erscheinung umzusehen, über die man, wie ja auch über die Wirkung der Brache und der Wechsel- wirtschaft, noch lange nicht im reinen ist. Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß man unter den Tropen desto häufiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit des Bau- landes klagen hört, je näher man sich der Zeit der ersten Urbarmachung befindet. In einem Erdstriche, wo fast kein Gras wächst, wo jedes Gewächs einen holzigen Stengel hat und gleich zum Busch aufschießt, ist der unangebrochene Boden fortwährend von hohen Bäumen oder von Buschwerk be- schattet. Unter diesen dichten Schatten erhält er sich überall frisch und feucht. So üppig der Pflanzenwuchs unter den Tropen erscheint, so ist doch die Zahl der in die Erde drin- genden Wurzeln auf einem nicht angebauten Boden geringer, während auf dem mit Indigo, Zuckerrohr oder Maniok an- gepflanzten Lande die Gewächse weit dichter bei einander stehen. Die Bäume und Gebüsche mit ihrer Fülle von Zweigen und Laub ziehen ihre Nahrung zum großen Teil aus der um- gebenden Luft, und die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens nimmt zu durch die Zersetzung des vegetabilischen Stoffes, der sich fortwährend auf demselben aufhäuft. Ganz anders bei den mit Indigo oder anderen krautartigen Gewächsen be- pflanzten Feldern. Die Sonnenstrahlen fallen frei auf den
flicht. Das Palmengehölz, wo die dürren Blätter beim ge- ringſten Luftzug raſſeln, die auf der Ebene weidenden Kamele, das Wallen der Dünſte auf einem vom Sonnenſtrahl glühen- den Boden, geben der Landſchaft ein afrikaniſches Gepräge. Je näher man der Stadt und über das weſtliche Ende des Sees hinauskommt, deſto dürrer wird der Boden. Es iſt ein ganz ebener, vom Waſſer verlaſſener Thonboden. Die benachbarten Hügel, Morros de Valencia genannt, beſtehen aus weißem Tuff, einer ganz neuen Bildung, die unmittelbar auf dem Gneis aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an verſchiedenen anderen Punkten längs der Küſtengebirgskette wieder zum Vorſchein. Die weiße Farbe dieſes Tuffs, von dem die Sonnenſtrahlen abprallen, trägt viel zur drückenden Hitze bei, die hier herrſcht. Alles iſt wüſt und öde, kaum ſieht man an den Ufern des Rio de Valencia hie und da einen Kakaoſtamm; ſonſt iſt die Ebene kahl, pflanzenlos. Dieſe anſcheinende Unfruchtbarkeit ſchreibt man hier, wie überall in den Thälern von Aragua, dem Indigo- bau zu, der den Boden ſtärker erſchöpft (cansa) als irgend ein Gewächs. Es wäre intereſſant, ſich nach den wahren phyſiſchen Urſachen dieſer Erſcheinung umzuſehen, über die man, wie ja auch über die Wirkung der Brache und der Wechſel- wirtſchaft, noch lange nicht im reinen iſt. Ich beſchränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß man unter den Tropen deſto häufiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit des Bau- landes klagen hört, je näher man ſich der Zeit der erſten Urbarmachung befindet. In einem Erdſtriche, wo faſt kein Gras wächſt, wo jedes Gewächs einen holzigen Stengel hat und gleich zum Buſch aufſchießt, iſt der unangebrochene Boden fortwährend von hohen Bäumen oder von Buſchwerk be- ſchattet. Unter dieſen dichten Schatten erhält er ſich überall friſch und feucht. So üppig der Pflanzenwuchs unter den Tropen erſcheint, ſo iſt doch die Zahl der in die Erde drin- genden Wurzeln auf einem nicht angebauten Boden geringer, während auf dem mit Indigo, Zuckerrohr oder Maniok an- gepflanzten Lande die Gewächſe weit dichter bei einander ſtehen. Die Bäume und Gebüſche mit ihrer Fülle von Zweigen und Laub ziehen ihre Nahrung zum großen Teil aus der um- gebenden Luft, und die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens nimmt zu durch die Zerſetzung des vegetabiliſchen Stoffes, der ſich fortwährend auf demſelben aufhäuft. Ganz anders bei den mit Indigo oder anderen krautartigen Gewächſen be- pflanzten Feldern. Die Sonnenſtrahlen fallen frei auf den
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flicht. Das Palmengehölz, wo die dürren Blätter beim ge-
ringſten Luftzug raſſeln, die auf der Ebene weidenden Kamele,
das Wallen der Dünſte auf einem vom Sonnenſtrahl glühen-
den Boden, geben der Landſchaft ein afrikaniſches Gepräge.
Je näher man der Stadt und über das weſtliche Ende des Sees
hinauskommt, deſto dürrer wird der Boden. Es iſt ein ganz
ebener, vom Waſſer verlaſſener Thonboden. Die benachbarten
Hügel, Morros de Valencia genannt, beſtehen aus weißem
Tuff, einer ganz neuen Bildung, die unmittelbar auf dem Gneis
aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an verſchiedenen anderen
Punkten längs der Küſtengebirgskette wieder zum Vorſchein.
Die weiße Farbe dieſes Tuffs, von dem die Sonnenſtrahlen
abprallen, trägt viel zur drückenden Hitze bei, die hier herrſcht.
Alles iſt wüſt und öde, kaum ſieht man an den Ufern des Rio de
Valencia hie und da einen Kakaoſtamm; ſonſt iſt die Ebene kahl,
pflanzenlos. Dieſe anſcheinende Unfruchtbarkeit ſchreibt man
hier, wie überall in den Thälern von Aragua, dem Indigo-
bau zu, der den Boden ſtärker erſchöpft (cansa) als irgend
ein Gewächs. Es wäre intereſſant, ſich nach den wahren
phyſiſchen Urſachen dieſer Erſcheinung umzuſehen, über die
man, wie ja auch über die Wirkung der Brache und der Wechſel-
wirtſchaft, noch lange nicht im reinen iſt. Ich beſchränke mich
auf die allgemeine Bemerkung, daß man unter den Tropen
deſto häufiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit des Bau-
landes klagen hört, je näher man ſich der Zeit der erſten
Urbarmachung befindet. In einem Erdſtriche, wo faſt kein
Gras wächſt, wo jedes Gewächs einen holzigen Stengel hat
und gleich zum Buſch aufſchießt, iſt der unangebrochene Boden
fortwährend von hohen Bäumen oder von Buſchwerk be-
ſchattet. Unter dieſen dichten Schatten erhält er ſich überall
friſch und feucht. So üppig der Pflanzenwuchs unter den
Tropen erſcheint, ſo iſt doch die Zahl der in die Erde drin-
genden Wurzeln auf einem nicht angebauten Boden geringer,
während auf dem mit Indigo, Zuckerrohr oder Maniok an-
gepflanzten Lande die Gewächſe weit dichter bei einander ſtehen.
Die Bäume und Gebüſche mit ihrer Fülle von Zweigen und
Laub ziehen ihre Nahrung zum großen Teil aus der um-
gebenden Luft, und die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens
nimmt zu durch die Zerſetzung des vegetabiliſchen Stoffes,
der ſich fortwährend auf demſelben aufhäuft. Ganz anders
bei den mit Indigo oder anderen krautartigen Gewächſen be-
pflanzten Feldern. Die Sonnenſtrahlen fallen frei auf den
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/236>, abgerufen am 21.11.2024.
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