fehlen, der darin bestand, den Punkt, wo sich der Orinoko mit dem Rio Negro und dem Amazonenstrom verbindet, durch astronomische Beobachtungen festzustellen. Wir gingen daher von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs- würdigen Familie des Marques del Toro zu verabschieden und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.
Es war Fastnacht und der Jubel allgemein. Die Lustbar- keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Wasser beladenen Esel herum, und wo ein Fenster offen ist, begießen sie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blasen das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verursacht, den Vorübergehenden ins Gesicht.
Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Wir trafen da einige französische Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den spanischen Kolonieen gesehen. Trotz der Blutsverwandtschaft zwischen den königlichen Fa- milien von Frankreich und Spanien durften sich nicht einmal die französischen Priester in diesen Teil der Neuen Welt flüchten, wo der Mensch so leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen- seits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsstätte. Eine Regierung, die stark, weil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht ist, brauchte sich nicht zu scheuen, die Verbannten aufzunehmen.
Wir haben früher versucht, über den Zustand des Indigo-, des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas einige bestimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küsten verlassen, haben wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beschäftigen, die von jeher für die Hauptquelle des Wohlstandes dieser Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania general, also mit Ausschluß der Pflanzungen von Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und im spanischen Guyana) erzeugte am Schlusse des 18. Jahr- hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreise zu Cadiz, nur zu 25 Piastern an, so beträgt der Gesamtwert der Kakaoausfuhr aus den sechs Häfen der Capitania general von Caracas 800000 Piaster.
Der Kakaobaum wächst gegenwärtig in den Wäldern von
fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs- würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.
Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar- keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blaſen das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht, den Vorübergehenden ins Geſicht.
Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen. Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa- milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten, wo der Menſch ſo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen- ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen.
Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo-, des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen, die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr- hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu 25 Piaſtern an, ſo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas 800000 Piaſter.
Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0257"n="249"/>
fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit<lb/>
dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch<lb/>
aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher<lb/>
von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs-<lb/>
würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden<lb/>
und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.</p><lb/><p>Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar-<lb/>
keiten, <hirendition="#aq">de carnes tollendas</hi> genannt, arteten zuweilen ein wenig<lb/>
ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen<lb/>
Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das<lb/>
Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare<lb/>
der Picapica oder <hirendition="#aq">Dolichos pruriens</hi> in der Hand und blaſen<lb/>
das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht,<lb/>
den Vorübergehenden ins Geſicht.</p><lb/><p>Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück.<lb/>
Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen,<lb/>
die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen.<lb/>
Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa-<lb/>
milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal<lb/>
die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten,<lb/>
wo der Menſch ſo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen-<lb/>ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem<lb/>
Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil<lb/>
frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu<lb/>ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen.</p><lb/><p>Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo-,<lb/>
des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas<lb/>
einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler<lb/>
von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben<lb/>
wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen,<lb/>
die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer<lb/>
Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania<lb/>
general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana,<lb/>
in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und<lb/>
im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr-<lb/>
hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der<lb/>
Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt<lb/>
man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu<lb/>
25 Piaſtern an, ſo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr<lb/>
aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas<lb/>
800000 Piaſter.</p><lb/><p>Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[249/0257]
fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit
dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch
aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher
von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs-
würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden
und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.
Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar-
keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig
ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen
Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das
Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare
der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blaſen
das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht,
den Vorübergehenden ins Geſicht.
Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück.
Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen,
die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen.
Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa-
milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal
die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten,
wo der Menſch ſo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen-
ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem
Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil
frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu
ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen.
Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo-,
des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas
einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler
von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben
wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen,
die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer
Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania
general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana,
in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und
im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr-
hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der
Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt
man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu
25 Piaſtern an, ſo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr
aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas
800000 Piaſter.
Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/257>, abgerufen am 21.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.