Terra Firma nördlich vom Orinoko nirgends wild; erst jen- seits der Fälle von Atures und Maypures trafen wir ihn nach und nach an. Besonders häufig wächst er an den Ufern des Ventuari und am oberen Orinoko zwischen dem Padamo und dem Gehette. Daß der Kakaobaum in Südamerika nord- wärts vom 6. Breitengrad so selten wild vorkommt, ist für die Pflanzengeographie sehr interessant und war bisher wenig bekannt. Die Erscheinung ist um so auffallender, da man nach dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Kakaopflanzungen in Cumana, Nueva Barcelona, Venezuela, Varinas und Mara- caybo über 16 Millionen Bäume in vollem Ertrag rechnet. Der wilde Kakaobaum hat sehr viele Aeste und sein Laub ist dicht und dunkel. Er trägt eine sehr kleine Frucht, ähnlich der Spielart, welche die alten Mexikaner Tlalcacahuatl nannten. In die Conucos der Indianer am Cassiquiare und Rio Negro versetzt, behält der wilde Baum mehrere Genera- tionen die Kraft des vegetativen Lebens, die ihn vom vierten Jahre an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die Ernten erst mit dem sechsten, siebenten oder achten Jahre be- ginnen. Sie treten im Binnenlande später ein als an den Küsten und im Thale von Guapo. Wir fanden am Orinoko keinen Volksstamm, der aus der Bohne des Kakaobaumes ein Getränk bereitete. Die Wilden saugen das Mark der Hülse aus und werfen die Samen weg, daher man dieselben oft in Menge auf ihren Lagerplätzen findet. Wenn auch an der Küste der Chorote, ein ganz schwacher Kakaoaufguß, für ein uraltes Getränk gilt, so gibt es doch keinen geschichtlichen Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der Ankunft der Spanier die Schokolade oder irgend eine Zuberei- tung des Kakao gekannt haben. Wahrscheinlicher scheint mir, daß man in Caracas den Kakaobaum nach dem Vorbilde von Mexiko und Guatemala angebaut hat, und daß die in Terra Firma angesiedelten Spanier die Behandlung des Baumes, der jung im Schatten der Erythrina und des Bananenbaumes auf- wächst, die Bereitung der Schokoladetafeln und den Gebrauch des Getränkes dieses Namens durch den Verkehr mit Mexiko, Guatemala und Nicaragua gelernt haben, drei Länder, deren Einwohner von toltekischem und aztekischem Stamme sind.
Bis zum 16. Jahrhundert weichen die Reisenden in ihren Urteilen über die Schokolade sehr voneinander ab. Benzoni sagt in seiner derben Sprache, es sei ein Getränk vielmehr "da porci, che da huomini". Der Jesuit Acosta versichert,
Terra Firma nördlich vom Orinoko nirgends wild; erſt jen- ſeits der Fälle von Atures und Maypures trafen wir ihn nach und nach an. Beſonders häufig wächſt er an den Ufern des Ventuari und am oberen Orinoko zwiſchen dem Padamo und dem Gehette. Daß der Kakaobaum in Südamerika nord- wärts vom 6. Breitengrad ſo ſelten wild vorkommt, iſt für die Pflanzengeographie ſehr intereſſant und war bisher wenig bekannt. Die Erſcheinung iſt um ſo auffallender, da man nach dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Kakaopflanzungen in Cumana, Nueva Barcelona, Venezuela, Varinas und Mara- caybo über 16 Millionen Bäume in vollem Ertrag rechnet. Der wilde Kakaobaum hat ſehr viele Aeſte und ſein Laub iſt dicht und dunkel. Er trägt eine ſehr kleine Frucht, ähnlich der Spielart, welche die alten Mexikaner Tlalcacahuatl nannten. In die Conucos der Indianer am Caſſiquiare und Rio Negro verſetzt, behält der wilde Baum mehrere Genera- tionen die Kraft des vegetativen Lebens, die ihn vom vierten Jahre an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die Ernten erſt mit dem ſechſten, ſiebenten oder achten Jahre be- ginnen. Sie treten im Binnenlande ſpäter ein als an den Küſten und im Thale von Guapo. Wir fanden am Orinoko keinen Volksſtamm, der aus der Bohne des Kakaobaumes ein Getränk bereitete. Die Wilden ſaugen das Mark der Hülſe aus und werfen die Samen weg, daher man dieſelben oft in Menge auf ihren Lagerplätzen findet. Wenn auch an der Küſte der Chorote, ein ganz ſchwacher Kakaoaufguß, für ein uraltes Getränk gilt, ſo gibt es doch keinen geſchichtlichen Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der Ankunft der Spanier die Schokolade oder irgend eine Zuberei- tung des Kakao gekannt haben. Wahrſcheinlicher ſcheint mir, daß man in Caracas den Kakaobaum nach dem Vorbilde von Mexiko und Guatemala angebaut hat, und daß die in Terra Firma angeſiedelten Spanier die Behandlung des Baumes, der jung im Schatten der Erythrina und des Bananenbaumes auf- wächſt, die Bereitung der Schokoladetafeln und den Gebrauch des Getränkes dieſes Namens durch den Verkehr mit Mexiko, Guatemala und Nicaragua gelernt haben, drei Länder, deren Einwohner von toltekiſchem und aztekiſchem Stamme ſind.
Bis zum 16. Jahrhundert weichen die Reiſenden in ihren Urteilen über die Schokolade ſehr voneinander ab. Benzoni ſagt in ſeiner derben Sprache, es ſei ein Getränk vielmehr „da porci, che da huomini“. Der Jeſuit Acoſta verſichert,
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Terra Firma nördlich vom Orinoko nirgends wild; erſt jen-
ſeits der Fälle von Atures und Maypures trafen wir ihn
nach und nach an. Beſonders häufig wächſt er an den Ufern
des Ventuari und am oberen Orinoko zwiſchen dem Padamo
und dem Gehette. Daß der Kakaobaum in Südamerika nord-
wärts vom 6. Breitengrad ſo ſelten wild vorkommt, iſt für
die Pflanzengeographie ſehr intereſſant und war bisher wenig
bekannt. Die Erſcheinung iſt um ſo auffallender, da man
nach dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Kakaopflanzungen
in Cumana, Nueva Barcelona, Venezuela, Varinas und Mara-
caybo über 16 Millionen Bäume in vollem Ertrag rechnet.
Der wilde Kakaobaum hat ſehr viele Aeſte und ſein Laub iſt
dicht und dunkel. Er trägt eine ſehr kleine Frucht, ähnlich
der Spielart, welche die alten Mexikaner Tlalcacahuatl
nannten. In die Conucos der Indianer am Caſſiquiare und
Rio Negro verſetzt, behält der wilde Baum mehrere Genera-
tionen die Kraft des vegetativen Lebens, die ihn vom vierten
Jahre an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die
Ernten erſt mit dem ſechſten, ſiebenten oder achten Jahre be-
ginnen. Sie treten im Binnenlande ſpäter ein als an den
Küſten und im Thale von Guapo. Wir fanden am Orinoko
keinen Volksſtamm, der aus der Bohne des Kakaobaumes ein
Getränk bereitete. Die Wilden ſaugen das Mark der Hülſe
aus und werfen die Samen weg, daher man dieſelben oft in
Menge auf ihren Lagerplätzen findet. Wenn auch an der
Küſte der Chorote, ein ganz ſchwacher Kakaoaufguß, für ein
uraltes Getränk gilt, ſo gibt es doch keinen geſchichtlichen
Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der
Ankunft der Spanier die Schokolade oder irgend eine Zuberei-
tung des Kakao gekannt haben. Wahrſcheinlicher ſcheint mir,
daß man in Caracas den Kakaobaum nach dem Vorbilde von
Mexiko und Guatemala angebaut hat, und daß die in Terra
Firma angeſiedelten Spanier die Behandlung des Baumes, der
jung im Schatten der Erythrina und des Bananenbaumes auf-
wächſt, die Bereitung der Schokoladetafeln und den Gebrauch
des Getränkes dieſes Namens durch den Verkehr mit Mexiko,
Guatemala und Nicaragua gelernt haben, drei Länder, deren
Einwohner von toltekiſchem und aztekiſchem Stamme ſind.
Bis zum 16. Jahrhundert weichen die Reiſenden in ihren
Urteilen über die Schokolade ſehr voneinander ab. Benzoni
ſagt in ſeiner derben Sprache, es ſei ein Getränk vielmehr
„da porci, che da huomini“. Der Jeſuit Acoſta verſichert,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/258>, abgerufen am 21.06.2024.
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