umherschweifenden Leben entsagten, die kultivierten Völker von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka und des Zaque 1 umstürzten und an die Stelle des Despo- tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Despotismus setzten, wie ihn das patriarchalische Regiment der Hirtenvölker mit sich bringt. Die Menschheit der Neuen Welt hat diese großen moralischen und politischen Wechsel nicht durchgemacht, und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die asiatischen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich ist, und weil in der Entwickelung amerikanischer Kultur das Mittelglied zwischen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern fehlte.
Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten gegenüber den Wüsten Afrikas und den fruchtbaren Steppen Asiens schienen mir geeignet, den Bericht einer Reise durch so einförmige Landstriche anziehender zu machen. Jetzt aber mag mich der Leser auf unserem Wege von den vulkani- schen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas begleiten.
Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde gewesen und ver- geblich unter Gebüsch von Murichipalmen Schutz gegen die Sonnenglut gesucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen Hofe "El Cayman", auch la Guadelupe genannt. Es ist dies ein Hato de Ganado, das heißt ein einsames Haus in der Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, ist nicht ein- gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren Quadratmeilen. Nirgends ist eine Umzäunung. Männer, bis zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, streifen zu Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be- halten, zurückzutreiben, was sich zu weit von den Weiden des Hofes verläuft, mit dem glühenden Eisen zu zeichnen, was noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Diese Far- bigen, Peones Llaneros genannt, sind zum Teil Freie oder
1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca. Er teilte die oberste Gewalt mit dem Hohenpriester (Lama) von Iraca.
umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka und des Zaque 1 umſtürzten und an die Stelle des Deſpo- tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Deſpotismus ſetzten, wie ihn das patriarchaliſche Regiment der Hirtenvölker mit ſich bringt. Die Menſchheit der Neuen Welt hat dieſe großen moraliſchen und politiſchen Wechſel nicht durchgemacht, und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die aſiatiſchen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich iſt, und weil in der Entwickelung amerikaniſcher Kultur das Mittelglied zwiſchen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern fehlte.
Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten gegenüber den Wüſten Afrikas und den fruchtbaren Steppen Aſiens ſchienen mir geeignet, den Bericht einer Reiſe durch ſo einförmige Landſtriche anziehender zu machen. Jetzt aber mag mich der Leſer auf unſerem Wege von den vulkani- ſchen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas begleiten.
Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver- geblich unter Gebüſch von Murichipalmen Schutz gegen die Sonnenglut geſucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen Hofe „El Cayman“, auch la Guadelupe genannt. Es iſt dies ein Hato de Ganado, das heißt ein einſames Haus in der Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, iſt nicht ein- gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren Quadratmeilen. Nirgends iſt eine Umzäunung. Männer, bis zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, ſtreifen zu Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be- halten, zurückzutreiben, was ſich zu weit von den Weiden des Hofes verläuft, mit dem glühenden Eiſen zu zeichnen, was noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Dieſe Far- bigen, Peones Llaneros genannt, ſind zum Teil Freie oder
1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca. Er teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von Iraca.
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umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker
von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka
und des Zaque 1 umſtürzten und an die Stelle des Deſpo-
tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Deſpotismus
ſetzten, wie ihn das patriarchaliſche Regiment der Hirtenvölker
mit ſich bringt. Die Menſchheit der Neuen Welt hat dieſe
großen moraliſchen und politiſchen Wechſel nicht durchgemacht,
und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die
aſiatiſchen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die
reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich
iſt, und weil in der Entwickelung amerikaniſcher Kultur das
Mittelglied zwiſchen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern
fehlte.
Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die
Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten
gegenüber den Wüſten Afrikas und den fruchtbaren Steppen
Aſiens ſchienen mir geeignet, den Bericht einer Reiſe durch
ſo einförmige Landſtriche anziehender zu machen. Jetzt aber
mag mich der Leſer auf unſerem Wege von den vulkani-
ſchen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der
Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas
begleiten.
Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver-
geblich unter Gebüſch von Murichipalmen Schutz gegen die
Sonnenglut geſucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen
Hofe „El Cayman“, auch la Guadelupe genannt. Es iſt dies
ein Hato de Ganado, das heißt ein einſames Haus in der
Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte
Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, iſt nicht ein-
gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren
Quadratmeilen. Nirgends iſt eine Umzäunung. Männer, bis
zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, ſtreifen zu
Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be-
halten, zurückzutreiben, was ſich zu weit von den Weiden des
Hofes verläuft, mit dem glühenden Eiſen zu zeichnen, was
noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Dieſe Far-
bigen, Peones Llaneros genannt, ſind zum Teil Freie oder
1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca.
Er teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/288>, abgerufen am 21.06.2024.
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