Ermüdung und Durst erschöpft, Augen, Nase, Mund voll Staub, der Atem röchelnd; sie konnte uns keine Antwort geben. Neben ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück hatten wir ein Maultier bei uns, das Wasser trug. Wir brachten das Mädchen zu sich, indem wir ihr das Gesicht wuschen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war anfangs erschrocken über die vielen Leute um sie her, aber sie beruhigte sich nach und nach und sprach mit unseren Führern. Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müsse sie mehrere Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu bringen, eines unserer Lasttiere zu besteigen. Sie wollte nicht nach Uritucu zurück; sie hatte in einem Hofe in der Nähe gedient und war von ihrer Herrschaft verstoßen worden, weil sie infolge einer langen Krankheit nicht mehr so viel leisten konnte als zuvor. Unsere Drohungen und Bitten fruchteten nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Rasse, in die Gegenwart versunken ohne Bangen vor künftiger Ge- fahr, beharrte sie auf ihrem Entschluß, in eine der indiani- schen Missionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir schütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit Wasser. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, setzte sie ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog sie eine Staub- wolke unseren Blicken.
In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hausen. Man warnte uns, unsere Hunde nicht am Fluß saufen zu lassen, weil es gar nicht selten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus dem Wasser gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche Keckheit fällt desto mehr auf, da 27 km von da, im Rio Tisnao, die Krokodile ziemlich schüchtern und unschädlich sind. Die Sitten der Tiere einer und derselben Art zeigen Ab- weichungen nach örtlichen Einflüssen, die schwer aufzuklären sind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art Schuppen, wo unser Wirt in Calabozo, Don Miguel Cousin, einen höchst merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er schlief mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank, da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen furchtbaren Lärm aufgeschreckt. Erdschollen werden in die Hütte geschleudert. Nicht lange, so kommt ein junges 60 bis 90 cm langes Krokodil unter der Schlafstätte hervor, fährt auf einen Hund los, der auf der Thürschwelle lag, verfehlt ihn im ungestümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in
Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub, der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern. Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge- fahr, beharrte ſie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani- ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog ſie eine Staub- wolke unſeren Blicken.
In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 km von da, im Rio Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind. Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab- weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin, einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank, da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis 90 cm langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0308"n="300"/>
Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub,<lb/>
der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben<lb/>
ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück<lb/>
hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir<lb/>
brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht<lb/>
wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war<lb/>
anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie<lb/>
beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern.<lb/>
Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere<lb/>
Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu<lb/>
bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht<lb/>
nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe<lb/>
gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil<lb/>ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten<lb/>
konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten<lb/>
nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in<lb/>
die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge-<lb/>
fahr, beharrte ſie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani-<lb/>ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir<lb/>ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit<lb/>
Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie<lb/>
ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog ſie eine Staub-<lb/>
wolke unſeren Blicken.</p><lb/><p>In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in<lb/>
dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte<lb/>
uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es<lb/>
gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus<lb/>
dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche<lb/>
Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 <hirendition="#aq">km</hi> von da, im Rio<lb/>
Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind.<lb/>
Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab-<lb/>
weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären<lb/>ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art<lb/>
Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin,<lb/>
einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief<lb/>
mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank,<lb/>
da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen<lb/>
furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die<lb/>
Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis<lb/>
90 <hirendition="#aq">cm</hi> langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt<lb/>
auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt<lb/>
ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[300/0308]
Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub,
der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben
ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück
hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir
brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht
wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war
anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie
beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern.
Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere
Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu
bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht
nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe
gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil
ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten
konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten
nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in
die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge-
fahr, beharrte ſie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani-
ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir
ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit
Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie
ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog ſie eine Staub-
wolke unſeren Blicken.
In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in
dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte
uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es
gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus
dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche
Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 km von da, im Rio
Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind.
Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab-
weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären
ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art
Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin,
einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief
mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank,
da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen
furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die
Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis
90 cm langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt
auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt
ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/308>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.