Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

schreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria
glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt
zu schildern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge-
schichtschreiber der Eroberung liest, namentlich die Briefe Peter
Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des
Katholischen geschrieben, die reich sind an geistreichen Be-
merkungen über Christoph Kolumbus, Leo X. und Luther,
und aus denen edle Begeisterung für die großen Entdeckungen
eines an außerordentlichen Ereignissen so reichen Jahrhunderts
spricht. Eine nähere Beschreibung der Sitten der Völker,
die man lange unter der Gesamtbenennung Cumanier (Cu-
maneses
) zusammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab-
sicht; dagegen scheint es mir von Belang, einen Punkt auf-
zuklären, den ich im spanischen Amerika häufig habe besprechen
hören.

Die heutigen Pariagoten oder Paria sind rotbraun wie
die Kariben, die Chaymas und fast alle Eingeborenen der
Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geschicht-
schreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die ersten Besucher
haben am Vorgebirge Paria weiße Menschen mit blonden
Haaren gesehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler
Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen
des Orinoko gesehen? Aber diese Indianer hatten so schwarzes
Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer
Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf
der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieser
Mißbildung sind bei der kupferfarbigen Rasse ungemein selten,
und Anghiera wie auch Gomara sprachen von den Einwohnern
von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide 1
beschreiben sie wie Völker germanischen Stammes, sie seien
weiß mit blonden Haaren. Ferner sollen sie ähnlich wie
Türken gekleidet gewesen sein. 2 Gomara und Anghiera schreiben
nach mündlichen Berichten, die sie gesammelt.


1 Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae albi, ca-
pillis oblongis protensis flavis. Utriusque sexus indigenae
albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver-
santur
.
Gomara sagt von den Eingeborenen, die Kolumbus an
der Mündung des Flusses Cumana gesehen: "Las donzellas eran
amorosas, desundas y blancas (las de la casa); los Indios
que van al campo, estan negros del sol."
2 Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge-
streiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa diesen

ſchreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria
glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt
zu ſchildern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge-
ſchichtſchreiber der Eroberung lieſt, namentlich die Briefe Peter
Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des
Katholiſchen geſchrieben, die reich ſind an geiſtreichen Be-
merkungen über Chriſtoph Kolumbus, Leo X. und Luther,
und aus denen edle Begeiſterung für die großen Entdeckungen
eines an außerordentlichen Ereigniſſen ſo reichen Jahrhunderts
ſpricht. Eine nähere Beſchreibung der Sitten der Völker,
die man lange unter der Geſamtbenennung Cumanier (Cu-
maneses
) zuſammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab-
ſicht; dagegen ſcheint es mir von Belang, einen Punkt auf-
zuklären, den ich im ſpaniſchen Amerika häufig habe beſprechen
hören.

Die heutigen Pariagoten oder Paria ſind rotbraun wie
die Kariben, die Chaymas und faſt alle Eingeborenen der
Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geſchicht-
ſchreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die erſten Beſucher
haben am Vorgebirge Paria weiße Menſchen mit blonden
Haaren geſehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler
Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen
des Orinoko geſehen? Aber dieſe Indianer hatten ſo ſchwarzes
Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer
Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf
der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieſer
Mißbildung ſind bei der kupferfarbigen Raſſe ungemein ſelten,
und Anghiera wie auch Gomara ſprachen von den Einwohnern
von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide 1
beſchreiben ſie wie Völker germaniſchen Stammes, ſie ſeien
weiß mit blonden Haaren. Ferner ſollen ſie ähnlich wie
Türken gekleidet geweſen ſein. 2 Gomara und Anghiera ſchreiben
nach mündlichen Berichten, die ſie geſammelt.


1 Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae albi, ca-
pillis oblongis protensis flavis. Utriusque sexus indigenae
albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver-
santur
.
Gomara ſagt von den Eingeborenen, die Kolumbus an
der Mündung des Fluſſes Cumana geſehen: „Las donzellas eran
amorosas, desundas y blancas (las de la casa); los Indios
que van al campo, estan negros del sol.“
2 Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge-
ſtreiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa dieſen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="37"/>
&#x017F;chreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria<lb/>
glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt<lb/>
zu &#x017F;childern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge-<lb/>
&#x017F;chicht&#x017F;chreiber der Eroberung lie&#x017F;t, namentlich die Briefe Peter<lb/>
Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des<lb/>
Katholi&#x017F;chen ge&#x017F;chrieben, die reich &#x017F;ind an gei&#x017F;treichen Be-<lb/>
merkungen über Chri&#x017F;toph Kolumbus, Leo <hi rendition="#aq">X.</hi> und Luther,<lb/>
und aus denen edle Begei&#x017F;terung für die großen Entdeckungen<lb/>
eines an außerordentlichen Ereigni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o reichen Jahrhunderts<lb/>
&#x017F;pricht. Eine nähere Be&#x017F;chreibung der Sitten der Völker,<lb/>
die man lange unter der Ge&#x017F;amtbenennung Cumanier (<hi rendition="#aq">Cu-<lb/>
maneses</hi>) zu&#x017F;ammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab-<lb/>
&#x017F;icht; dagegen &#x017F;cheint es mir von Belang, einen Punkt auf-<lb/>
zuklären, den ich im &#x017F;pani&#x017F;chen Amerika häufig habe be&#x017F;prechen<lb/>
hören.</p><lb/>
          <p>Die heutigen Pariagoten oder Paria &#x017F;ind rotbraun wie<lb/>
die Kariben, die Chaymas und fa&#x017F;t alle Eingeborenen der<lb/>
Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Ge&#x017F;chicht-<lb/>
&#x017F;chreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die er&#x017F;ten Be&#x017F;ucher<lb/>
haben am Vorgebirge Paria weiße Men&#x017F;chen mit blonden<lb/>
Haaren ge&#x017F;ehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler<lb/>
Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen<lb/>
des Orinoko ge&#x017F;ehen? Aber die&#x017F;e Indianer hatten &#x017F;o &#x017F;chwarzes<lb/>
Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer<lb/>
Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf<lb/>
der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle die&#x017F;er<lb/>
Mißbildung &#x017F;ind bei der kupferfarbigen Ra&#x017F;&#x017F;e ungemein &#x017F;elten,<lb/>
und Anghiera wie auch Gomara &#x017F;prachen von den Einwohnern<lb/>
von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae <hi rendition="#g">albi</hi>, ca-<lb/>
pillis oblongis protensis <hi rendition="#g">flavis</hi>. Utriusque sexus indigenae<lb/><hi rendition="#g">albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver-<lb/>
santur</hi>.</hi> Gomara &#x017F;agt von den Eingeborenen, die Kolumbus an<lb/>
der Mündung des Flu&#x017F;&#x017F;es Cumana ge&#x017F;ehen: <hi rendition="#aq">&#x201E;Las donzellas eran<lb/>
amorosas, desundas y <hi rendition="#g">blancas</hi> (las de la casa); los Indios<lb/>
que van al campo, estan negros del sol.&#x201C;</hi></note><lb/>
be&#x017F;chreiben &#x017F;ie wie Völker germani&#x017F;chen Stammes, &#x017F;ie &#x017F;eien<lb/>
weiß mit blonden Haaren. Ferner &#x017F;ollen &#x017F;ie ähnlich wie<lb/>
Türken gekleidet gewe&#x017F;en &#x017F;ein. <note xml:id="note-0045" next="#note-0046" place="foot" n="2">Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge-<lb/>
&#x017F;treiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa die&#x017F;en</note> Gomara und Anghiera &#x017F;chreiben<lb/>
nach mündlichen Berichten, die &#x017F;ie ge&#x017F;ammelt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0045] ſchreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt zu ſchildern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge- ſchichtſchreiber der Eroberung lieſt, namentlich die Briefe Peter Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des Katholiſchen geſchrieben, die reich ſind an geiſtreichen Be- merkungen über Chriſtoph Kolumbus, Leo X. und Luther, und aus denen edle Begeiſterung für die großen Entdeckungen eines an außerordentlichen Ereigniſſen ſo reichen Jahrhunderts ſpricht. Eine nähere Beſchreibung der Sitten der Völker, die man lange unter der Geſamtbenennung Cumanier (Cu- maneses) zuſammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab- ſicht; dagegen ſcheint es mir von Belang, einen Punkt auf- zuklären, den ich im ſpaniſchen Amerika häufig habe beſprechen hören. Die heutigen Pariagoten oder Paria ſind rotbraun wie die Kariben, die Chaymas und faſt alle Eingeborenen der Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geſchicht- ſchreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die erſten Beſucher haben am Vorgebirge Paria weiße Menſchen mit blonden Haaren geſehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen des Orinoko geſehen? Aber dieſe Indianer hatten ſo ſchwarzes Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieſer Mißbildung ſind bei der kupferfarbigen Raſſe ungemein ſelten, und Anghiera wie auch Gomara ſprachen von den Einwohnern von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide 1 beſchreiben ſie wie Völker germaniſchen Stammes, ſie ſeien weiß mit blonden Haaren. Ferner ſollen ſie ähnlich wie Türken gekleidet geweſen ſein. 2 Gomara und Anghiera ſchreiben nach mündlichen Berichten, die ſie geſammelt. 1 Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae albi, ca- pillis oblongis protensis flavis. Utriusque sexus indigenae albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver- santur. Gomara ſagt von den Eingeborenen, die Kolumbus an der Mündung des Fluſſes Cumana geſehen: „Las donzellas eran amorosas, desundas y blancas (las de la casa); los Indios que van al campo, estan negros del sol.“ 2 Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge- ſtreiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa dieſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/45
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/45>, abgerufen am 21.11.2024.