Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.aufgegangen und beschien die zerklüfteten, kahlen, seltsam gestal- Man mag sich wundern, Inseln, die Caracas heißen, so aufgegangen und beſchien die zerklüfteten, kahlen, ſeltſam geſtal- Man mag ſich wundern, Inſeln, die Caracas heißen, ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0074" n="66"/> aufgegangen und beſchien die zerklüfteten, kahlen, ſeltſam geſtal-<lb/> teten Felsmaſſen. Zwiſchen Cumana und Kap Codera bildet<lb/> das Meer jetzt eine Art Bucht, eine leichte Einbiegung in das<lb/> Land. Die Eilande Picua, Picuita, Caracas und Boracha<lb/> erſcheinen als Trümmer der alten Küſte, die von Bordones<lb/> in der gleichen Richtung von Oſt nach Weſt lief. Hinter<lb/> dieſen Inſeln liegen die Buſen Mochima und Santa F<hi rendition="#aq">é</hi>, die<lb/> ſicher eines Tages ſtark beſuchte Häfen werden. Das zer-<lb/> riſſene Land, die zerbrochenen, ſtark fallenden Schichten, alles<lb/> deutet hier auf eine große Umwälzung hin, vielleicht dieſelbe,<lb/> welche die Kette der Urgebirge geſprengt und die Glimmer-<lb/> ſchiefer von Araya und der Inſel Margarita vom Gneis des<lb/> Vorgebirges Codera losgeriſſen hat. Mehrere dieſer Inſeln<lb/> ſieht man in Cumana von den flachen Dächern, und dort<lb/> zeigen ſich an ihnen infolge der verſchiedenen Temperatur der<lb/> übereinander gelagerten Luftſchichten die ſonderbarſten Ver-<lb/> rückungen und Luftſpiegelungen. Dieſe Felſen ſind ſchwerlich<lb/> über 290 <hi rendition="#aq">m</hi> hoch, aber nachts bei Mondlicht ſcheinen ſie von<lb/> ſehr bedeutender Höhe.</p><lb/> <p>Man mag ſich wundern, Inſeln, die Caracas heißen, ſo<lb/> weit von der Stadt dieſes Namens, der Küſte der Cumana-<lb/> goten gegenüber zu finden; aber Caracas bedeutete in der erſten<lb/> Zeit nach der Eroberung keinen Ort, ſondern einen Indianer-<lb/> ſtamm. Die Gruppen der ſehr gebirgigen Eilande, an denen<lb/> wir nahe hinfuhren, entzogen uns den Wind, und mit Sonnen-<lb/> aufgang trieben uns ſchmale Waſſerfäden in der Strömung<lb/> auf Boracha zu, das größte der Eilande. Da die Felſen faſt<lb/> ſenkrecht aufſteigen, ſo fällt der Meeresgrund ſteil ab und auf<lb/> einer anderen Fahrt habe ich Fregatten hier ſo nahe ankern<lb/> ſehen, daß ſie beinahe ans Land ſtießen. Die Lufttemperatur<lb/> war bedeutend geſtiegen, ſeit wir zwiſchen den Inſeln des<lb/> kleinen Archipels hinfuhren. Das Geſtein erhitzt ſich am<lb/> Tage und gibt bei Nacht die abſorbierte Wärme durch Strah-<lb/> lung zum Teil wieder ab. Je mehr die Sonne über den<lb/> Horizont ſtieg, deſto weiter warfen die zerriſſenen Berge ihre<lb/> gewaltigen Schatten auf die Meeresfläche. Die Flamingo<lb/> begannen ihren Fiſchfang allenthalben, wo nur in einer Bucht<lb/> vor dem Kalkgeſtein ein ſchmaler Strand hinlief. Alle dieſe<lb/> Eilande ſind jetzt ganz unbewohnt; aber auf einer der Caracas<lb/> leben wilde, braune, ſehr große, ſchnellfüßige Ziegen mit —<lb/> wie unſer Steuermann verſicherte — ſehr wohlſchmeckendem<lb/> Fleiſche. Vor dreißig Jahren hatte ſich eine weiße Familie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0074]
aufgegangen und beſchien die zerklüfteten, kahlen, ſeltſam geſtal-
teten Felsmaſſen. Zwiſchen Cumana und Kap Codera bildet
das Meer jetzt eine Art Bucht, eine leichte Einbiegung in das
Land. Die Eilande Picua, Picuita, Caracas und Boracha
erſcheinen als Trümmer der alten Küſte, die von Bordones
in der gleichen Richtung von Oſt nach Weſt lief. Hinter
dieſen Inſeln liegen die Buſen Mochima und Santa Fé, die
ſicher eines Tages ſtark beſuchte Häfen werden. Das zer-
riſſene Land, die zerbrochenen, ſtark fallenden Schichten, alles
deutet hier auf eine große Umwälzung hin, vielleicht dieſelbe,
welche die Kette der Urgebirge geſprengt und die Glimmer-
ſchiefer von Araya und der Inſel Margarita vom Gneis des
Vorgebirges Codera losgeriſſen hat. Mehrere dieſer Inſeln
ſieht man in Cumana von den flachen Dächern, und dort
zeigen ſich an ihnen infolge der verſchiedenen Temperatur der
übereinander gelagerten Luftſchichten die ſonderbarſten Ver-
rückungen und Luftſpiegelungen. Dieſe Felſen ſind ſchwerlich
über 290 m hoch, aber nachts bei Mondlicht ſcheinen ſie von
ſehr bedeutender Höhe.
Man mag ſich wundern, Inſeln, die Caracas heißen, ſo
weit von der Stadt dieſes Namens, der Küſte der Cumana-
goten gegenüber zu finden; aber Caracas bedeutete in der erſten
Zeit nach der Eroberung keinen Ort, ſondern einen Indianer-
ſtamm. Die Gruppen der ſehr gebirgigen Eilande, an denen
wir nahe hinfuhren, entzogen uns den Wind, und mit Sonnen-
aufgang trieben uns ſchmale Waſſerfäden in der Strömung
auf Boracha zu, das größte der Eilande. Da die Felſen faſt
ſenkrecht aufſteigen, ſo fällt der Meeresgrund ſteil ab und auf
einer anderen Fahrt habe ich Fregatten hier ſo nahe ankern
ſehen, daß ſie beinahe ans Land ſtießen. Die Lufttemperatur
war bedeutend geſtiegen, ſeit wir zwiſchen den Inſeln des
kleinen Archipels hinfuhren. Das Geſtein erhitzt ſich am
Tage und gibt bei Nacht die abſorbierte Wärme durch Strah-
lung zum Teil wieder ab. Je mehr die Sonne über den
Horizont ſtieg, deſto weiter warfen die zerriſſenen Berge ihre
gewaltigen Schatten auf die Meeresfläche. Die Flamingo
begannen ihren Fiſchfang allenthalben, wo nur in einer Bucht
vor dem Kalkgeſtein ein ſchmaler Strand hinlief. Alle dieſe
Eilande ſind jetzt ganz unbewohnt; aber auf einer der Caracas
leben wilde, braune, ſehr große, ſchnellfüßige Ziegen mit —
wie unſer Steuermann verſicherte — ſehr wohlſchmeckendem
Fleiſche. Vor dreißig Jahren hatte ſich eine weiße Familie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |