stellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beispiel, daß die Kontraste des Baumlaubes, be- sonders aber die große Menge von Gewächsen mit gefiederten Blättern ein Hauptschmuck dieser Zone sind. Die Esche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Akazie der Vereinigten Staaten, die Gleditschia, die Tamarinde, die Mimosen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deshalb eine Gruppe von Eschen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom malerischen Effekte zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimosen macht, wenn das Himmelsblau zwischen ihren kleinen, dünnen, zart- gefiederten Blättern durchbricht? Diese Betrachtungen sind wichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen. Die Gestalten der Gewächse bestimmen die Physiognomie der Natur, und diese Physiognomie wirkt zurück auf die geistige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter miteinander übereinkommen, aber sich dadurch unterscheiden, daß dieselben Organe verschiedentlich entwickelt sind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malva- ceen, die Bäume mit gefiederten Blättern sind nicht alle ma- lerisch gleich schön, und meist, im Pflanzenreiche wie im Tier- reiche, gehören die schönsten Arten eines jeden Typus dem tropischen Erdstriche an.
Die Protaceen, Kroton, Agaven und die große Sippe der Kaktus, die ausschließlich nur in der Neuen Welt vor- kommt, verschwinden allmählich, wenn man auf dem Orinoko über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indessen ist viel mehr die Beschattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küsten daran schuld, wenn die Kaktus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben östlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem oberen Amazonenstrome zu, ganze Kaktuswälder, mit Kroton da- zwischen, große dürre Landstriche bedecken sehen. Die Baum- farne scheinen an den Fällen des Orinoko ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einflusse des Guaviare in den Orinoko.
Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromschnellen selbst zu sprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeschnittene Flußbett fast unzugängliche Ufer hat. Nur an sehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoko gelangen, um zwischen
ſtellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beiſpiel, daß die Kontraſte des Baumlaubes, be- ſonders aber die große Menge von Gewächſen mit gefiederten Blättern ein Hauptſchmuck dieſer Zone ſind. Die Eſche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Akazie der Vereinigten Staaten, die Gleditſchia, die Tamarinde, die Mimoſen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deshalb eine Gruppe von Eſchen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom maleriſchen Effekte zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimoſen macht, wenn das Himmelsblau zwiſchen ihren kleinen, dünnen, zart- gefiederten Blättern durchbricht? Dieſe Betrachtungen ſind wichtiger, als ſie auf den erſten Blick ſcheinen. Die Geſtalten der Gewächſe beſtimmen die Phyſiognomie der Natur, und dieſe Phyſiognomie wirkt zurück auf die geiſtige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter miteinander übereinkommen, aber ſich dadurch unterſcheiden, daß dieſelben Organe verſchiedentlich entwickelt ſind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malva- ceen, die Bäume mit gefiederten Blättern ſind nicht alle ma- leriſch gleich ſchön, und meiſt, im Pflanzenreiche wie im Tier- reiche, gehören die ſchönſten Arten eines jeden Typus dem tropiſchen Erdſtriche an.
Die Protaceen, Kroton, Agaven und die große Sippe der Kaktus, die ausſchließlich nur in der Neuen Welt vor- kommt, verſchwinden allmählich, wenn man auf dem Orinoko über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indeſſen iſt viel mehr die Beſchattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küſten daran ſchuld, wenn die Kaktus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben öſtlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem oberen Amazonenſtrome zu, ganze Kaktuswälder, mit Kroton da- zwiſchen, große dürre Landſtriche bedecken ſehen. Die Baum- farne ſcheinen an den Fällen des Orinoko ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einfluſſe des Guaviare in den Orinoko.
Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromſchnellen ſelbſt zu ſprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeſchnittene Flußbett faſt unzugängliche Ufer hat. Nur an ſehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoko gelangen, um zwiſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0133"n="125"/>ſtellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann<lb/>
weiß zum Beiſpiel, daß die Kontraſte des Baumlaubes, be-<lb/>ſonders aber die große Menge von Gewächſen mit gefiederten<lb/>
Blättern ein Hauptſchmuck dieſer Zone ſind. Die Eſche, der<lb/>
Vogelbeerbaum, die Inga, die Akazie der Vereinigten Staaten,<lb/>
die Gleditſchia, die Tamarinde, die Mimoſen, die Desmanthus<lb/>
haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen,<lb/>
dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun<lb/>
aber deshalb eine Gruppe von Eſchen, Vogelbeerbäumen oder<lb/>
Sumachbäumen uns einen Begriff vom maleriſchen Effekte zu<lb/>
geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimoſen macht,<lb/>
wenn das Himmelsblau zwiſchen ihren kleinen, dünnen, zart-<lb/>
gefiederten Blättern durchbricht? Dieſe Betrachtungen ſind<lb/>
wichtiger, als ſie auf den erſten Blick ſcheinen. Die Geſtalten<lb/>
der Gewächſe beſtimmen die Phyſiognomie der Natur, und<lb/>
dieſe Phyſiognomie wirkt zurück auf die geiſtige Stimmung<lb/>
der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im<lb/>
allgemeinen Charakter miteinander übereinkommen, aber ſich<lb/>
dadurch unterſcheiden, daß dieſelben Organe verſchiedentlich<lb/>
entwickelt ſind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malva-<lb/>
ceen, die Bäume mit gefiederten Blättern ſind nicht alle ma-<lb/>
leriſch gleich ſchön, und meiſt, im Pflanzenreiche wie im Tier-<lb/>
reiche, gehören die ſchönſten Arten eines jeden Typus dem<lb/>
tropiſchen Erdſtriche an.</p><lb/><p>Die Protaceen, Kroton, Agaven und die große Sippe<lb/>
der Kaktus, die ausſchließlich nur in der Neuen Welt vor-<lb/>
kommt, verſchwinden allmählich, wenn man auf dem Orinoko<lb/>
über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt.<lb/>
Indeſſen iſt viel mehr die Beſchattung und die Feuchtigkeit,<lb/>
als die Entfernung von den Küſten daran ſchuld, wenn die<lb/>
Kaktus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben öſtlich<lb/>
von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem oberen<lb/>
Amazonenſtrome zu, ganze Kaktuswälder, mit Kroton da-<lb/>
zwiſchen, große dürre Landſtriche bedecken ſehen. Die Baum-<lb/>
farne ſcheinen an den Fällen des Orinoko ganz zu fehlen; wir<lb/>
fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt<lb/>
vor dem Einfluſſe des Guaviare in den Orinoko.</p><lb/><p>Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich<lb/>
habe jetzt noch von den Stromſchnellen ſelbſt zu ſprechen, die<lb/>
an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeſchnittene<lb/>
Flußbett faſt unzugängliche Ufer hat. Nur an ſehr wenigen<lb/>
Punkten konnten wir in den Orinoko gelangen, um zwiſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0133]
ſtellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann
weiß zum Beiſpiel, daß die Kontraſte des Baumlaubes, be-
ſonders aber die große Menge von Gewächſen mit gefiederten
Blättern ein Hauptſchmuck dieſer Zone ſind. Die Eſche, der
Vogelbeerbaum, die Inga, die Akazie der Vereinigten Staaten,
die Gleditſchia, die Tamarinde, die Mimoſen, die Desmanthus
haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen,
dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun
aber deshalb eine Gruppe von Eſchen, Vogelbeerbäumen oder
Sumachbäumen uns einen Begriff vom maleriſchen Effekte zu
geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimoſen macht,
wenn das Himmelsblau zwiſchen ihren kleinen, dünnen, zart-
gefiederten Blättern durchbricht? Dieſe Betrachtungen ſind
wichtiger, als ſie auf den erſten Blick ſcheinen. Die Geſtalten
der Gewächſe beſtimmen die Phyſiognomie der Natur, und
dieſe Phyſiognomie wirkt zurück auf die geiſtige Stimmung
der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im
allgemeinen Charakter miteinander übereinkommen, aber ſich
dadurch unterſcheiden, daß dieſelben Organe verſchiedentlich
entwickelt ſind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malva-
ceen, die Bäume mit gefiederten Blättern ſind nicht alle ma-
leriſch gleich ſchön, und meiſt, im Pflanzenreiche wie im Tier-
reiche, gehören die ſchönſten Arten eines jeden Typus dem
tropiſchen Erdſtriche an.
Die Protaceen, Kroton, Agaven und die große Sippe
der Kaktus, die ausſchließlich nur in der Neuen Welt vor-
kommt, verſchwinden allmählich, wenn man auf dem Orinoko
über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt.
Indeſſen iſt viel mehr die Beſchattung und die Feuchtigkeit,
als die Entfernung von den Küſten daran ſchuld, wenn die
Kaktus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben öſtlich
von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem oberen
Amazonenſtrome zu, ganze Kaktuswälder, mit Kroton da-
zwiſchen, große dürre Landſtriche bedecken ſehen. Die Baum-
farne ſcheinen an den Fällen des Orinoko ganz zu fehlen; wir
fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt
vor dem Einfluſſe des Guaviare in den Orinoko.
Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich
habe jetzt noch von den Stromſchnellen ſelbſt zu ſprechen, die
an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeſchnittene
Flußbett faſt unzugängliche Ufer hat. Nur an ſehr wenigen
Punkten konnten wir in den Orinoko gelangen, um zwiſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/133>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.