zwei Wasserfällen, in Buchten, wo das Wasser langsam kreist, zu baden. Auch wer sich in den Alpen, in den Pyrenäen, selbst in den Kordilleren aufgehalten hat, so vielberufen wegen der Zerrissenheit des Bodens und der Zerstörung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Be- schreibung sich vom Zustande des Strombettes hier nur schwer eine Vorstellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als 9,2 km laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben- so viele natürliche Wehre, ebenso viele Schwellen, ähnlich denen im Dnjepr, welche bei den Alten Phragmoi hießen. Der Raum zwischen den Felsdämmen im Orinoko ist mit Inseln von verschiedener Größe gefüllt; manche sind hügelig, in verschiedene runde Erhöhungen geteilt und 390 bis 585 m lang, andere klein und niedrig wie bloße Klippen. Diese Inseln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Wasser sich kochend an den Felsen bricht; alle sind mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuschartigem Laub bewachsen, ein Palmendickicht mitten auf der schäumenden Wasserfläche. Die Indianer, welche die leeren Pirogen durch die Raudales schaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felsen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerst zum Salto del Piapoco, zum Sprung des Tucans; zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni ist der Raudal de Ja- variveni; hier verweilten wir auf unserer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromschnellen, um unser Kanoe zu erwarten. Der Strom scheint zu einem großen Teil trocken zu liegen. Granitblöcke sind aufeinander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletscher in der Schweiz vor sich her schieben. Ueberall stürzt sich der Fluß in die Höhlen hinab, und in einer dieser Höhlen hörten wir das Wasser zugleich über unseren Köpfen und unter unseren Füßen rauschen. Der Orinoko ist wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche geteilt, deren jeder sich durch die Felsen Bahn zu brechen sucht. Man muß nur staunen, wie wenig Wasser man im Flußbett sieht, über die Menge Wasserstürze, die sich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Wasser, die sich schäumend an den Felsen brechen.
Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis Spumens invictis canescit fluctibus amnis.1
1Lucan. Pharsal. X, 132.
zwei Waſſerfällen, in Buchten, wo das Waſſer langſam kreiſt, zu baden. Auch wer ſich in den Alpen, in den Pyrenäen, ſelbſt in den Kordilleren aufgehalten hat, ſo vielberufen wegen der Zerriſſenheit des Bodens und der Zerſtörung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Be- ſchreibung ſich vom Zuſtande des Strombettes hier nur ſchwer eine Vorſtellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als 9,2 km laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben- ſo viele natürliche Wehre, ebenſo viele Schwellen, ähnlich denen im Dnjepr, welche bei den Alten Phragmoi hießen. Der Raum zwiſchen den Felsdämmen im Orinoko iſt mit Inſeln von verſchiedener Größe gefüllt; manche ſind hügelig, in verſchiedene runde Erhöhungen geteilt und 390 bis 585 m lang, andere klein und niedrig wie bloße Klippen. Dieſe Inſeln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Waſſer ſich kochend an den Felſen bricht; alle ſind mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuſchartigem Laub bewachſen, ein Palmendickicht mitten auf der ſchäumenden Waſſerfläche. Die Indianer, welche die leeren Pirogen durch die Raudales ſchaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felſen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerſt zum Salto del Piapoco, zum Sprung des Tucans; zwiſchen den Inſeln Avaguri und Javariveni iſt der Raudal de Ja- variveni; hier verweilten wir auf unſerer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromſchnellen, um unſer Kanoe zu erwarten. Der Strom ſcheint zu einem großen Teil trocken zu liegen. Granitblöcke ſind aufeinander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletſcher in der Schweiz vor ſich her ſchieben. Ueberall ſtürzt ſich der Fluß in die Höhlen hinab, und in einer dieſer Höhlen hörten wir das Waſſer zugleich über unſeren Köpfen und unter unſeren Füßen rauſchen. Der Orinoko iſt wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche geteilt, deren jeder ſich durch die Felſen Bahn zu brechen ſucht. Man muß nur ſtaunen, wie wenig Waſſer man im Flußbett ſieht, über die Menge Waſſerſtürze, die ſich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Waſſer, die ſich ſchäumend an den Felſen brechen.
Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis Spumens invictis canescit fluctibus amnis.1
1Lucan. Pharsal. X, 132.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0134"n="126"/>
zwei Waſſerfällen, in Buchten, wo das Waſſer langſam kreiſt,<lb/>
zu baden. Auch wer ſich in den Alpen, in den Pyrenäen,<lb/>ſelbſt in den Kordilleren aufgehalten hat, ſo vielberufen wegen<lb/>
der Zerriſſenheit des Bodens und der Zerſtörung, denen man<lb/>
bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Be-<lb/>ſchreibung ſich vom Zuſtande des Strombettes hier nur ſchwer<lb/>
eine Vorſtellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als<lb/>
9,2 <hirendition="#aq">km</hi> laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben-<lb/>ſo viele natürliche Wehre, ebenſo viele <hirendition="#g">Schwellen</hi>, ähnlich<lb/>
denen im Dnjepr, welche bei den Alten <hirendition="#g">Phragmoi</hi> hießen.<lb/>
Der Raum zwiſchen den Felsdämmen im Orinoko iſt mit<lb/>
Inſeln von verſchiedener Größe gefüllt; manche ſind hügelig,<lb/>
in verſchiedene runde Erhöhungen geteilt und 390 bis 585 <hirendition="#aq">m</hi><lb/>
lang, andere klein und niedrig wie bloße Klippen. Dieſe<lb/>
Inſeln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in<lb/>
denen das Waſſer ſich kochend an den Felſen bricht; alle ſind<lb/>
mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuſchartigem Laub<lb/>
bewachſen, ein Palmendickicht mitten auf der ſchäumenden<lb/>
Waſſerfläche. Die Indianer, welche die leeren Pirogen durch<lb/>
die Raudales ſchaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felſen<lb/>
einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerſt<lb/>
zum <hirendition="#aq">Salto del Piapoco,</hi> zum Sprung des Tucans; zwiſchen<lb/>
den Inſeln Avaguri und Javariveni iſt der Raudal de Ja-<lb/>
variveni; hier verweilten wir auf unſerer Rückkehr vom Rio<lb/>
Negro mehrere Stunden mitten in den Stromſchnellen, um<lb/>
unſer Kanoe zu erwarten. Der Strom ſcheint zu einem großen<lb/>
Teil trocken zu liegen. Granitblöcke ſind aufeinander gehäuft,<lb/>
wie in den Moränen, welche die Gletſcher in der Schweiz<lb/>
vor ſich her ſchieben. Ueberall ſtürzt ſich der Fluß in die<lb/>
Höhlen hinab, und in einer dieſer Höhlen hörten wir das<lb/>
Waſſer zugleich über unſeren Köpfen und unter unſeren Füßen<lb/>
rauſchen. Der Orinoko iſt wie in eine Menge Arme oder<lb/>
Sturzbäche geteilt, deren jeder ſich durch die Felſen Bahn zu<lb/>
brechen ſucht. Man muß nur ſtaunen, wie wenig Waſſer<lb/>
man im Flußbett ſieht, über die Menge Waſſerſtürze, die ſich<lb/>
unter dem Boden verlieren, über den Donner der Waſſer, die<lb/>ſich ſchäumend an den Felſen brechen.</p><lb/><p><hirendition="#et"><hirendition="#aq">Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis<lb/>
Spumens invictis canescit fluctibus amnis.</hi><noteplace="foot"n="1"><hirendition="#aq">Lucan. Pharsal. X,</hi> 132.</note></hi></p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[126/0134]
zwei Waſſerfällen, in Buchten, wo das Waſſer langſam kreiſt,
zu baden. Auch wer ſich in den Alpen, in den Pyrenäen,
ſelbſt in den Kordilleren aufgehalten hat, ſo vielberufen wegen
der Zerriſſenheit des Bodens und der Zerſtörung, denen man
bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Be-
ſchreibung ſich vom Zuſtande des Strombettes hier nur ſchwer
eine Vorſtellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als
9,2 km laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben-
ſo viele natürliche Wehre, ebenſo viele Schwellen, ähnlich
denen im Dnjepr, welche bei den Alten Phragmoi hießen.
Der Raum zwiſchen den Felsdämmen im Orinoko iſt mit
Inſeln von verſchiedener Größe gefüllt; manche ſind hügelig,
in verſchiedene runde Erhöhungen geteilt und 390 bis 585 m
lang, andere klein und niedrig wie bloße Klippen. Dieſe
Inſeln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in
denen das Waſſer ſich kochend an den Felſen bricht; alle ſind
mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuſchartigem Laub
bewachſen, ein Palmendickicht mitten auf der ſchäumenden
Waſſerfläche. Die Indianer, welche die leeren Pirogen durch
die Raudales ſchaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felſen
einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerſt
zum Salto del Piapoco, zum Sprung des Tucans; zwiſchen
den Inſeln Avaguri und Javariveni iſt der Raudal de Ja-
variveni; hier verweilten wir auf unſerer Rückkehr vom Rio
Negro mehrere Stunden mitten in den Stromſchnellen, um
unſer Kanoe zu erwarten. Der Strom ſcheint zu einem großen
Teil trocken zu liegen. Granitblöcke ſind aufeinander gehäuft,
wie in den Moränen, welche die Gletſcher in der Schweiz
vor ſich her ſchieben. Ueberall ſtürzt ſich der Fluß in die
Höhlen hinab, und in einer dieſer Höhlen hörten wir das
Waſſer zugleich über unſeren Köpfen und unter unſeren Füßen
rauſchen. Der Orinoko iſt wie in eine Menge Arme oder
Sturzbäche geteilt, deren jeder ſich durch die Felſen Bahn zu
brechen ſucht. Man muß nur ſtaunen, wie wenig Waſſer
man im Flußbett ſieht, über die Menge Waſſerſtürze, die ſich
unter dem Boden verlieren, über den Donner der Waſſer, die
ſich ſchäumend an den Felſen brechen.
Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis
Spumens invictis canescit fluctibus amnis. 1
1 Lucan. Pharsal. X, 132.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/134>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.