Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Flüsse, vor einem Feinde, der sie von allen Seiten umzingelt. Während des hohen Wasserstandes gehen die Bewohner 1 Ganz besonders geschickt wissen die Esel sich die Feuchtigkeit
im Inneren des Cactus melocactus zu nutze zu machen. Sie stoßen die Stacheln mit den Füßen ab, und man sieht welche infolge dieses Verfahrens hinken. Flüſſe, vor einem Feinde, der ſie von allen Seiten umzingelt. Während des hohen Waſſerſtandes gehen die Bewohner 1 Ganz beſonders geſchickt wiſſen die Eſel ſich die Feuchtigkeit
im Inneren des Cactus melocactus zu nutze zu machen. Sie ſtoßen die Stacheln mit den Füßen ab, und man ſieht welche infolge dieſes Verfahrens hinken. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0014" n="6"/> Flüſſe, vor einem Feinde, der ſie von allen Seiten umzingelt.<lb/> Den Tag über werden Pferde, Maultiere und Rinder von<lb/> Bremſen und Moskiten gepeinigt und bei Nacht von unge-<lb/> heuren Fledermäuſen angefallen, die ſich in ihren Rücken ein-<lb/> krallen und ihnen deſto ſchlimmere Wunden beibringen, da<lb/> alsbald Milben und andere bösartige Inſekten in Menge<lb/> hineinkommen. Zur Zeit der großen Dürre benagen die Maul-<lb/> tiere ſogar den ganz mit Stacheln beſetzten Melokaktus,<note place="foot" n="1">Ganz beſonders geſchickt wiſſen die Eſel ſich die Feuchtigkeit<lb/> im Inneren des <hi rendition="#aq">Cactus melocactus</hi> zu nutze zu machen. Sie ſtoßen<lb/> die Stacheln mit den Füßen ab, und man ſieht welche infolge<lb/> dieſes Verfahrens hinken.</note> um<lb/> zum erfriſchenden Saft und ſo gleichſam zu einer vegetabi-<lb/> liſchen Waſſerquelle zu gelangen. Während der großen Ueber-<lb/> ſchwemmungen leben dieſelben Tiere wahrhaft amphibiſch, in<lb/> Geſellſchaft von Krokodilen, Waſſerſchlangen und Seekühen.<lb/> Und dennoch erhält ſich, nach den unabänderlichen Geſetzen<lb/> der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen,<lb/> mitten unter zahlloſen Plagen und Gefahren. Fällt das<lb/> Waſſer wieder, kehren die Flüſſe in ihre Betten zurück, ſo<lb/> überzieht ſich die Savanne mit zartem, angenehm duftendem<lb/> Gras, und im Herzen des heißen Landſtrichs ſcheinen die Tiere<lb/> des alten Europas und Hochaſiens in ihr Heimatland verſetzt<lb/> zu ſein und ſich des neuen Frühlingsgrüns zu freuen.</p><lb/> <p>Während des hohen Waſſerſtandes gehen die Bewohner<lb/> dieſer Länder, um die ſtarke Strömung und die gefährlichen<lb/> Baumſtämme, die ſie treibt, zu vermeiden, in ihren Kanoen<lb/> nicht in den Flußbetten hinauf, ſondern fahren über die Gras-<lb/> fluren. Will man von San Fernando nach den Dörfern San<lb/> Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Fran-<lb/> cisco de Capanaparo, wendet man ſich gerade nach Süd, als<lb/> führe man auf einem einzigen 90 <hi rendition="#aq">km</hi> breiten Strome. Die<lb/> Flüſſe Guarico, Apure, Cabullare und Arauca bilden da, wo<lb/> ſie ſich in den Orinoko ergießen, 720 <hi rendition="#aq">km</hi> von der Küſte von<lb/> Guyana, eine Art <hi rendition="#g">Binnendelta</hi>, dergleichen die Hydro-<lb/> graphie in der Alten Welt wenige aufzuweiſen hat. Nach der<lb/> Höhe des Queckſilbers im Barometer hat der Apure von San<lb/> Fernando bis zur See nur ein Gefälle von 66 <hi rendition="#aq">m.</hi> Dieſer<lb/> Fall iſt ſo unbedeutend als der von der Einmündung des<lb/> Oſagefluſſes und des Miſſouri in den Miſſiſſippi bis zur<lb/> Barre desſelben. Die Savannen in Niederlouiſiana erinnern<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0014]
Flüſſe, vor einem Feinde, der ſie von allen Seiten umzingelt.
Den Tag über werden Pferde, Maultiere und Rinder von
Bremſen und Moskiten gepeinigt und bei Nacht von unge-
heuren Fledermäuſen angefallen, die ſich in ihren Rücken ein-
krallen und ihnen deſto ſchlimmere Wunden beibringen, da
alsbald Milben und andere bösartige Inſekten in Menge
hineinkommen. Zur Zeit der großen Dürre benagen die Maul-
tiere ſogar den ganz mit Stacheln beſetzten Melokaktus, 1 um
zum erfriſchenden Saft und ſo gleichſam zu einer vegetabi-
liſchen Waſſerquelle zu gelangen. Während der großen Ueber-
ſchwemmungen leben dieſelben Tiere wahrhaft amphibiſch, in
Geſellſchaft von Krokodilen, Waſſerſchlangen und Seekühen.
Und dennoch erhält ſich, nach den unabänderlichen Geſetzen
der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen,
mitten unter zahlloſen Plagen und Gefahren. Fällt das
Waſſer wieder, kehren die Flüſſe in ihre Betten zurück, ſo
überzieht ſich die Savanne mit zartem, angenehm duftendem
Gras, und im Herzen des heißen Landſtrichs ſcheinen die Tiere
des alten Europas und Hochaſiens in ihr Heimatland verſetzt
zu ſein und ſich des neuen Frühlingsgrüns zu freuen.
Während des hohen Waſſerſtandes gehen die Bewohner
dieſer Länder, um die ſtarke Strömung und die gefährlichen
Baumſtämme, die ſie treibt, zu vermeiden, in ihren Kanoen
nicht in den Flußbetten hinauf, ſondern fahren über die Gras-
fluren. Will man von San Fernando nach den Dörfern San
Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Fran-
cisco de Capanaparo, wendet man ſich gerade nach Süd, als
führe man auf einem einzigen 90 km breiten Strome. Die
Flüſſe Guarico, Apure, Cabullare und Arauca bilden da, wo
ſie ſich in den Orinoko ergießen, 720 km von der Küſte von
Guyana, eine Art Binnendelta, dergleichen die Hydro-
graphie in der Alten Welt wenige aufzuweiſen hat. Nach der
Höhe des Queckſilbers im Barometer hat der Apure von San
Fernando bis zur See nur ein Gefälle von 66 m. Dieſer
Fall iſt ſo unbedeutend als der von der Einmündung des
Oſagefluſſes und des Miſſouri in den Miſſiſſippi bis zur
Barre desſelben. Die Savannen in Niederlouiſiana erinnern
1 Ganz beſonders geſchickt wiſſen die Eſel ſich die Feuchtigkeit
im Inneren des Cactus melocactus zu nutze zu machen. Sie ſtoßen
die Stacheln mit den Füßen ab, und man ſieht welche infolge
dieſes Verfahrens hinken.
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