Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Kind und es blutet stark. Da nimmt das kleine Mädchen Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und ge- Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den Kind und es blutet ſtark. Da nimmt das kleine Mädchen Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und ge- Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0147" n="139"/> Kind und es blutet ſtark. Da nimmt das kleine Mädchen<lb/> einen Baumzweig, ſchlägt das Tier, und dieſes läuft vor ihr<lb/> davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer<lb/> herbeigelaufen und ſehen den Jaguar, der ſichtbar an keine<lb/> Gegenwehr dachte, in Sprüngen ſich davonmachen.</p><lb/> <p>Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und ge-<lb/> ſcheit ausſah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten an<lb/> der Stirn die Haut abgeſtreift, und eine zweite Narbe hatte<lb/> er oben auf dem Kopfe. Woher nun auf einmal dieſe muntere<lb/> Laune bei einem Tiere, das in unſeren Menagerien nicht ſchwer<lb/> zu zähmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grau-<lb/> ſam iſt? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, ſicher ſeiner<lb/> Beute, mit dem kleinen Indianer geſpielt, wie unſere Katzen<lb/> mit Vögeln mit beſchnittenen Flügeln ſpielen, wie ſoll man<lb/> es ſich erklären, daß ein großer Jaguar ſo duldſam iſt, daß<lb/> er vor einem kleinen Mädchen davonläuft? Trieb den Jaguar<lb/> der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In<lb/> der Zuneigung und im Haß der Tiere iſt manches Geheimnis-<lb/> volle. Wir haben geſehen, wie Löwen drei, vier Hunde, die<lb/> man in ihren Käfig ſetzte, umbrachten und einen fünften, der<lb/> weniger furchtſam, den König der Tiere an der Mähne packte,<lb/> vom erſten Augenblick an liebkoſten. Das ſind eben Aeuße-<lb/> rungen jenes Inſtinktes, der dem Menſchen ein Rätſel iſt.<lb/> Es iſt als ob der Schwache deſto mehr für ſich einnähme,<lb/> je zutraulicher er iſt.</p><lb/> <p>Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den<lb/> Jaguaren angefallen werden. Außer den gemeinen Schweinen<lb/> von europäiſcher Raſſe gibt es in dieſen Ländern verſchiedene<lb/> Arten von Pecari mit Drüſen an den Leiſten, von denen<lb/> nur zwei den europäiſchen Zoologen bekannt ſind. Die In-<lb/> dianer nennen den kleinen Pecari (<hi rendition="#aq">Dicotiles torquatus</hi>) auf<lb/> maypuriſch <hi rendition="#g">Chacharo; Apida</hi> aber heißt bei ihnen ein<lb/> Schwein, das keinen Beutel haben ſoll und größer, ſchwarz-<lb/> braun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiß iſt.<lb/> Der Chacharo, den man im Hauſe aufzieht, wird ſo zahm<lb/> wie unſere Schafe und Rehe. Sein ſanftes Weſen erinnert<lb/> an die anatomiſch nachgewieſene intereſſante Aehnlichkeit zwiſchen<lb/> dem Bau der Pecari und dem der Wiederkäuer. Der Apida,<lb/> der ein Haustier wird wie unſere Schweine, zieht in Rudeln<lb/> von mehreren hundert Stücken. Man hört es ſchon von weitem,<lb/> wenn ſolche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen,<lb/> rauhen Lauten, die ſie von ſich geben, ſondern noch mehr,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0147]
Kind und es blutet ſtark. Da nimmt das kleine Mädchen
einen Baumzweig, ſchlägt das Tier, und dieſes läuft vor ihr
davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer
herbeigelaufen und ſehen den Jaguar, der ſichtbar an keine
Gegenwehr dachte, in Sprüngen ſich davonmachen.
Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und ge-
ſcheit ausſah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten an
der Stirn die Haut abgeſtreift, und eine zweite Narbe hatte
er oben auf dem Kopfe. Woher nun auf einmal dieſe muntere
Laune bei einem Tiere, das in unſeren Menagerien nicht ſchwer
zu zähmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grau-
ſam iſt? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, ſicher ſeiner
Beute, mit dem kleinen Indianer geſpielt, wie unſere Katzen
mit Vögeln mit beſchnittenen Flügeln ſpielen, wie ſoll man
es ſich erklären, daß ein großer Jaguar ſo duldſam iſt, daß
er vor einem kleinen Mädchen davonläuft? Trieb den Jaguar
der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In
der Zuneigung und im Haß der Tiere iſt manches Geheimnis-
volle. Wir haben geſehen, wie Löwen drei, vier Hunde, die
man in ihren Käfig ſetzte, umbrachten und einen fünften, der
weniger furchtſam, den König der Tiere an der Mähne packte,
vom erſten Augenblick an liebkoſten. Das ſind eben Aeuße-
rungen jenes Inſtinktes, der dem Menſchen ein Rätſel iſt.
Es iſt als ob der Schwache deſto mehr für ſich einnähme,
je zutraulicher er iſt.
Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den
Jaguaren angefallen werden. Außer den gemeinen Schweinen
von europäiſcher Raſſe gibt es in dieſen Ländern verſchiedene
Arten von Pecari mit Drüſen an den Leiſten, von denen
nur zwei den europäiſchen Zoologen bekannt ſind. Die In-
dianer nennen den kleinen Pecari (Dicotiles torquatus) auf
maypuriſch Chacharo; Apida aber heißt bei ihnen ein
Schwein, das keinen Beutel haben ſoll und größer, ſchwarz-
braun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiß iſt.
Der Chacharo, den man im Hauſe aufzieht, wird ſo zahm
wie unſere Schafe und Rehe. Sein ſanftes Weſen erinnert
an die anatomiſch nachgewieſene intereſſante Aehnlichkeit zwiſchen
dem Bau der Pecari und dem der Wiederkäuer. Der Apida,
der ein Haustier wird wie unſere Schweine, zieht in Rudeln
von mehreren hundert Stücken. Man hört es ſchon von weitem,
wenn ſolche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen,
rauhen Lauten, die ſie von ſich geben, ſondern noch mehr,
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