Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Observanten, welche gegenwärtig diese weiten Landstriche unter Die Tiger oder Jaguare, die den Herden weniger ge- Obſervanten, welche gegenwärtig dieſe weiten Landſtriche unter Die Tiger oder Jaguare, die den Herden weniger ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0146" n="138"/> Obſervanten, welche gegenwärtig dieſe weiten Landſtriche unter<lb/> ſich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jeſuiten. Wäh-<lb/> rend eines achtzehnjährigen Interregnums wurden die Miſ-<lb/> ſionen nur von Zeit zu Zeit beſucht, und zwar von Kapu-<lb/> zinern. Unter dem Namen königlicher Kommiſſäre verwalteten<lb/> weltliche Regierungsbeamte die <hi rendition="#g">Hatos</hi> oder Höfe der Jeſuiten,<lb/> aber ſchändlich liederlich. Man ſtach das Vieh, um die Häute<lb/> zu verkaufen, viele jüngere Tiere wurden von den Tigern<lb/> gefreſſen, noch viel mehr gingen an den Biſſen der Fleder-<lb/> mäuſe zu Grunde, die an den Katarakten kleiner ſind, aber<lb/> kecker als in den Lanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden<lb/> Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Joſe<lb/> de Maravitanos am Rio Negro ausgeführt, weil die Portu-<lb/> gieſen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter<lb/> Ferne auf dem Amazonenſtrom und dem Gran Para beziehen<lb/> konnten. Seit dem Jahre 1795 iſt das Vieh der Jeſuiten<lb/> gänzlich verſchwunden; als einziges Wahrzeichen des früheren<lb/> Anbaues dieſer Länder und der wirtſchaftlichen Thätigkeit der<lb/> erſten Miſſionäre ſieht man in den Savannen hie und da<lb/> mitten unter wilden Bäumen einen Orangen- oder Tama-<lb/> rindenſtamm.</p><lb/> <p>Die Tiger oder Jaguare, die den Herden weniger ge-<lb/> fährlich ſind als die Fledermäuſe, kommen ſogar ins Dorf<lb/> herein und freſſen den armen Indianern die Schweine. Der<lb/> Miſſionär erzählte uns ein auffallendes Beiſpiel von der<lb/> Zuthulichkeit dieſer ſonſt ſo wilden Tiere. Einige Monate<lb/> vor unſerer Ankunft hatte ein Jaguar, den man für ein<lb/> junges Tier hielt, obgleich er groß war, ein Kind verwundet,<lb/> mit dem er ſpielte; der Ausdruck mag ſonderbar ſcheinen,<lb/> aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle<lb/> Thatſachen kennen lernen konnte, die für die Sittengeſchichte<lb/> der Tiere nicht ohne Bedeutung ſind. Zwei indianiſche Kinder<lb/> von 8 bis 9 Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, ſaßen bei<lb/> Atures mitten in einer Savanne, über die wir oft gegangen,<lb/> im Gras. Es war 2 Uhr nachmittags, da kommt ein Ja-<lb/> guar aus dem Walde und auf die Kinder zu, die er ſpringend<lb/> umkreiſt; bald verſteckt er ſich im hohen Graſe, bald macht<lb/> er mit gekrümmtem Rücken und geſenktem Kopfe einen Sprung,<lb/> gerade wie unſere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in<lb/> welcher Gefahr er ſchwebt, und wird ſie erſt inne, als der<lb/> Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf ſchlägt. Erſt ſchlägt<lb/> er ſachte, dann immer ſtärker; die Krallen verwunden das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0146]
Obſervanten, welche gegenwärtig dieſe weiten Landſtriche unter
ſich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jeſuiten. Wäh-
rend eines achtzehnjährigen Interregnums wurden die Miſ-
ſionen nur von Zeit zu Zeit beſucht, und zwar von Kapu-
zinern. Unter dem Namen königlicher Kommiſſäre verwalteten
weltliche Regierungsbeamte die Hatos oder Höfe der Jeſuiten,
aber ſchändlich liederlich. Man ſtach das Vieh, um die Häute
zu verkaufen, viele jüngere Tiere wurden von den Tigern
gefreſſen, noch viel mehr gingen an den Biſſen der Fleder-
mäuſe zu Grunde, die an den Katarakten kleiner ſind, aber
kecker als in den Lanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden
Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Joſe
de Maravitanos am Rio Negro ausgeführt, weil die Portu-
gieſen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter
Ferne auf dem Amazonenſtrom und dem Gran Para beziehen
konnten. Seit dem Jahre 1795 iſt das Vieh der Jeſuiten
gänzlich verſchwunden; als einziges Wahrzeichen des früheren
Anbaues dieſer Länder und der wirtſchaftlichen Thätigkeit der
erſten Miſſionäre ſieht man in den Savannen hie und da
mitten unter wilden Bäumen einen Orangen- oder Tama-
rindenſtamm.
Die Tiger oder Jaguare, die den Herden weniger ge-
fährlich ſind als die Fledermäuſe, kommen ſogar ins Dorf
herein und freſſen den armen Indianern die Schweine. Der
Miſſionär erzählte uns ein auffallendes Beiſpiel von der
Zuthulichkeit dieſer ſonſt ſo wilden Tiere. Einige Monate
vor unſerer Ankunft hatte ein Jaguar, den man für ein
junges Tier hielt, obgleich er groß war, ein Kind verwundet,
mit dem er ſpielte; der Ausdruck mag ſonderbar ſcheinen,
aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle
Thatſachen kennen lernen konnte, die für die Sittengeſchichte
der Tiere nicht ohne Bedeutung ſind. Zwei indianiſche Kinder
von 8 bis 9 Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, ſaßen bei
Atures mitten in einer Savanne, über die wir oft gegangen,
im Gras. Es war 2 Uhr nachmittags, da kommt ein Ja-
guar aus dem Walde und auf die Kinder zu, die er ſpringend
umkreiſt; bald verſteckt er ſich im hohen Graſe, bald macht
er mit gekrümmtem Rücken und geſenktem Kopfe einen Sprung,
gerade wie unſere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in
welcher Gefahr er ſchwebt, und wird ſie erſt inne, als der
Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf ſchlägt. Erſt ſchlägt
er ſachte, dann immer ſtärker; die Krallen verwunden das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |