nicht dem Wohlstand der Observanten, sondern ihrem Prohi- bitivsystem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen die Weißen abzusperren, den Hindernissen, die sie dem Aus- tausch der Produkte in den Weg legen. Allerorten empört sich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn sie auf den Handel und die materiellen Lebensbedürfnisse Einfluß äußern, sondern auch wenn sich ein Stand oder eine Schicht der Ge- sellschaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu sagen zu civilisieren.
Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibsel vom einstigen Wohlstand der Jesuiten. Eine silberne Lampe von ansehnlichem Gewicht lag, halb im Sande begraben, am Boden. Ein Gegenstand derart würde aller- dings nirgends die Habsucht des Wilden reizen; ich muß aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoko erwähnen, daß sie keine Diebe sind, wie die lange nicht so rohen Bewohner der Südseeinseln. Jene haben große Achtung vor dem Eigen- tum; sie suchen nicht einmal Eßwaren, Fischangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts von Schlössern an den Thüren; sie werden eingeführt werden, sobald Weiße und Mischlinge sich in den Missionen niederlassen.
Die Indianer in Atures sind gutmütig, leidenschaftslos, dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt. Die Jesuiten früher trieben sie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europäische Gemüse; sie pflanzten um das Dorf her sogar süße Orangen und Tamarinden, sie besaßen in den Grasfluren von Atures und Carichana 20000 bis 30000 Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die Herden eine Menge Sklaven und Knechte (peones). Gegen- wärtig wird nichts gebaut als etwas Maniok und Bananen. Und doch ist der Boden so fruchtbar, daß ich in Atures an einem einzigen Pisangbüschel 108 Früchte zählte, deren 4 bis 5 fast zur täglichen Nahrung eines Menschen hinreichen. Der Maisbau wird gänzlich vernachlässigt, Rosse und Kühe sind verschwunden. Ein Uferstrich am Raudal heißt noch Paso del ganado (Viehfurt), während die Nachkommen der In- dianer, mit denen die Jesuiten die Mission gegründet, vom Hornvieh wie von einer ausgestorbenen Tiergattung sprechen. Auf unserer Fahrt den Orinoko hinauf San Carlos am Rio Negro zu sahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres
nicht dem Wohlſtand der Obſervanten, ſondern ihrem Prohi- bitivſyſtem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen die Weißen abzuſperren, den Hinderniſſen, die ſie dem Aus- tauſch der Produkte in den Weg legen. Allerorten empört ſich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn ſie auf den Handel und die materiellen Lebensbedürfniſſe Einfluß äußern, ſondern auch wenn ſich ein Stand oder eine Schicht der Ge- ſellſchaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu ſagen zu civiliſieren.
Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibſel vom einſtigen Wohlſtand der Jeſuiten. Eine ſilberne Lampe von anſehnlichem Gewicht lag, halb im Sande begraben, am Boden. Ein Gegenſtand derart würde aller- dings nirgends die Habſucht des Wilden reizen; ich muß aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoko erwähnen, daß ſie keine Diebe ſind, wie die lange nicht ſo rohen Bewohner der Südſeeinſeln. Jene haben große Achtung vor dem Eigen- tum; ſie ſuchen nicht einmal Eßwaren, Fiſchangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts von Schlöſſern an den Thüren; ſie werden eingeführt werden, ſobald Weiße und Miſchlinge ſich in den Miſſionen niederlaſſen.
Die Indianer in Atures ſind gutmütig, leidenſchaftslos, dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt. Die Jeſuiten früher trieben ſie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europäiſche Gemüſe; ſie pflanzten um das Dorf her ſogar ſüße Orangen und Tamarinden, ſie beſaßen in den Grasfluren von Atures und Carichana 20000 bis 30000 Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die Herden eine Menge Sklaven und Knechte (peones). Gegen- wärtig wird nichts gebaut als etwas Maniok und Bananen. Und doch iſt der Boden ſo fruchtbar, daß ich in Atures an einem einzigen Piſangbüſchel 108 Früchte zählte, deren 4 bis 5 faſt zur täglichen Nahrung eines Menſchen hinreichen. Der Maisbau wird gänzlich vernachläſſigt, Roſſe und Kühe ſind verſchwunden. Ein Uferſtrich am Raudal heißt noch Paso del ganado (Viehfurt), während die Nachkommen der In- dianer, mit denen die Jeſuiten die Miſſion gegründet, vom Hornvieh wie von einer ausgeſtorbenen Tiergattung ſprechen. Auf unſerer Fahrt den Orinoko hinauf San Carlos am Rio Negro zu ſahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres
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nicht dem Wohlſtand der Obſervanten, ſondern ihrem Prohi-
bitivſyſtem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen
die Weißen abzuſperren, den Hinderniſſen, die ſie dem Aus-
tauſch der Produkte in den Weg legen. Allerorten empört
ſich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn ſie auf den
Handel und die materiellen Lebensbedürfniſſe Einfluß äußern,
ſondern auch wenn ſich ein Stand oder eine Schicht der Ge-
ſellſchaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen
oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu ſagen
zu civiliſieren.
Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige
Ueberbleibſel vom einſtigen Wohlſtand der Jeſuiten. Eine
ſilberne Lampe von anſehnlichem Gewicht lag, halb im Sande
begraben, am Boden. Ein Gegenſtand derart würde aller-
dings nirgends die Habſucht des Wilden reizen; ich muß aber
hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoko erwähnen, daß
ſie keine Diebe ſind, wie die lange nicht ſo rohen Bewohner
der Südſeeinſeln. Jene haben große Achtung vor dem Eigen-
tum; ſie ſuchen nicht einmal Eßwaren, Fiſchangeln und Aexte
zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts
von Schlöſſern an den Thüren; ſie werden eingeführt werden,
ſobald Weiße und Miſchlinge ſich in den Miſſionen niederlaſſen.
Die Indianer in Atures ſind gutmütig, leidenſchaftslos,
dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt.
Die Jeſuiten früher trieben ſie zur Arbeit an, und da fehlte
es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais,
Bohnen und andere europäiſche Gemüſe; ſie pflanzten um das
Dorf her ſogar ſüße Orangen und Tamarinden, ſie beſaßen
in den Grasfluren von Atures und Carichana 20000 bis
30000 Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die
Herden eine Menge Sklaven und Knechte (peones). Gegen-
wärtig wird nichts gebaut als etwas Maniok und Bananen.
Und doch iſt der Boden ſo fruchtbar, daß ich in Atures an
einem einzigen Piſangbüſchel 108 Früchte zählte, deren 4 bis 5
faſt zur täglichen Nahrung eines Menſchen hinreichen. Der
Maisbau wird gänzlich vernachläſſigt, Roſſe und Kühe ſind
verſchwunden. Ein Uferſtrich am Raudal heißt noch Paso
del ganado (Viehfurt), während die Nachkommen der In-
dianer, mit denen die Jeſuiten die Miſſion gegründet, vom
Hornvieh wie von einer ausgeſtorbenen Tiergattung ſprechen.
Auf unſerer Fahrt den Orinoko hinauf San Carlos am Rio
Negro zu ſahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/145>, abgerufen am 16.02.2025.
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