Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Orinoko oder den Magdalenenfluß, nicht befahren hat, kann Es ist hier der Ort, von der geographischen Ver- Orinoko oder den Magdalenenfluß, nicht befahren hat, kann Es iſt hier der Ort, von der geographiſchen Ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="144"/> Orinoko oder den Magdalenenfluß, nicht befahren hat, kann<lb/> nicht begreifen, wie man ohne Unterlaß, jeden Augenblick im<lb/> Leben von den Inſekten, die in der Luft ſchweben, gepeinigt<lb/> werden, weil die Unzahl dieſer kleinen Tiere weite Landſtrecken<lb/> faſt unbewohnbar machen kann. So ſehr man auch gewöhnt<lb/> ſein mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, ſo lebhaft<lb/> einen auch der Gegenſtand, den man eben beobachtet, beſchäf-<lb/> tigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon ab-<lb/> gezogen, wenn <hi rendition="#g">Moskiten, Zancudos, Jejen</hi> und <hi rendition="#g">Tem-<lb/> praneros</hi> einem Hände und Geſicht bedecken, einen mit ihrem<lb/> Saugrüſſel, der in einen Stachel ausläuft, durch die Kleider<lb/> durch ſtechen, und in Naſe und Mund kriechen, ſo daß man<lb/> huſten und nießen muß, ſobald man in freier Luft ſpricht.<lb/> In den Miſſionen am Orinoko, in dieſen von unermeßlichen<lb/> Wäldern umgebenen Dörfern am Stromufer, iſt aber auch die<lb/><hi rendition="#aq">plaga de los moscos</hi> ein unerſchöpflicher Stoff der Unter-<lb/> haltung. Begegnen ſich morgens zwei Leute, ſo ſind ihre<lb/> erſten Fragen: <hi rendition="#aq">„Que le han parecido los zancudos de noche?</hi><lb/> Wie haben Sie die Zancados heute nacht gefunden?“ —<lb/><hi rendition="#aq">„Como stamos hoy de mosquitos?</hi> Wie ſteht es heute mit<lb/> den Moskiten?“ Dieſe Fragen erinnern an eine chineſiſche<lb/> Höflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zuſtand<lb/> des Landes, in dem ſie entſtanden ſein mag, zurückweiſt. Man<lb/> begrüßte ſich früher im himmliſchen Reiche mit den Worten:<lb/><hi rendition="#aq">„<hi rendition="#g">Vou-to-hou?</hi></hi> Seid ihr dieſe Nacht von Schlangen be-<lb/> unruhigt worden?“ Wir werden bald ſehen, daß am Tua-<lb/> mini, auf dem Magdalenenſtrom, beſonders aber in Choco,<lb/> im Gold- und Platinalande, neben dem Moskitokompliment<lb/> auch das chineſiſche Schlangenkompliment am Platze wäre.</p><lb/> <p>Es iſt hier der Ort, von der <hi rendition="#g">geographiſchen Ver-<lb/> teilung</hi> dieſer Inſekten aus der Familie der <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Tipulae</hi></hi> zu<lb/> ſprechen, die ganz merkwürdige Erſcheinungen darbietet. Die-<lb/> ſelbe ſcheint keineswegs bloß von der Hitze, der großen Feuchtig-<lb/> keit und den großen Wäldern abzuhängen, ſondern auch von<lb/> ſchwer zu ermittelnden örtlichen Verhältniſſen. Vorab iſt zu<lb/> bemerken, daß die Plage der Moskiten und Zancudos in der<lb/> heißen Zone nicht ſo allgemein iſt, als man gemeiniglich<lb/> glaubt. Auf Hochebenen mehr als 780 <hi rendition="#aq">m</hi> über dem Meeres-<lb/> ſpiegel, in ſehr trockenen Niederungen weit von den großen<lb/> Strömen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auf-<lb/> fallend mehr Schnaken als in dem am ſtärkſten bevölkerten<lb/> Teile Europas. In Nueva Barcelona dagegen, und weiter<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0152]
Orinoko oder den Magdalenenfluß, nicht befahren hat, kann
nicht begreifen, wie man ohne Unterlaß, jeden Augenblick im
Leben von den Inſekten, die in der Luft ſchweben, gepeinigt
werden, weil die Unzahl dieſer kleinen Tiere weite Landſtrecken
faſt unbewohnbar machen kann. So ſehr man auch gewöhnt
ſein mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, ſo lebhaft
einen auch der Gegenſtand, den man eben beobachtet, beſchäf-
tigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon ab-
gezogen, wenn Moskiten, Zancudos, Jejen und Tem-
praneros einem Hände und Geſicht bedecken, einen mit ihrem
Saugrüſſel, der in einen Stachel ausläuft, durch die Kleider
durch ſtechen, und in Naſe und Mund kriechen, ſo daß man
huſten und nießen muß, ſobald man in freier Luft ſpricht.
In den Miſſionen am Orinoko, in dieſen von unermeßlichen
Wäldern umgebenen Dörfern am Stromufer, iſt aber auch die
plaga de los moscos ein unerſchöpflicher Stoff der Unter-
haltung. Begegnen ſich morgens zwei Leute, ſo ſind ihre
erſten Fragen: „Que le han parecido los zancudos de noche?
Wie haben Sie die Zancados heute nacht gefunden?“ —
„Como stamos hoy de mosquitos? Wie ſteht es heute mit
den Moskiten?“ Dieſe Fragen erinnern an eine chineſiſche
Höflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zuſtand
des Landes, in dem ſie entſtanden ſein mag, zurückweiſt. Man
begrüßte ſich früher im himmliſchen Reiche mit den Worten:
„Vou-to-hou? Seid ihr dieſe Nacht von Schlangen be-
unruhigt worden?“ Wir werden bald ſehen, daß am Tua-
mini, auf dem Magdalenenſtrom, beſonders aber in Choco,
im Gold- und Platinalande, neben dem Moskitokompliment
auch das chineſiſche Schlangenkompliment am Platze wäre.
Es iſt hier der Ort, von der geographiſchen Ver-
teilung dieſer Inſekten aus der Familie der Tipulae zu
ſprechen, die ganz merkwürdige Erſcheinungen darbietet. Die-
ſelbe ſcheint keineswegs bloß von der Hitze, der großen Feuchtig-
keit und den großen Wäldern abzuhängen, ſondern auch von
ſchwer zu ermittelnden örtlichen Verhältniſſen. Vorab iſt zu
bemerken, daß die Plage der Moskiten und Zancudos in der
heißen Zone nicht ſo allgemein iſt, als man gemeiniglich
glaubt. Auf Hochebenen mehr als 780 m über dem Meeres-
ſpiegel, in ſehr trockenen Niederungen weit von den großen
Strömen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auf-
fallend mehr Schnaken als in dem am ſtärkſten bevölkerten
Teile Europas. In Nueva Barcelona dagegen, und weiter
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