Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.westwärts an der Küste, die gegen Kap Codera läuft, nehmen Noi sem venuti al luogo, ov'i't'ho detto1 Die tiefen Luftschichten vom Boden bis zu 5 bis 7 m 1 Inferno. C. III, 16. A. v. Humboldt, Reise. III. 10
weſtwärts an der Küſte, die gegen Kap Codera läuft, nehmen Noi sem venuti al luogo, ov’i’t’ho detto1 Die tiefen Luftſchichten vom Boden bis zu 5 bis 7 m 1 Inferno. C. III, 16. A. v. Humboldt, Reiſe. III. 10
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0153" n="145"/> weſtwärts an der Küſte, die gegen Kap Codera läuft, nehmen<lb/> ſie ungeheuer zu. Zwiſchen dem kleinen Hafen von Higuerote<lb/> und der Mündung des Rio Unare haben die unglücklichen<lb/> Einwohner den Brauch, ſich bei Nacht auf die Erde zu legen<lb/> und ſich 8 bis 10 <hi rendition="#aq">cm</hi> tief in den Sand zu begraben, ſo daß<lb/> nur der Kopf frei bleibt, den ſie mit einem Tuche bedecken.<lb/> Man leidet vom Inſektenſtich, doch ſo, daß es leicht zu er-<lb/> tragen iſt, wenn man den Orinoko von Cabruta gegen Ango-<lb/> ſtura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffährt<lb/> zwiſchen dem 7. und 8. Grad der Breite. Aber über dem<lb/> Einfluß des Rio Arauca, wenn man durch den Engpaß beim<lb/> Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun<lb/> an findet der Reiſende keine Ruhe mehr. Hat er poetiſche<lb/> Stellen aus Dante im Kopfe, ſo mag ihm zu Mute ſein,<lb/> als hätte er die <hi rendition="#aq">Città dolente</hi> betreten, als ſtänden an den<lb/> Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verſe aus dem<lb/> 3. Buch der Hölle geſchrieben:</p><lb/> <cit> <quote> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#aq">Noi sem venuti al luogo, ov’i’t’ho detto<lb/> Che tu vedrai le genti dolorose.</hi> </hi> </quote> <note place="foot" n="1"> <hi rendition="#aq"> <bibl>Inferno. C. III, 16.</bibl> </hi> </note> </cit><lb/> <p>Die tiefen Luftſchichten vom Boden bis zu 5 bis 7 <hi rendition="#aq">m</hi><lb/> Höhe ſind mit giftigen Inſekten wie mit einem dichten Dunſte<lb/> angefüllt. Stellt man ſich an einen dunklen Ort, z. B. in<lb/> die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgetürmten<lb/> Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von<lb/> der Sonne beleuchtete Oeffnung, ſo ſieht man Wolken von<lb/> Moskiten, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem<lb/> die Tierchen bei ihren langſamen und taktmäßigen Bewegungen<lb/> ſich zuſammen- oder auseinanderziehen. In der Miſſion San<lb/> Borja hat man ſchon mehr von den Moskiten zu leiden als<lb/> in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, beſonders<lb/> aber in Maypures erreicht die Plage ſozuſagen ihr Maxi-<lb/> mum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der<lb/> Menſch grauſamere Qualen zu erdulden hat als hier in der<lb/> Regenzeit. Kommt man über den 5. Breitengrad hinauf,<lb/> wird man etwas weniger zerſtochen; aber am oberen Orinoko<lb/> ſind die Stiche ſchmerzlicher, weil bei der Hitze und der völli-<lb/> gen Windſtille die Luft glühender iſt und die Haut, wo ſie<lb/> dieſelbe berührt, mehr reizt.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">A. v. <hi rendition="#g">Humboldt</hi>, Reiſe. <hi rendition="#aq">III.</hi> 10</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0153]
weſtwärts an der Küſte, die gegen Kap Codera läuft, nehmen
ſie ungeheuer zu. Zwiſchen dem kleinen Hafen von Higuerote
und der Mündung des Rio Unare haben die unglücklichen
Einwohner den Brauch, ſich bei Nacht auf die Erde zu legen
und ſich 8 bis 10 cm tief in den Sand zu begraben, ſo daß
nur der Kopf frei bleibt, den ſie mit einem Tuche bedecken.
Man leidet vom Inſektenſtich, doch ſo, daß es leicht zu er-
tragen iſt, wenn man den Orinoko von Cabruta gegen Ango-
ſtura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffährt
zwiſchen dem 7. und 8. Grad der Breite. Aber über dem
Einfluß des Rio Arauca, wenn man durch den Engpaß beim
Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun
an findet der Reiſende keine Ruhe mehr. Hat er poetiſche
Stellen aus Dante im Kopfe, ſo mag ihm zu Mute ſein,
als hätte er die Città dolente betreten, als ſtänden an den
Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verſe aus dem
3. Buch der Hölle geſchrieben:
Noi sem venuti al luogo, ov’i’t’ho detto
Che tu vedrai le genti dolorose. 1
Die tiefen Luftſchichten vom Boden bis zu 5 bis 7 m
Höhe ſind mit giftigen Inſekten wie mit einem dichten Dunſte
angefüllt. Stellt man ſich an einen dunklen Ort, z. B. in
die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgetürmten
Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von
der Sonne beleuchtete Oeffnung, ſo ſieht man Wolken von
Moskiten, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem
die Tierchen bei ihren langſamen und taktmäßigen Bewegungen
ſich zuſammen- oder auseinanderziehen. In der Miſſion San
Borja hat man ſchon mehr von den Moskiten zu leiden als
in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, beſonders
aber in Maypures erreicht die Plage ſozuſagen ihr Maxi-
mum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der
Menſch grauſamere Qualen zu erdulden hat als hier in der
Regenzeit. Kommt man über den 5. Breitengrad hinauf,
wird man etwas weniger zerſtochen; aber am oberen Orinoko
ſind die Stiche ſchmerzlicher, weil bei der Hitze und der völli-
gen Windſtille die Luft glühender iſt und die Haut, wo ſie
dieſelbe berührt, mehr reizt.
1 Inferno. C. III, 16.
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 10
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