nicht deshalb weniger Geschwulst und Entzündung ein, weil ihre Haut eigentümlich organisiert ist, vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nerven- systems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird gesteigert durch sehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geistiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und diese physiologische Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin sind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenstiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, so versetzt man die Haut in einen Zu- stand nervöser Reizbarkeit, von dem man sich in Europa keinen Begriff machen kann. Es ist einem, als zöge sich alle Em- pfindung in die Hautdecken.
Da die Moskiten und die Schnaken zwei Dritteile ihres Lebens im Wasser zubringen, so ist es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüssen durchzogenen Wäldern diese bösartigen Insekten, je weiter vom Ufer weg, desto seltener werden. Sie scheinen sich am liebsten an den Orten aufzu- halten, wo ihre Verwandelung vor sich gegangen ist und wo sie ihrerseits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen sich auch die wilden Indianer (Indios monteros) um so schwerer an das Leben in den Missionen, da sie in den christ- lichen Niederlassungen eine Plage auszustehen haben, von der sie daheim im inneren Lande fast nichts wissen. Man sah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene al monte (in die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskiten. Leider sind gleich anfangs alle Missionen am Orinoko zu nahe am Flusse angelegt worden. In Esmeralda versicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der schönen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, so könnten sie freier atmen und fänden einige Ruhe. La nube de moscos, die Mückenwolke -- so sagen die Mönche -- schwebt nur über dem Orinoko und seinen Nebenflüssen; die Wolke zerteilt sich mehr und mehr, wenn man von den Flüssen weggeht, und man machte sich eine ganz falsche Vorstellung von Guyana und Brasilien, wenn man den großen, 1800 km breiten Wald zwischen den Quellen der Madeira und dem unteren Orinoko nach den Flußthälern beurteilte, die dadurch hinziehen.
nicht deshalb weniger Geſchwulſt und Entzündung ein, weil ihre Haut eigentümlich organiſiert iſt, vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nerven- ſyſtems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird geſteigert durch ſehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geiſtiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und dieſe phyſiologiſche Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin ſind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenſtiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, ſo verſetzt man die Haut in einen Zu- ſtand nervöſer Reizbarkeit, von dem man ſich in Europa keinen Begriff machen kann. Es iſt einem, als zöge ſich alle Em- pfindung in die Hautdecken.
Da die Moskiten und die Schnaken zwei Dritteile ihres Lebens im Waſſer zubringen, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüſſen durchzogenen Wäldern dieſe bösartigen Inſekten, je weiter vom Ufer weg, deſto ſeltener werden. Sie ſcheinen ſich am liebſten an den Orten aufzu- halten, wo ihre Verwandelung vor ſich gegangen iſt und wo ſie ihrerſeits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen ſich auch die wilden Indianer (Indios monteros) um ſo ſchwerer an das Leben in den Miſſionen, da ſie in den chriſt- lichen Niederlaſſungen eine Plage auszuſtehen haben, von der ſie daheim im inneren Lande faſt nichts wiſſen. Man ſah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene al monte (in die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskiten. Leider ſind gleich anfangs alle Miſſionen am Orinoko zu nahe am Fluſſe angelegt worden. In Esmeralda verſicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der ſchönen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, ſo könnten ſie freier atmen und fänden einige Ruhe. La nube de moscos, die Mückenwolke — ſo ſagen die Mönche — ſchwebt nur über dem Orinoko und ſeinen Nebenflüſſen; die Wolke zerteilt ſich mehr und mehr, wenn man von den Flüſſen weggeht, und man machte ſich eine ganz falſche Vorſtellung von Guyana und Braſilien, wenn man den großen, 1800 km breiten Wald zwiſchen den Quellen der Madeira und dem unteren Orinoko nach den Flußthälern beurteilte, die dadurch hinziehen.
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nicht deshalb weniger Geſchwulſt und Entzündung ein, weil
ihre Haut eigentümlich organiſiert iſt, vielmehr hängen Grad
und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nerven-
ſyſtems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird geſteigert durch
ſehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geiſtiger Getränke,
durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und dieſe
phyſiologiſche Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung,
durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß
kann, weil keine Krokodile darin ſind, machten Bonpland und
ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt,
zwar den Schmerz der alten Schnakenſtiche linderte, aber uns
für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr
als zweimal täglich, ſo verſetzt man die Haut in einen Zu-
ſtand nervöſer Reizbarkeit, von dem man ſich in Europa keinen
Begriff machen kann. Es iſt einem, als zöge ſich alle Em-
pfindung in die Hautdecken.
Da die Moskiten und die Schnaken zwei Dritteile ihres
Lebens im Waſſer zubringen, ſo iſt es nicht zu verwundern,
daß in den von großen Flüſſen durchzogenen Wäldern dieſe
bösartigen Inſekten, je weiter vom Ufer weg, deſto ſeltener
werden. Sie ſcheinen ſich am liebſten an den Orten aufzu-
halten, wo ihre Verwandelung vor ſich gegangen iſt und wo
ſie ihrerſeits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen
ſich auch die wilden Indianer (Indios monteros) um ſo
ſchwerer an das Leben in den Miſſionen, da ſie in den chriſt-
lichen Niederlaſſungen eine Plage auszuſtehen haben, von der
ſie daheim im inneren Lande faſt nichts wiſſen. Man ſah in
Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene al monte (in die
Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskiten. Leider
ſind gleich anfangs alle Miſſionen am Orinoko zu nahe am
Fluſſe angelegt worden. In Esmeralda verſicherten uns die
Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der ſchönen Ebenen
um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, ſo
könnten ſie freier atmen und fänden einige Ruhe. La nube
de moscos, die Mückenwolke — ſo ſagen die Mönche — ſchwebt
nur über dem Orinoko und ſeinen Nebenflüſſen; die Wolke
zerteilt ſich mehr und mehr, wenn man von den Flüſſen
weggeht, und man machte ſich eine ganz falſche Vorſtellung
von Guyana und Braſilien, wenn man den großen, 1800 km
breiten Wald zwiſchen den Quellen der Madeira und dem
unteren Orinoko nach den Flußthälern beurteilte, die dadurch
hinziehen.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/161>, abgerufen am 17.07.2024.
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