unter den Gräbern der Indianer versteckt. Man behauptet, die Jesuiten in Santa Fe de Bogota haben zum voraus ge- wußt, daß die Gesellschaft werde aufgehoben werden; da haben sie ihr Geld und ihre kostbaren Gefäße beiseite schaffen wollen und dieselben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoko geschickt, mit dem Befehl, sie auf den Inseln mitten in den Raudales zu verstecken. Diesen Schatz nun soll ich ohne Wissen meiner Oberen mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, persönlich zu erscheinen. Wir mußten ganz umsonst eine Reise von 675 km machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menschengebeine, Marder und vertrocknete Fleder- mäuse; man ernannte mit großer Wichtigkeit Kommissäre, die sich hierher begeben und an Ort und Stelle inspizieren sollen, was noch vom Schatze der Jesuiten vorhanden sei. Aber wir können lange auf die Kommissäre warten. Wenn sie auf dem Orinoko bis San Borja heraufkommen, werden sie vor den Moskiten Angst bekommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke (nube de moscas), in der wir in den Raudales stecken, ist man gut geborgen."
Diese Geschichte des Missionärs wurde uns später in Angostura aus dem Munde des Statthalters vollkommen be- stätigt. Zufällige Umstände geben zu den seltsamsten Ver- mutungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichsten Inseln fanden die Indianer vor langer Zeit eisenbeschlagene Kisten mit verschiedenen europäischen Werkzeugen, Resten von Kleidungsstücken, Rosenkränzen und Glaswaren. Man vermutete, die Gegenstände haben portu- giesischen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para an- gehört, die vor der Niederlassung der Jesuiten am Orinoko über Trageplätze und die Flußverbindungen im Inneren nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugiesen, glaubte man, seien den Seuchen, die in den Raudales so häufig sind, erlegen und ihre Kisten den In- dianern in die Hände gefallen, die, wenn sie wohlhabend sind, sich mit dem Kostbarsten, was sie im Leben besaßen, beerdigen lassen. Nach diesen zweifelhaften Geschichten wurde das Märchen von einem versteckten Schatze geschmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, sogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die französischen Aka-
unter den Gräbern der Indianer verſteckt. Man behauptet, die Jeſuiten in Santa Fé de Bogota haben zum voraus ge- wußt, daß die Geſellſchaft werde aufgehoben werden; da haben ſie ihr Geld und ihre koſtbaren Gefäße beiſeite ſchaffen wollen und dieſelben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoko geſchickt, mit dem Befehl, ſie auf den Inſeln mitten in den Raudales zu verſtecken. Dieſen Schatz nun ſoll ich ohne Wiſſen meiner Oberen mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, perſönlich zu erſcheinen. Wir mußten ganz umſonſt eine Reiſe von 675 km machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menſchengebeine, Marder und vertrocknete Fleder- mäuſe; man ernannte mit großer Wichtigkeit Kommiſſäre, die ſich hierher begeben und an Ort und Stelle inſpizieren ſollen, was noch vom Schatze der Jeſuiten vorhanden ſei. Aber wir können lange auf die Kommiſſäre warten. Wenn ſie auf dem Orinoko bis San Borja heraufkommen, werden ſie vor den Moskiten Angſt bekommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke (nube de moscas), in der wir in den Raudales ſtecken, iſt man gut geborgen.“
Dieſe Geſchichte des Miſſionärs wurde uns ſpäter in Angoſtura aus dem Munde des Statthalters vollkommen be- ſtätigt. Zufällige Umſtände geben zu den ſeltſamſten Ver- mutungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichſten Inſeln fanden die Indianer vor langer Zeit eiſenbeſchlagene Kiſten mit verſchiedenen europäiſchen Werkzeugen, Reſten von Kleidungsſtücken, Roſenkränzen und Glaswaren. Man vermutete, die Gegenſtände haben portu- gieſiſchen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para an- gehört, die vor der Niederlaſſung der Jeſuiten am Orinoko über Trageplätze und die Flußverbindungen im Inneren nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugieſen, glaubte man, ſeien den Seuchen, die in den Raudales ſo häufig ſind, erlegen und ihre Kiſten den In- dianern in die Hände gefallen, die, wenn ſie wohlhabend ſind, ſich mit dem Koſtbarſten, was ſie im Leben beſaßen, beerdigen laſſen. Nach dieſen zweifelhaften Geſchichten wurde das Märchen von einem verſteckten Schatze geſchmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, ſogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die franzöſiſchen Aka-
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unter den Gräbern der Indianer verſteckt. Man behauptet,
die Jeſuiten in Santa Fé de Bogota haben zum voraus ge-
wußt, daß die Geſellſchaft werde aufgehoben werden; da haben
ſie ihr Geld und ihre koſtbaren Gefäße beiſeite ſchaffen wollen
und dieſelben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an
den Orinoko geſchickt, mit dem Befehl, ſie auf den Inſeln
mitten in den Raudales zu verſtecken. Dieſen Schatz nun ſoll
ich ohne Wiſſen meiner Oberen mir zugeeignet haben. Die
Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana
Klage, und wir erhielten Befehl, perſönlich zu erſcheinen. Wir
mußten ganz umſonſt eine Reiſe von 675 km machen, und es
half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts
gefunden als Menſchengebeine, Marder und vertrocknete Fleder-
mäuſe; man ernannte mit großer Wichtigkeit Kommiſſäre, die
ſich hierher begeben und an Ort und Stelle inſpizieren ſollen,
was noch vom Schatze der Jeſuiten vorhanden ſei. Aber wir
können lange auf die Kommiſſäre warten. Wenn ſie auf dem
Orinoko bis San Borja heraufkommen, werden ſie vor den
Moskiten Angſt bekommen und nicht weiter gehen. In der
Mückenwolke (nube de moscas), in der wir in den Raudales
ſtecken, iſt man gut geborgen.“
Dieſe Geſchichte des Miſſionärs wurde uns ſpäter in
Angoſtura aus dem Munde des Statthalters vollkommen be-
ſtätigt. Zufällige Umſtände geben zu den ſeltſamſten Ver-
mutungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und
Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf
den unzugänglichſten Inſeln fanden die Indianer vor langer
Zeit eiſenbeſchlagene Kiſten mit verſchiedenen europäiſchen
Werkzeugen, Reſten von Kleidungsſtücken, Roſenkränzen und
Glaswaren. Man vermutete, die Gegenſtände haben portu-
gieſiſchen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para an-
gehört, die vor der Niederlaſſung der Jeſuiten am Orinoko
über Trageplätze und die Flußverbindungen im Inneren nach
Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben.
Die Portugieſen, glaubte man, ſeien den Seuchen, die in den
Raudales ſo häufig ſind, erlegen und ihre Kiſten den In-
dianern in die Hände gefallen, die, wenn ſie wohlhabend ſind,
ſich mit dem Koſtbarſten, was ſie im Leben beſaßen, beerdigen
laſſen. Nach dieſen zweifelhaften Geſchichten wurde das Märchen
von einem verſteckten Schatze geſchmiedet. Wie in den Anden
von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, ſogar die
Grundmauern der Pyramiden, welche die franzöſiſchen Aka-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/170>, abgerufen am 16.02.2025.
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