Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Baumstämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die
Fackeln erloschen; dieselben sind wunderlich zusammengesetzt
(der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch
als Licht und gehen leicht aus. Unser Gefährte, Don Nicolas
Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden
Stamme über den Sumpf ging. Wir waren anfangs sehr
besorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunter-
gefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er
hatte sich nicht verletzt. Der indianische Steuermann, der sich
ziemlich fertig auf spanisch ausdrückte, ermangelte nicht, davon
zu sprechen, daß wir leicht von Ottern, Wasserschlangen und
Tigern angegriffen werden könnten. Solches ist eigentlich die
obligate Unterhaltung, wenn man nachts mit den Eingeborenen
unterwegs ist. Die Indianer glauben, wenn sie dem euro-
päischen Reisenden Angst einjagen, sich notwendiger zu machen
und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpste
Bursche in den Missionen ist mit den Kniffen bekannt, wie sie
überall im Schwange sind, wo Menschen von sehr verschie-
denem Stand und Bildungsgrad miteinander verkehren. Unter
dem absoluten und hie und da etwas quälerischen Regiment
der Mönche sucht er seine Lage durch die kleinen Kunstgriffe
zu verbessern, welche die Waffen der Kindheit und jeder phy-
sischen und geistigen Schwäche sind.

Da wir in der Mission San Jose de Maypures
in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung
des Ortes doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefsten Schlaf;
man hörte nichts als das Geschrei der Nachtvögel und das
ferne Tosen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieser
tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brausen eines
Wasserfalles etwas Niederschlagendes, Drohendes. Wir blieben
drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don
Jose Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und
das noch malerischer, man kann wohl sagen wundervoller liegt
als Atures.

Der Raudal von Maypures, von den Indianern Qui-
tuna
genannt, entsteht, wie alle Wasserfälle, durch den Wider-
stand, den der Fluß findet, indem er sich durch einen Fels-
grat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter
des Ortes kennen lernen will, den verweise ich auf den Plan,
den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem General-
gouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß sich der
Raudal umgehen und die Schiffahrt bedeutend erleichtern

Baumſtämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die
Fackeln erloſchen; dieſelben ſind wunderlich zuſammengeſetzt
(der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch
als Licht und gehen leicht aus. Unſer Gefährte, Don Nicolas
Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden
Stamme über den Sumpf ging. Wir waren anfangs ſehr
beſorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunter-
gefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er
hatte ſich nicht verletzt. Der indianiſche Steuermann, der ſich
ziemlich fertig auf ſpaniſch ausdrückte, ermangelte nicht, davon
zu ſprechen, daß wir leicht von Ottern, Waſſerſchlangen und
Tigern angegriffen werden könnten. Solches iſt eigentlich die
obligate Unterhaltung, wenn man nachts mit den Eingeborenen
unterwegs iſt. Die Indianer glauben, wenn ſie dem euro-
päiſchen Reiſenden Angſt einjagen, ſich notwendiger zu machen
und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpſte
Burſche in den Miſſionen iſt mit den Kniffen bekannt, wie ſie
überall im Schwange ſind, wo Menſchen von ſehr verſchie-
denem Stand und Bildungsgrad miteinander verkehren. Unter
dem abſoluten und hie und da etwas quäleriſchen Regiment
der Mönche ſucht er ſeine Lage durch die kleinen Kunſtgriffe
zu verbeſſern, welche die Waffen der Kindheit und jeder phy-
ſiſchen und geiſtigen Schwäche ſind.

Da wir in der Miſſion San Joſe de Maypures
in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung
des Ortes doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefſten Schlaf;
man hörte nichts als das Geſchrei der Nachtvögel und das
ferne Toſen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieſer
tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brauſen eines
Waſſerfalles etwas Niederſchlagendes, Drohendes. Wir blieben
drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don
Joſe Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und
das noch maleriſcher, man kann wohl ſagen wundervoller liegt
als Atures.

Der Raudal von Maypures, von den Indianern Qui-
tuna
genannt, entſteht, wie alle Waſſerfälle, durch den Wider-
ſtand, den der Fluß findet, indem er ſich durch einen Fels-
grat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter
des Ortes kennen lernen will, den verweiſe ich auf den Plan,
den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem General-
gouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß ſich der
Raudal umgehen und die Schiffahrt bedeutend erleichtern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0175" n="167"/>
Baum&#x017F;tämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die<lb/>
Fackeln erlo&#x017F;chen; die&#x017F;elben &#x017F;ind wunderlich zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt<lb/>
(der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch<lb/>
als Licht und gehen leicht aus. Un&#x017F;er Gefährte, Don Nicolas<lb/>
Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden<lb/>
Stamme über den Sumpf ging. Wir waren anfangs &#x017F;ehr<lb/>
be&#x017F;orgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunter-<lb/>
gefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er<lb/>
hatte &#x017F;ich nicht verletzt. Der indiani&#x017F;che Steuermann, der &#x017F;ich<lb/>
ziemlich fertig auf &#x017F;pani&#x017F;ch ausdrückte, ermangelte nicht, davon<lb/>
zu &#x017F;prechen, daß wir leicht von Ottern, Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chlangen und<lb/>
Tigern angegriffen werden könnten. Solches i&#x017F;t eigentlich die<lb/>
obligate Unterhaltung, wenn man nachts mit den Eingeborenen<lb/>
unterwegs i&#x017F;t. Die Indianer glauben, wenn &#x017F;ie dem euro-<lb/>
päi&#x017F;chen Rei&#x017F;enden Ang&#x017F;t einjagen, &#x017F;ich notwendiger zu machen<lb/>
und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plump&#x017F;te<lb/>
Bur&#x017F;che in den Mi&#x017F;&#x017F;ionen i&#x017F;t mit den Kniffen bekannt, wie &#x017F;ie<lb/>
überall im Schwange &#x017F;ind, wo Men&#x017F;chen von &#x017F;ehr ver&#x017F;chie-<lb/>
denem Stand und Bildungsgrad miteinander verkehren. Unter<lb/>
dem ab&#x017F;oluten und hie und da etwas quäleri&#x017F;chen Regiment<lb/>
der Mönche &#x017F;ucht er &#x017F;eine Lage durch die kleinen Kun&#x017F;tgriffe<lb/>
zu verbe&#x017F;&#x017F;ern, welche die Waffen der Kindheit und jeder phy-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen und gei&#x017F;tigen Schwäche &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Da wir in der Mi&#x017F;&#x017F;ion <hi rendition="#g">San Jo&#x017F;e de Maypures</hi><lb/>
in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung<lb/>
des Ortes doppelt auf. Die Indianer lagen im tief&#x017F;ten Schlaf;<lb/>
man hörte nichts als das Ge&#x017F;chrei der Nachtvögel und das<lb/>
ferne To&#x017F;en des Katarakts. In der Stille der Nacht, in die&#x017F;er<lb/>
tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brau&#x017F;en eines<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;erfalles etwas Nieder&#x017F;chlagendes, Drohendes. Wir blieben<lb/>
drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don<lb/>
Jo&#x017F;e Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und<lb/>
das noch maleri&#x017F;cher, man kann wohl &#x017F;agen wundervoller liegt<lb/>
als Atures.</p><lb/>
          <p>Der Raudal von Maypures, von den Indianern <hi rendition="#g">Qui-<lb/>
tuna</hi> genannt, ent&#x017F;teht, wie alle Wa&#x017F;&#x017F;erfälle, durch den Wider-<lb/>
&#x017F;tand, den der Fluß findet, indem er &#x017F;ich durch einen Fels-<lb/>
grat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter<lb/>
des Ortes kennen lernen will, den verwei&#x017F;e ich auf den Plan,<lb/>
den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem General-<lb/>
gouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß &#x017F;ich der<lb/>
Raudal umgehen und die Schiffahrt bedeutend erleichtern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0175] Baumſtämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloſchen; dieſelben ſind wunderlich zuſammengeſetzt (der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch als Licht und gehen leicht aus. Unſer Gefährte, Don Nicolas Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden Stamme über den Sumpf ging. Wir waren anfangs ſehr beſorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunter- gefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er hatte ſich nicht verletzt. Der indianiſche Steuermann, der ſich ziemlich fertig auf ſpaniſch ausdrückte, ermangelte nicht, davon zu ſprechen, daß wir leicht von Ottern, Waſſerſchlangen und Tigern angegriffen werden könnten. Solches iſt eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man nachts mit den Eingeborenen unterwegs iſt. Die Indianer glauben, wenn ſie dem euro- päiſchen Reiſenden Angſt einjagen, ſich notwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpſte Burſche in den Miſſionen iſt mit den Kniffen bekannt, wie ſie überall im Schwange ſind, wo Menſchen von ſehr verſchie- denem Stand und Bildungsgrad miteinander verkehren. Unter dem abſoluten und hie und da etwas quäleriſchen Regiment der Mönche ſucht er ſeine Lage durch die kleinen Kunſtgriffe zu verbeſſern, welche die Waffen der Kindheit und jeder phy- ſiſchen und geiſtigen Schwäche ſind. Da wir in der Miſſion San Joſe de Maypures in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung des Ortes doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefſten Schlaf; man hörte nichts als das Geſchrei der Nachtvögel und das ferne Toſen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieſer tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brauſen eines Waſſerfalles etwas Niederſchlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Joſe Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und das noch maleriſcher, man kann wohl ſagen wundervoller liegt als Atures. Der Raudal von Maypures, von den Indianern Qui- tuna genannt, entſteht, wie alle Waſſerfälle, durch den Wider- ſtand, den der Fluß findet, indem er ſich durch einen Fels- grat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Ortes kennen lernen will, den verweiſe ich auf den Plan, den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem General- gouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß ſich der Raudal umgehen und die Schiffahrt bedeutend erleichtern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/175
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/175>, abgerufen am 21.11.2024.