von Maypures sehr ansehnlich; sie zählte 6000 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Observanten ist die Bevölkerung auf weniger als 60 herab- gesunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in diesem Teile von Südamerika die Kultur seit einem halben Jahr- hundert zurückgegangen ist, während wir jenseits der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000 bis 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures sind ein sanftmütiges, mäßiges Volk, das sich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meisten Wilden am Orinoko haben nicht den wüsten Hang zu geistigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomaken, Yaruros, Achaguas und Kariben berauschen sich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der Chiza und so mancher anderen gegorenen Getränke, die sie aus Maniok, Mais und zucker- haltigen Palmfrüchten zu bereiten wissen; die Reisenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und sehr erschöpft schienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müssen erst länger in diesen Ländern gesessen haben, ehe sich die Laster ausbreiten, die unter den Indianern an den Küsten bereits so gemein sind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Ein- geborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man den- selben in den Häusern der Missionäre selten begegnet.
Sie bauen Bananen und Maniok, aber keinen Mais. 35 bis 40 kg Maniok in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brot, kosten 6 Silberrealen, ungefähr 4 Franken. Wie die meisten Indianer am Orinoko haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieser Getränke, das im Lande sehr berühmt ist, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Mission, am Ufer des Auvana wild wächst. Dieser Baum ist der Seje; ich habe an einer Blütentraube 44000 Blüten geschätzt; der Früchte, die meist unreif abfallen, waren 8000. Es ist eine kleine fleischige Steinfrucht. Man wirft sie ein paar Minuten lang in kochendes Wasser, damit sich der Kern vom Fleische trennt, das zuckersüß ist, und sofort in einem großen Gefäß mit Wasser zerstampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelbliche Flüssigkeit, die wie Mandelmilch schmeckt. Man setzt manchmal Papelon oder Rohzucker zu. Der
von Maypures ſehr anſehnlich; ſie zählte 6000 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Obſervanten iſt die Bevölkerung auf weniger als 60 herab- geſunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in dieſem Teile von Südamerika die Kultur ſeit einem halben Jahr- hundert zurückgegangen iſt, während wir jenſeits der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000 bis 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures ſind ein ſanftmütiges, mäßiges Volk, das ſich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meiſten Wilden am Orinoko haben nicht den wüſten Hang zu geiſtigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomaken, Yaruros, Achaguas und Kariben berauſchen ſich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der Chiza und ſo mancher anderen gegorenen Getränke, die ſie aus Maniok, Mais und zucker- haltigen Palmfrüchten zu bereiten wiſſen; die Reiſenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und ſehr erſchöpft ſchienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müſſen erſt länger in dieſen Ländern geſeſſen haben, ehe ſich die Laſter ausbreiten, die unter den Indianern an den Küſten bereits ſo gemein ſind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Ein- geborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man den- ſelben in den Häuſern der Miſſionäre ſelten begegnet.
Sie bauen Bananen und Maniok, aber keinen Mais. 35 bis 40 kg Maniok in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brot, koſten 6 Silberrealen, ungefähr 4 Franken. Wie die meiſten Indianer am Orinoko haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieſer Getränke, das im Lande ſehr berühmt iſt, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Miſſion, am Ufer des Auvana wild wächſt. Dieſer Baum iſt der Seje; ich habe an einer Blütentraube 44000 Blüten geſchätzt; der Früchte, die meiſt unreif abfallen, waren 8000. Es iſt eine kleine fleiſchige Steinfrucht. Man wirft ſie ein paar Minuten lang in kochendes Waſſer, damit ſich der Kern vom Fleiſche trennt, das zuckerſüß iſt, und ſofort in einem großen Gefäß mit Waſſer zerſtampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelbliche Flüſſigkeit, die wie Mandelmilch ſchmeckt. Man ſetzt manchmal Papelon oder Rohzucker zu. Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0182"n="174"/>
von Maypures ſehr anſehnlich; ſie zählte 6000 Einwohner,<lb/>
darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der<lb/>
Obſervanten iſt die Bevölkerung auf weniger als 60 herab-<lb/>
geſunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in dieſem<lb/>
Teile von Südamerika die Kultur ſeit einem halben Jahr-<lb/>
hundert zurückgegangen iſt, während wir jenſeits der Wälder,<lb/>
in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000<lb/>
bis 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures<lb/>ſind ein ſanftmütiges, mäßiges Volk, das ſich auch durch große<lb/>
Reinlichkeit auszeichnet. Die meiſten Wilden am Orinoko<lb/>
haben nicht den wüſten Hang zu geiſtigen Getränken, dem<lb/>
man in Nordamerika begegnet. Die Otomaken, Yaruros,<lb/>
Achaguas und Kariben berauſchen ſich allerdings oft durch<lb/>
den übermäßigen Genuß der <hirendition="#g">Chiza</hi> und ſo mancher anderen<lb/>
gegorenen Getränke, die ſie aus Maniok, Mais und zucker-<lb/>
haltigen Palmfrüchten zu bereiten wiſſen; die Reiſenden haben<lb/>
aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was<lb/>
nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir<lb/>
Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und<lb/>ſehr erſchöpft ſchienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig<lb/>
Branntwein zu trinken. Die Europäer müſſen erſt länger in<lb/>
dieſen Ländern geſeſſen haben, ehe ſich die Laſter ausbreiten,<lb/>
die unter den Indianern an den Küſten bereits ſo gemein<lb/>ſind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Ein-<lb/>
geborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man den-<lb/>ſelben in den Häuſern der Miſſionäre ſelten begegnet.</p><lb/><p>Sie bauen Bananen und Maniok, aber keinen Mais.<lb/>
35 bis 40 <hirendition="#aq">kg</hi> Maniok in Kuchen oder dünnen Scheiben, das<lb/>
landesübliche Brot, koſten 6 Silberrealen, ungefähr 4 Franken.<lb/>
Wie die meiſten Indianer am Orinoko haben auch die in<lb/>
Maypures Getränke, die man <hirendition="#g">nahrhafte</hi> nennen kann.<lb/>
Eines dieſer Getränke, das im Lande ſehr berühmt iſt, wird<lb/>
von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Miſſion,<lb/>
am Ufer des Auvana wild wächſt. Dieſer Baum iſt der Seje;<lb/>
ich habe an <hirendition="#g">einer</hi> Blütentraube 44000 Blüten geſchätzt; der<lb/>
Früchte, die meiſt unreif abfallen, waren 8000. Es iſt eine<lb/>
kleine fleiſchige Steinfrucht. Man wirft ſie ein paar Minuten<lb/>
lang in kochendes Waſſer, damit ſich der Kern vom Fleiſche<lb/>
trennt, das zuckerſüß iſt, und ſofort in einem großen Gefäß<lb/>
mit Waſſer zerſtampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß<lb/>
gibt eine gelbliche Flüſſigkeit, die wie Mandelmilch ſchmeckt.<lb/>
Man ſetzt manchmal <hirendition="#g">Papelon</hi> oder Rohzucker zu. Der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[174/0182]
von Maypures ſehr anſehnlich; ſie zählte 6000 Einwohner,
darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der
Obſervanten iſt die Bevölkerung auf weniger als 60 herab-
geſunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in dieſem
Teile von Südamerika die Kultur ſeit einem halben Jahr-
hundert zurückgegangen iſt, während wir jenſeits der Wälder,
in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000
bis 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures
ſind ein ſanftmütiges, mäßiges Volk, das ſich auch durch große
Reinlichkeit auszeichnet. Die meiſten Wilden am Orinoko
haben nicht den wüſten Hang zu geiſtigen Getränken, dem
man in Nordamerika begegnet. Die Otomaken, Yaruros,
Achaguas und Kariben berauſchen ſich allerdings oft durch
den übermäßigen Genuß der Chiza und ſo mancher anderen
gegorenen Getränke, die ſie aus Maniok, Mais und zucker-
haltigen Palmfrüchten zu bereiten wiſſen; die Reiſenden haben
aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was
nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir
Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und
ſehr erſchöpft ſchienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig
Branntwein zu trinken. Die Europäer müſſen erſt länger in
dieſen Ländern geſeſſen haben, ehe ſich die Laſter ausbreiten,
die unter den Indianern an den Küſten bereits ſo gemein
ſind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Ein-
geborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man den-
ſelben in den Häuſern der Miſſionäre ſelten begegnet.
Sie bauen Bananen und Maniok, aber keinen Mais.
35 bis 40 kg Maniok in Kuchen oder dünnen Scheiben, das
landesübliche Brot, koſten 6 Silberrealen, ungefähr 4 Franken.
Wie die meiſten Indianer am Orinoko haben auch die in
Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann.
Eines dieſer Getränke, das im Lande ſehr berühmt iſt, wird
von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Miſſion,
am Ufer des Auvana wild wächſt. Dieſer Baum iſt der Seje;
ich habe an einer Blütentraube 44000 Blüten geſchätzt; der
Früchte, die meiſt unreif abfallen, waren 8000. Es iſt eine
kleine fleiſchige Steinfrucht. Man wirft ſie ein paar Minuten
lang in kochendes Waſſer, damit ſich der Kern vom Fleiſche
trennt, das zuckerſüß iſt, und ſofort in einem großen Gefäß
mit Waſſer zerſtampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß
gibt eine gelbliche Flüſſigkeit, die wie Mandelmilch ſchmeckt.
Man ſetzt manchmal Papelon oder Rohzucker zu. Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/182>, abgerufen am 19.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.