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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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aus dem Dorf und schlafen auf den Inseln mitten in den
Katarakten, wo es weniger Insekten gibt; andere machen aus
Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre
Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer stand bei
Nacht auf 27 und 29°, bei Tage auf 30°. Am 19. April
fand ich um 2 Uhr nachmittags einen losen, grobkörnigen
Granitsand 60,3°,1 einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen
und dichteren Granitsand 52,5° heiß; die Temperatur eines
kahlen Granitfelsen war 47,6°. Zu derselben Stunde zeigte
der Thermometer 2,6 m über dem Boden im Schatten 29,6°,
in der Sonne 36,2°. Eine Stunde nach Sonnenuntergang
zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38,8°, die Luft
28,6°, das Wasser des Orinoko im Raudal, an der Ober-
fläche, 27,6°, das Wasser einer schönen Quelle, die hinter dem
Haus der Missionäre aus dem Granit kommt, 27,8°. Es ist
dies vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur
der Luft in Maypures. Die Inklination der Magnetnadel
in Maypures betrug 31,10°, also 1,15° weniger als im
Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach
Norden liegt.

Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und
einem halben Tage im kleinen Dorfe Maypures neben dem
oberen großen Katarakt schifften wir uns um 2 Uhr nach-
mittags in derselben Piroge wieder ein, die der Missionär von
Carichana uns überlassen; sie war vom Schlagen an die
Klippen und durch die Unvorsichtigkeit der indianischen Schiffs-
leute ziemlich beschädigt; aber ihrer warteten noch größere
Fährlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro
über eine Landenge 11,7 km weit geschleppt werden, sie mußte
über den Cassiquiare wieder in den Orinoko herauf und zum
zweitenmal durch die beiden Raudale. Man untersuchte Boden
und Seitenwände der Piroge und meinte, sie sei stark genug,
die lange Reise auszuhalten.

Sobald man über die großen Katarakte weg ist, befindet
man sich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die
Schranke hinter sich, welche die Natur selbst zwischen den
kultivierten Küstenstrichen und den wilden, unbekannten Län-
dern im Inneren bezogen zu haben scheint. Gegen Ost in
blauer Ferne zeigt sich zum letztenmal die hohe Bergkette des
Cunavami; ihr langer, wagerechter Kamm erinnert an die

1 Gräser vom frischesten Grün wuchsen in diesem Sand.

aus dem Dorf und ſchlafen auf den Inſeln mitten in den
Katarakten, wo es weniger Inſekten gibt; andere machen aus
Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre
Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer ſtand bei
Nacht auf 27 und 29°, bei Tage auf 30°. Am 19. April
fand ich um 2 Uhr nachmittags einen loſen, grobkörnigen
Granitſand 60,3°,1 einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen
und dichteren Granitſand 52,5° heiß; die Temperatur eines
kahlen Granitfelſen war 47,6°. Zu derſelben Stunde zeigte
der Thermometer 2,6 m über dem Boden im Schatten 29,6°,
in der Sonne 36,2°. Eine Stunde nach Sonnenuntergang
zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38,8°, die Luft
28,6°, das Waſſer des Orinoko im Raudal, an der Ober-
fläche, 27,6°, das Waſſer einer ſchönen Quelle, die hinter dem
Haus der Miſſionäre aus dem Granit kommt, 27,8°. Es iſt
dies vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur
der Luft in Maypures. Die Inklination der Magnetnadel
in Maypures betrug 31,10°, alſo 1,15° weniger als im
Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach
Norden liegt.

Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und
einem halben Tage im kleinen Dorfe Maypures neben dem
oberen großen Katarakt ſchifften wir uns um 2 Uhr nach-
mittags in derſelben Piroge wieder ein, die der Miſſionär von
Carichana uns überlaſſen; ſie war vom Schlagen an die
Klippen und durch die Unvorſichtigkeit der indianiſchen Schiffs-
leute ziemlich beſchädigt; aber ihrer warteten noch größere
Fährlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro
über eine Landenge 11,7 km weit geſchleppt werden, ſie mußte
über den Caſſiquiare wieder in den Orinoko herauf und zum
zweitenmal durch die beiden Raudale. Man unterſuchte Boden
und Seitenwände der Piroge und meinte, ſie ſei ſtark genug,
die lange Reiſe auszuhalten.

Sobald man über die großen Katarakte weg iſt, befindet
man ſich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die
Schranke hinter ſich, welche die Natur ſelbſt zwiſchen den
kultivierten Küſtenſtrichen und den wilden, unbekannten Län-
dern im Inneren bezogen zu haben ſcheint. Gegen Oſt in
blauer Ferne zeigt ſich zum letztenmal die hohe Bergkette des
Cunavami; ihr langer, wagerechter Kamm erinnert an die

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[181/0189] aus dem Dorf und ſchlafen auf den Inſeln mitten in den Katarakten, wo es weniger Inſekten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer ſtand bei Nacht auf 27 und 29°, bei Tage auf 30°. Am 19. April fand ich um 2 Uhr nachmittags einen loſen, grobkörnigen Granitſand 60,3°, 1 einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen und dichteren Granitſand 52,5° heiß; die Temperatur eines kahlen Granitfelſen war 47,6°. Zu derſelben Stunde zeigte der Thermometer 2,6 m über dem Boden im Schatten 29,6°, in der Sonne 36,2°. Eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38,8°, die Luft 28,6°, das Waſſer des Orinoko im Raudal, an der Ober- fläche, 27,6°, das Waſſer einer ſchönen Quelle, die hinter dem Haus der Miſſionäre aus dem Granit kommt, 27,8°. Es iſt dies vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inklination der Magnetnadel in Maypures betrug 31,10°, alſo 1,15° weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach Norden liegt. Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und einem halben Tage im kleinen Dorfe Maypures neben dem oberen großen Katarakt ſchifften wir uns um 2 Uhr nach- mittags in derſelben Piroge wieder ein, die der Miſſionär von Carichana uns überlaſſen; ſie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorſichtigkeit der indianiſchen Schiffs- leute ziemlich beſchädigt; aber ihrer warteten noch größere Fährlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro über eine Landenge 11,7 km weit geſchleppt werden, ſie mußte über den Caſſiquiare wieder in den Orinoko herauf und zum zweitenmal durch die beiden Raudale. Man unterſuchte Boden und Seitenwände der Piroge und meinte, ſie ſei ſtark genug, die lange Reiſe auszuhalten. Sobald man über die großen Katarakte weg iſt, befindet man ſich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die Schranke hinter ſich, welche die Natur ſelbſt zwiſchen den kultivierten Küſtenſtrichen und den wilden, unbekannten Län- dern im Inneren bezogen zu haben ſcheint. Gegen Oſt in blauer Ferne zeigt ſich zum letztenmal die hohe Bergkette des Cunavami; ihr langer, wagerechter Kamm erinnert an die 1 Gräſer vom friſcheſten Grün wuchſen in dieſem Sand.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/189>, abgerufen am 21.11.2024.