Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Hinter diesen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, Bei der Mündung des Rio Vichada oder Visata stiegen 1 Rochen, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fisch
dieses Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt scheint. Hinter dieſen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, Bei der Mündung des Rio Vichada oder Viſata ſtiegen 1 Rochen, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fiſch
dieſes Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt ſcheint. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0195" n="187"/> <p>Hinter dieſen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero,<lb/> der mächtige Häuptling der Guaypunabis, nachdem er mit<lb/> ſeiner kriegeriſchen Horde von den Ebenen zwiſchen dem Rio<lb/> Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die In-<lb/> dianer verſicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachſe<lb/> in Menge der <hi rendition="#g">Vehuco de Maimure</hi>. Dieſes Schling-<lb/> gewächs iſt den Indianern ſehr wichtig, weil ſie Körbe und<lb/> Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo ſind<lb/> völlig unbekannt, und die Miſſionäre verſetzen hierher das Volk<lb/> der <hi rendition="#g">Rayas</hi>,<note place="foot" n="1"><hi rendition="#g">Rochen</hi>, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fiſch<lb/> dieſes Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt ſcheint.</note> „die den Mund am Nabel haben“. Ein alter<lb/> Indianer, den wir in Carichana antrafen und der ſich rühmte<lb/> oft Menſchenfleiſch gegeſſen zu haben, hatte dieſe kopfloſen<lb/> Menſchen „mit eigenen Augen“ geſehen. Dieſe abgeſchmackten<lb/> Märchen haben ſich auch in den Llanos verbreitet, und dort<lb/> iſt es nicht immer geraten, die Exiſtenz der Rayas-Indianer<lb/> in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsſtrichen iſt Unduld-<lb/> ſamkeit die Gefährtin der Leichtgläubigkeit, und man könnte<lb/> meinen, die Hirngeſpinnſte der alten Erdbeſchreiber ſeien aus<lb/> der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht<lb/> wüßte, daß die ſeltſamſten Ausgeburten der Phantaſie, gerade<lb/> wie die Naturbildungen, überall in Ausſehen und Geſtaltung<lb/> eine gewiſſe Aehnlichkeit zeigen.</p><lb/> <p>Bei der Mündung des Rio Vichada oder Viſata ſtiegen<lb/> wir aus, um die Pflanzen des Landſtriches zu unterſuchen.<lb/> Die Gegend iſt höchſt merkwürdig; der Wald iſt nicht ſehr<lb/> dicht und eine Unzahl kleiner Felſen ſteht frei auf der Ebene.<lb/> Es ſind prismatiſche Steinmaſſen und ſie ſehen wie verfallene<lb/> Pfeiler, wie einzeln ſtehende 5 bis 7 <hi rendition="#aq">m</hi> hohe Türmchen aus.<lb/> Die einen ſind von den Bäumen des Waldes beſchattet, bei<lb/> anderen iſt der Gipfel von Palmen gekrönt. Die Felſen ſind<lb/> Granit, der in Gneis übergeht. Befände man ſich hier nicht<lb/> im Bereich des Urgebirges, man glaubte ſich in den Felſen<lb/> von Adersbach in Böhmen oder von Streitberg und Fantaſie<lb/> in Franken verſetzt. Sandſtein und ſekundärer Kalkſtein können<lb/> keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des<lb/> Vichada ſind die Granitfelſen, und was noch weit auffallender<lb/> iſt, der Boden ſelbſt mit Moſen und Flechten bedeckt. Letztere<lb/> haben den Habitus von <hi rendition="#aq">Cladonia pyxidata</hi> und <hi rendition="#aq">Lichen ran-<lb/> giferinus,</hi> die im nördlichen Europa ſo häufig vorkommen.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [187/0195]
Hinter dieſen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero,
der mächtige Häuptling der Guaypunabis, nachdem er mit
ſeiner kriegeriſchen Horde von den Ebenen zwiſchen dem Rio
Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die In-
dianer verſicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachſe
in Menge der Vehuco de Maimure. Dieſes Schling-
gewächs iſt den Indianern ſehr wichtig, weil ſie Körbe und
Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo ſind
völlig unbekannt, und die Miſſionäre verſetzen hierher das Volk
der Rayas, 1 „die den Mund am Nabel haben“. Ein alter
Indianer, den wir in Carichana antrafen und der ſich rühmte
oft Menſchenfleiſch gegeſſen zu haben, hatte dieſe kopfloſen
Menſchen „mit eigenen Augen“ geſehen. Dieſe abgeſchmackten
Märchen haben ſich auch in den Llanos verbreitet, und dort
iſt es nicht immer geraten, die Exiſtenz der Rayas-Indianer
in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsſtrichen iſt Unduld-
ſamkeit die Gefährtin der Leichtgläubigkeit, und man könnte
meinen, die Hirngeſpinnſte der alten Erdbeſchreiber ſeien aus
der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht
wüßte, daß die ſeltſamſten Ausgeburten der Phantaſie, gerade
wie die Naturbildungen, überall in Ausſehen und Geſtaltung
eine gewiſſe Aehnlichkeit zeigen.
Bei der Mündung des Rio Vichada oder Viſata ſtiegen
wir aus, um die Pflanzen des Landſtriches zu unterſuchen.
Die Gegend iſt höchſt merkwürdig; der Wald iſt nicht ſehr
dicht und eine Unzahl kleiner Felſen ſteht frei auf der Ebene.
Es ſind prismatiſche Steinmaſſen und ſie ſehen wie verfallene
Pfeiler, wie einzeln ſtehende 5 bis 7 m hohe Türmchen aus.
Die einen ſind von den Bäumen des Waldes beſchattet, bei
anderen iſt der Gipfel von Palmen gekrönt. Die Felſen ſind
Granit, der in Gneis übergeht. Befände man ſich hier nicht
im Bereich des Urgebirges, man glaubte ſich in den Felſen
von Adersbach in Böhmen oder von Streitberg und Fantaſie
in Franken verſetzt. Sandſtein und ſekundärer Kalkſtein können
keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des
Vichada ſind die Granitfelſen, und was noch weit auffallender
iſt, der Boden ſelbſt mit Moſen und Flechten bedeckt. Letztere
haben den Habitus von Cladonia pyxidata und Lichen ran-
giferinus, die im nördlichen Europa ſo häufig vorkommen.
1 Rochen, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fiſch
dieſes Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt ſcheint.
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