Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine 200 m über
dem Meer, unter dem 5. Breitengrad mitten in der heißen
Zone befanden, von der man so lange glaubte, daß keine
kryptogamischen Gewächse in ihr vorkommen. Die mittlere
Temperatur dieses schattigen, feuchten Ortes beträgt wahr-
scheinlich 26° des hundertteiligen Thermometers. In betracht
des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten
wir uns über das schöne Grün der Wälder. Dieser Umstand
ist für das obere Orinokothal charakteristisch; an der Küste
von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub
im Winter1 ab und man sieht am Boden nur gelbes, ver-
trocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden
Felsen wuchsen mehrere große Stämme Säulenkaktus (Cactus
septemangularis)
, was südlich von den Katarakten von Atures
und Maypures eine große Seltenheit ist.

Am selben malerischen Ort hatte Bonpland das Glück,
mehrere Stämme von Laurus cinnamomoides anzutreffen,
eines sehr gewürzreichen Zimtbaumes, der am Orinoko unter
dem Namen Varimacu und Canelilla bekannt ist.2 Dieses
kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie
bei Esmeralda und östlich von den großen Katarakten vor.
Der Jesuit Francisco de Olma scheint die Canelilla im Lande
der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben.
Der Missionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von
der hier die Rede ist, scheint den Varimacu oder Guari-
macu
mit der Myristica oder dem amerikanischen Muskat-
baum zu verwechseln. Diese gewürzhaften Rinden und Früchte,
der Zimt, die Muskatnuß, Myrtus Pimenta und Laurus
pucheri
wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht
Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Ge-
würze und Wohlgerüche Ostindiens gewöhnt gewesen wäre.
Der Zimt vom Orinoko und der aus den Missionen der
Andaquies, dessen Anbau Mutis in Mariquita in Neugranada
eingeführt hat, sind übrigens weniger gewürzhaft als der

1 In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom
Aequator Sommer heißt.
2 Diminutiv des spanischen Wortes Canela, das Cinnamo-
mum (Kinnamomon
der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort ge-
hört zu den wenigen, die seit dem höchsten Altertum aus dem Phö-
nikischen (einer semitischen Sprache) in die abendländischen Sprachen
übergegangen sind.

Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine 200 m über
dem Meer, unter dem 5. Breitengrad mitten in der heißen
Zone befanden, von der man ſo lange glaubte, daß keine
kryptogamiſchen Gewächſe in ihr vorkommen. Die mittlere
Temperatur dieſes ſchattigen, feuchten Ortes beträgt wahr-
ſcheinlich 26° des hundertteiligen Thermometers. In betracht
des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten
wir uns über das ſchöne Grün der Wälder. Dieſer Umſtand
iſt für das obere Orinokothal charakteriſtiſch; an der Küſte
von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub
im Winter1 ab und man ſieht am Boden nur gelbes, ver-
trocknetes Gras. Zwiſchen den eben beſchriebenen freiſtehenden
Felſen wuchſen mehrere große Stämme Säulenkaktus (Cactus
septemangularis)
, was ſüdlich von den Katarakten von Atures
und Maypures eine große Seltenheit iſt.

Am ſelben maleriſchen Ort hatte Bonpland das Glück,
mehrere Stämme von Laurus cinnamomoides anzutreffen,
eines ſehr gewürzreichen Zimtbaumes, der am Orinoko unter
dem Namen Varimacu und Canelilla bekannt iſt.2 Dieſes
koſtbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie
bei Esmeralda und öſtlich von den großen Katarakten vor.
Der Jeſuit Francisco de Olma ſcheint die Canelilla im Lande
der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben.
Der Miſſionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von
der hier die Rede iſt, ſcheint den Varimacu oder Guari-
macu
mit der Myriſtica oder dem amerikaniſchen Muskat-
baum zu verwechſeln. Dieſe gewürzhaften Rinden und Früchte,
der Zimt, die Muskatnuß, Myrtus Pimenta und Laurus
pucheri
wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht
Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Ge-
würze und Wohlgerüche Oſtindiens gewöhnt geweſen wäre.
Der Zimt vom Orinoko und der aus den Miſſionen der
Andaquies, deſſen Anbau Mutis in Mariquita in Neugranada
eingeführt hat, ſind übrigens weniger gewürzhaft als der

1 In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom
Aequator Sommer heißt.
2 Diminutiv des ſpaniſchen Wortes Canela, das Cinnamo-
mum (Kinnamomon
der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort ge-
hört zu den wenigen, die ſeit dem höchſten Altertum aus dem Phö-
nikiſchen (einer ſemitiſchen Sprache) in die abendländiſchen Sprachen
übergegangen ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="188"/>
Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine 200 <hi rendition="#aq">m</hi> über<lb/>
dem Meer, unter dem 5. Breitengrad mitten in der heißen<lb/>
Zone befanden, von der man &#x017F;o lange glaubte, daß keine<lb/>
kryptogami&#x017F;chen Gewäch&#x017F;e in ihr vorkommen. Die mittlere<lb/>
Temperatur die&#x017F;es &#x017F;chattigen, feuchten Ortes beträgt wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich 26° des hundertteiligen Thermometers. In betracht<lb/>
des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten<lb/>
wir uns über das &#x017F;chöne Grün der Wälder. Die&#x017F;er Um&#x017F;tand<lb/>
i&#x017F;t für das obere Orinokothal charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch; an der Kü&#x017F;te<lb/>
von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub<lb/>
im Winter<note place="foot" n="1">In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom<lb/>
Aequator Sommer heißt.</note> ab und man &#x017F;ieht am Boden nur gelbes, ver-<lb/>
trocknetes Gras. Zwi&#x017F;chen den eben be&#x017F;chriebenen frei&#x017F;tehenden<lb/>
Fel&#x017F;en wuch&#x017F;en mehrere große Stämme Säulenkaktus <hi rendition="#aq">(Cactus<lb/>
septemangularis)</hi>, was &#x017F;üdlich von den Katarakten von Atures<lb/>
und Maypures eine große Seltenheit i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Am &#x017F;elben maleri&#x017F;chen Ort hatte Bonpland das Glück,<lb/>
mehrere Stämme von <hi rendition="#aq">Laurus cinnamomoides</hi> anzutreffen,<lb/>
eines &#x017F;ehr gewürzreichen Zimtbaumes, der am Orinoko unter<lb/>
dem Namen <hi rendition="#g">Varimacu</hi> und <hi rendition="#g">Canelilla</hi> bekannt i&#x017F;t.<note place="foot" n="2">Diminutiv des &#x017F;pani&#x017F;chen Wortes <hi rendition="#aq">Canela,</hi> das <hi rendition="#aq">Cinnamo-<lb/>
mum (Kinnamomon</hi> der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort ge-<lb/>
hört zu den wenigen, die &#x017F;eit dem höch&#x017F;ten Altertum aus dem Phö-<lb/>
niki&#x017F;chen (einer &#x017F;emiti&#x017F;chen Sprache) in die abendländi&#x017F;chen Sprachen<lb/>
übergegangen &#x017F;ind.</note> Die&#x017F;es<lb/>
ko&#x017F;tbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie<lb/>
bei Esmeralda und ö&#x017F;tlich von den großen Katarakten vor.<lb/>
Der Je&#x017F;uit Francisco de Olma &#x017F;cheint die Canelilla im Lande<lb/>
der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben.<lb/>
Der Mi&#x017F;&#x017F;ionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von<lb/>
der hier die Rede i&#x017F;t, &#x017F;cheint den <hi rendition="#g">Varimacu</hi> oder <hi rendition="#g">Guari-<lb/>
macu</hi> mit der Myri&#x017F;tica oder dem amerikani&#x017F;chen Muskat-<lb/>
baum zu verwech&#x017F;eln. Die&#x017F;e gewürzhaften Rinden und Früchte,<lb/>
der Zimt, die Muskatnuß, <hi rendition="#aq">Myrtus Pimenta</hi> und <hi rendition="#aq">Laurus<lb/>
pucheri</hi> wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht<lb/>
Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Ge-<lb/>
würze und Wohlgerüche O&#x017F;tindiens gewöhnt gewe&#x017F;en wäre.<lb/>
Der Zimt vom Orinoko und der aus den Mi&#x017F;&#x017F;ionen der<lb/>
Andaquies, de&#x017F;&#x017F;en Anbau Mutis in Mariquita in Neugranada<lb/>
eingeführt hat, &#x017F;ind übrigens weniger gewürzhaft als der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0196] Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine 200 m über dem Meer, unter dem 5. Breitengrad mitten in der heißen Zone befanden, von der man ſo lange glaubte, daß keine kryptogamiſchen Gewächſe in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieſes ſchattigen, feuchten Ortes beträgt wahr- ſcheinlich 26° des hundertteiligen Thermometers. In betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns über das ſchöne Grün der Wälder. Dieſer Umſtand iſt für das obere Orinokothal charakteriſtiſch; an der Küſte von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub im Winter 1 ab und man ſieht am Boden nur gelbes, ver- trocknetes Gras. Zwiſchen den eben beſchriebenen freiſtehenden Felſen wuchſen mehrere große Stämme Säulenkaktus (Cactus septemangularis), was ſüdlich von den Katarakten von Atures und Maypures eine große Seltenheit iſt. Am ſelben maleriſchen Ort hatte Bonpland das Glück, mehrere Stämme von Laurus cinnamomoides anzutreffen, eines ſehr gewürzreichen Zimtbaumes, der am Orinoko unter dem Namen Varimacu und Canelilla bekannt iſt. 2 Dieſes koſtbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und öſtlich von den großen Katarakten vor. Der Jeſuit Francisco de Olma ſcheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben. Der Miſſionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede iſt, ſcheint den Varimacu oder Guari- macu mit der Myriſtica oder dem amerikaniſchen Muskat- baum zu verwechſeln. Dieſe gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimt, die Muskatnuß, Myrtus Pimenta und Laurus pucheri wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Ge- würze und Wohlgerüche Oſtindiens gewöhnt geweſen wäre. Der Zimt vom Orinoko und der aus den Miſſionen der Andaquies, deſſen Anbau Mutis in Mariquita in Neugranada eingeführt hat, ſind übrigens weniger gewürzhaft als der 1 In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom Aequator Sommer heißt. 2 Diminutiv des ſpaniſchen Wortes Canela, das Cinnamo- mum (Kinnamomon der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort ge- hört zu den wenigen, die ſeit dem höchſten Altertum aus dem Phö- nikiſchen (einer ſemitiſchen Sprache) in die abendländiſchen Sprachen übergegangen ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/196
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/196>, abgerufen am 21.11.2024.