Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob sich im benach- Ich schildere Zug für Zug diese nächtlichen Auftritte, Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob ſich im benach- Ich ſchildere Zug für Zug dieſe nächtlichen Auftritte, Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0036" n="28"/> ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob ſich im benach-<lb/> barten Walde ein ſo furchtbarer Lärm, daß man beinahe kein<lb/> Auge ſchließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder<lb/> Tiere, die zuſammen ſchrieen, erkannten unſere Indianer nur<lb/> diejenigen, die ſich auch einzeln hören ließen, namentlich die<lb/> leiſen Flötentöne der Sapaju, die Seufzer der Aluaten, das<lb/> Brüllen des Tigers und des Kuguars, oder amerikaniſchen<lb/> Löwen ohne Mähne, das Geſchrei des Biſamſchweines, des<lb/> Faultiers, des Hocco, des Parraqua und einiger anderen<lb/> hühnerartigen Vögel. Wenn die Jaguare dem Waldrande<lb/> ſich näherten, ſo fing unſer Hund, der bis dahin fortwährend<lb/> gebellt hatte, an zu heulen und ſuchte Schutz unter den<lb/> Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geſchwiegen, er-<lb/> ſcholl das Brüllen der Tiger von den Bäumen herunter,<lb/> und dann folgte darauf das anhaltende ſchrille Pfeifen der<lb/> Affen, die ſich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon<lb/> machten.</p><lb/> <p>Ich ſchildere Zug für Zug dieſe nächtlichen Auftritte,<lb/> weil wir zu Anfang unſerer Fahrt auf dem Apure noch<lb/> nicht daran gewöhnt waren. Monatelang, allerorten, wo der<lb/> Wald nahe an die Flußufer rückt, hatten wir ſie zu erleben.<lb/> Die Sorgloſigkeit der Indianer macht dabei auch dem Rei-<lb/> ſenden Mut. Man redet ſich mit ihnen ein, die Tiger fürchten<lb/> alle das Feuer und greifen niemals einen Menſchen in ſeiner<lb/> Hängematte an. Und ſolche Angriffe kommen allerdings ſehr<lb/> ſelten vor und aus meinem langen Aufenthalte in Südamerika<lb/> erinnere ich mich nur eines einzigen Falles, wo, den Achaguas-<lb/> Inſeln gegenüber, ein Llanero in ſeiner Hängematte zerfleiſcht<lb/> gefunden wurde.</p><lb/> <p>Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes<lb/> zu gewiſſen Stunden einen ſo furchtbaren Lärm erheben, ſo<lb/> geben ſie die luſtige Antwort: „Sie feiern den Vollmond.“<lb/> Ich glaube, die Unruhe rührt meiſt daher, daß im inneren<lb/> Walde ſich irgendwo ein Kampf entſponnen hat. Die Ja-<lb/> guare zum Beiſpiel machen Jagd auf die Biſamſchweine und<lb/> Tapire, die nur Schutz finden, wenn ſie beiſammenbleiben<lb/> und in gedrängten Rudeln fliehend das Gebüſch, das ihnen<lb/> in den Weg kommt, niederreißen. Die Affen, ſcheu und<lb/> furchtſam, erſchrecken ob dieſer Jagd und beantworten von<lb/> den Bäumen herab das Geſchrei der großen Tiere. Sie wecken<lb/> die geſellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, ſo iſt die<lb/> ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald ſehen, daß<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0036]
ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob ſich im benach-
barten Walde ein ſo furchtbarer Lärm, daß man beinahe kein
Auge ſchließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder
Tiere, die zuſammen ſchrieen, erkannten unſere Indianer nur
diejenigen, die ſich auch einzeln hören ließen, namentlich die
leiſen Flötentöne der Sapaju, die Seufzer der Aluaten, das
Brüllen des Tigers und des Kuguars, oder amerikaniſchen
Löwen ohne Mähne, das Geſchrei des Biſamſchweines, des
Faultiers, des Hocco, des Parraqua und einiger anderen
hühnerartigen Vögel. Wenn die Jaguare dem Waldrande
ſich näherten, ſo fing unſer Hund, der bis dahin fortwährend
gebellt hatte, an zu heulen und ſuchte Schutz unter den
Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geſchwiegen, er-
ſcholl das Brüllen der Tiger von den Bäumen herunter,
und dann folgte darauf das anhaltende ſchrille Pfeifen der
Affen, die ſich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon
machten.
Ich ſchildere Zug für Zug dieſe nächtlichen Auftritte,
weil wir zu Anfang unſerer Fahrt auf dem Apure noch
nicht daran gewöhnt waren. Monatelang, allerorten, wo der
Wald nahe an die Flußufer rückt, hatten wir ſie zu erleben.
Die Sorgloſigkeit der Indianer macht dabei auch dem Rei-
ſenden Mut. Man redet ſich mit ihnen ein, die Tiger fürchten
alle das Feuer und greifen niemals einen Menſchen in ſeiner
Hängematte an. Und ſolche Angriffe kommen allerdings ſehr
ſelten vor und aus meinem langen Aufenthalte in Südamerika
erinnere ich mich nur eines einzigen Falles, wo, den Achaguas-
Inſeln gegenüber, ein Llanero in ſeiner Hängematte zerfleiſcht
gefunden wurde.
Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes
zu gewiſſen Stunden einen ſo furchtbaren Lärm erheben, ſo
geben ſie die luſtige Antwort: „Sie feiern den Vollmond.“
Ich glaube, die Unruhe rührt meiſt daher, daß im inneren
Walde ſich irgendwo ein Kampf entſponnen hat. Die Ja-
guare zum Beiſpiel machen Jagd auf die Biſamſchweine und
Tapire, die nur Schutz finden, wenn ſie beiſammenbleiben
und in gedrängten Rudeln fliehend das Gebüſch, das ihnen
in den Weg kommt, niederreißen. Die Affen, ſcheu und
furchtſam, erſchrecken ob dieſer Jagd und beantworten von
den Bäumen herab das Geſchrei der großen Tiere. Sie wecken
die geſellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, ſo iſt die
ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald ſehen, daß
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