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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Wir trafen unter diesen Indianern eine Frau von weißer
Abkunft, die Schwester eines Jesuiten aus Neugranada. Un-
beschreiblich ist die Freude, wenn man mitten unter Völkern,
deren Sprache man nicht versteht, einem Wesen begegnet, mit
dem man sich ohne Dolmetscher unterhalten kann. Jede Mission
hat zum wenigsten zwei solche Dolmetscher, lenguarazes. Es
sind Indianer, etwas weniger beschränkt als die anderen, mittels
deren die Missionäre am Orinoko, die sich gegenwärtig nur
selten die Mühe nehmen, die Landessprachen kennen zu lernen,
mit den Neugetauften verkehren. Diese Dolmetscher begleiteten
uns beim Botanisieren. Sie verstehen wohl spanisch, aber
sie können es nicht recht sprechen. In ihrer faulen Gleich-
gültigkeit geben sie, man mag fragen, was man will, wie
aufs Geratewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Ant-
wort: "Ja, Pater; nein, Pater." Man begreift leicht, daß
einem die Geduld ausgeht, wenn man monatelang solche Ge-
spräche zu führen hat, statt über Gegenstände Auskunft zu
erhalten, für die man sich lebhaft interessiert. Nicht selten
konnten wir nur mittels mehrerer Dolmetscher und so, daß
derselbe Satz mehrmals übersetzt wurde, mit den Eingeborenen
verkehren.

"Von meiner Mission an," sagte der gute Ordensmann
in Uruana, "werdet ihr reisen wie Stumme." Und diese
Vorhersagung ist so ziemlich in Erfüllung gegangen, und um
nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Ver-
kehr selbst mit den versunkensten Indianern ziehen kann, griffen
wir zuweilen zur Zeichensprache. Sobald der Eingeborene
merkt, daß man sich keines Dolmetschers bedienen will, sobald
man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenstände
deutet, so legt er seine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß
sich mit merkwürdiger Gewandtheit verständlich zu machen.
Er macht Zeichen aller Art, er spricht die Worte langsam
aus, er wiederholt sie unaufgefordert. Es scheint seiner
Eigenliebe zu schmeicheln, daß man ihn beachtet und sich von
ihm belehren läßt. Diese Leichtigkeit, sich verständlich zu
machen, zeigt sich besonders auffallend beim unabhängigen
Indianer, und was die christlichen Niederlassungen betrifft,
muß ich den Reisenden den Rat geben, sich vorzugsweise an
Eingeborene zu wenden, die erst seit kurzem unterworfen
sind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um
ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingebore-

Wir trafen unter dieſen Indianern eine Frau von weißer
Abkunft, die Schweſter eines Jeſuiten aus Neugranada. Un-
beſchreiblich iſt die Freude, wenn man mitten unter Völkern,
deren Sprache man nicht verſteht, einem Weſen begegnet, mit
dem man ſich ohne Dolmetſcher unterhalten kann. Jede Miſſion
hat zum wenigſten zwei ſolche Dolmetſcher, lenguarazes. Es
ſind Indianer, etwas weniger beſchränkt als die anderen, mittels
deren die Miſſionäre am Orinoko, die ſich gegenwärtig nur
ſelten die Mühe nehmen, die Landesſprachen kennen zu lernen,
mit den Neugetauften verkehren. Dieſe Dolmetſcher begleiteten
uns beim Botaniſieren. Sie verſtehen wohl ſpaniſch, aber
ſie können es nicht recht ſprechen. In ihrer faulen Gleich-
gültigkeit geben ſie, man mag fragen, was man will, wie
aufs Geratewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Ant-
wort: „Ja, Pater; nein, Pater.“ Man begreift leicht, daß
einem die Geduld ausgeht, wenn man monatelang ſolche Ge-
ſpräche zu führen hat, ſtatt über Gegenſtände Auskunft zu
erhalten, für die man ſich lebhaft intereſſiert. Nicht ſelten
konnten wir nur mittels mehrerer Dolmetſcher und ſo, daß
derſelbe Satz mehrmals überſetzt wurde, mit den Eingeborenen
verkehren.

„Von meiner Miſſion an,“ ſagte der gute Ordensmann
in Uruana, „werdet ihr reiſen wie Stumme.“ Und dieſe
Vorherſagung iſt ſo ziemlich in Erfüllung gegangen, und um
nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Ver-
kehr ſelbſt mit den verſunkenſten Indianern ziehen kann, griffen
wir zuweilen zur Zeichenſprache. Sobald der Eingeborene
merkt, daß man ſich keines Dolmetſchers bedienen will, ſobald
man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenſtände
deutet, ſo legt er ſeine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß
ſich mit merkwürdiger Gewandtheit verſtändlich zu machen.
Er macht Zeichen aller Art, er ſpricht die Worte langſam
aus, er wiederholt ſie unaufgefordert. Es ſcheint ſeiner
Eigenliebe zu ſchmeicheln, daß man ihn beachtet und ſich von
ihm belehren läßt. Dieſe Leichtigkeit, ſich verſtändlich zu
machen, zeigt ſich beſonders auffallend beim unabhängigen
Indianer, und was die chriſtlichen Niederlaſſungen betrifft,
muß ich den Reiſenden den Rat geben, ſich vorzugsweiſe an
Eingeborene zu wenden, die erſt ſeit kurzem unterworfen
ſind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um
ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem
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[86/0094] Wir trafen unter dieſen Indianern eine Frau von weißer Abkunft, die Schweſter eines Jeſuiten aus Neugranada. Un- beſchreiblich iſt die Freude, wenn man mitten unter Völkern, deren Sprache man nicht verſteht, einem Weſen begegnet, mit dem man ſich ohne Dolmetſcher unterhalten kann. Jede Miſſion hat zum wenigſten zwei ſolche Dolmetſcher, lenguarazes. Es ſind Indianer, etwas weniger beſchränkt als die anderen, mittels deren die Miſſionäre am Orinoko, die ſich gegenwärtig nur ſelten die Mühe nehmen, die Landesſprachen kennen zu lernen, mit den Neugetauften verkehren. Dieſe Dolmetſcher begleiteten uns beim Botaniſieren. Sie verſtehen wohl ſpaniſch, aber ſie können es nicht recht ſprechen. In ihrer faulen Gleich- gültigkeit geben ſie, man mag fragen, was man will, wie aufs Geratewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Ant- wort: „Ja, Pater; nein, Pater.“ Man begreift leicht, daß einem die Geduld ausgeht, wenn man monatelang ſolche Ge- ſpräche zu führen hat, ſtatt über Gegenſtände Auskunft zu erhalten, für die man ſich lebhaft intereſſiert. Nicht ſelten konnten wir nur mittels mehrerer Dolmetſcher und ſo, daß derſelbe Satz mehrmals überſetzt wurde, mit den Eingeborenen verkehren. „Von meiner Miſſion an,“ ſagte der gute Ordensmann in Uruana, „werdet ihr reiſen wie Stumme.“ Und dieſe Vorherſagung iſt ſo ziemlich in Erfüllung gegangen, und um nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Ver- kehr ſelbſt mit den verſunkenſten Indianern ziehen kann, griffen wir zuweilen zur Zeichenſprache. Sobald der Eingeborene merkt, daß man ſich keines Dolmetſchers bedienen will, ſobald man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenſtände deutet, ſo legt er ſeine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß ſich mit merkwürdiger Gewandtheit verſtändlich zu machen. Er macht Zeichen aller Art, er ſpricht die Worte langſam aus, er wiederholt ſie unaufgefordert. Es ſcheint ſeiner Eigenliebe zu ſchmeicheln, daß man ihn beachtet und ſich von ihm belehren läßt. Dieſe Leichtigkeit, ſich verſtändlich zu machen, zeigt ſich beſonders auffallend beim unabhängigen Indianer, und was die chriſtlichen Niederlaſſungen betrifft, muß ich den Reiſenden den Rat geben, ſich vorzugsweiſe an Eingeborene zu wenden, die erſt ſeit kurzem unterworfen ſind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingebore-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/94>, abgerufen am 21.11.2024.