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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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lich sprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins
Wasser, zogen die Piroge mit einem Stricke ans Ufer und
banden sie an der Piedra del Carichana vieja fest, einer
nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter
hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß stieg bedeutend
und man fürchtete mehreremal, die wilden Wogen möchten
unser schwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen.

Der Granitfels, auf dem wir lagerten, ist einer von
denen, auf welchen Reisende zuzeiten gegen Sonnenaufgang
unterirdische Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die
Missionäre nennen dergleichen Steine laxas de musica. "Es
ist Hexenwerk (cosa de bruxas)," sagte unser junger in-
dianischer Steuermann, der kastilianisch sprach. Wir selbst haben
diese geheimnisvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana,
noch am oberen Orinoko; aber nach den Aussagen glaub-
würdiger Zeugen läßt sich die Erscheinung wohl nicht in
Zweifel ziehen, und sie scheint auf einem gewissen Zustande
der Luft zu beruhen. Die Felsbänke sind voll feiner, sehr
tiefer Spalten und sie erhitzten sich bei Tag auf 48 bis 50°.
Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche
39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es
leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterschied zwischen
der unterirdischen und der äußeren Luft sein Maximum um
Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt sich zugleich vom
Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weitesten
entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn
man, das Ohr dicht am Gestein, auf dem Fels schläft, nicht
von einem Luftstrom herrühren, der aus den Spalten dringt?
Hilft nicht der Umstand, daß die Luft an die elastischen
Glimmerplättchen stößt, welche in den Spalten hervorstehen,
die Töne modifizieren? Läßt sich nicht annehmen, daß die
alten Aegypter, die beständig den Nil auf und ab fuhren, an
gewissen Felsen in der Thebais dieselbe Beobachtung gemacht,
und daß die "Musik der Felsen" Veranlassung zu den Gau-
keleien gegeben, welche die Priester mit der Bildsäule Mem-
nons trieben? Wenn die "rosenfingerige Eos ihrem Sohn,
dem ruhmreichen Memnon eine Stimme verlieh", 1 so war
diese Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgestell der

1 So heißt es in einer Inschrift, die bezeugt, daß am 13. des
Monats Pachon im zehnten Regierungsjahre Antonins die Töne
vernommen worden.

lich ſprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins
Waſſer, zogen die Piroge mit einem Stricke ans Ufer und
banden ſie an der Piedra del Carichana vieja feſt, einer
nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter
hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß ſtieg bedeutend
und man fürchtete mehreremal, die wilden Wogen möchten
unſer ſchwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen.

Der Granitfels, auf dem wir lagerten, iſt einer von
denen, auf welchen Reiſende zuzeiten gegen Sonnenaufgang
unterirdiſche Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die
Miſſionäre nennen dergleichen Steine laxas de musica. „Es
iſt Hexenwerk (cosa de bruxas),“ ſagte unſer junger in-
dianiſcher Steuermann, der kaſtilianiſch ſprach. Wir ſelbſt haben
dieſe geheimnisvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana,
noch am oberen Orinoko; aber nach den Ausſagen glaub-
würdiger Zeugen läßt ſich die Erſcheinung wohl nicht in
Zweifel ziehen, und ſie ſcheint auf einem gewiſſen Zuſtande
der Luft zu beruhen. Die Felsbänke ſind voll feiner, ſehr
tiefer Spalten und ſie erhitzten ſich bei Tag auf 48 bis 50°.
Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche
39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es
leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterſchied zwiſchen
der unterirdiſchen und der äußeren Luft ſein Maximum um
Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt ſich zugleich vom
Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weiteſten
entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn
man, das Ohr dicht am Geſtein, auf dem Fels ſchläft, nicht
von einem Luftſtrom herrühren, der aus den Spalten dringt?
Hilft nicht der Umſtand, daß die Luft an die elaſtiſchen
Glimmerplättchen ſtößt, welche in den Spalten hervorſtehen,
die Töne modifizieren? Läßt ſich nicht annehmen, daß die
alten Aegypter, die beſtändig den Nil auf und ab fuhren, an
gewiſſen Felſen in der Thebais dieſelbe Beobachtung gemacht,
und daß die „Muſik der Felſen“ Veranlaſſung zu den Gau-
keleien gegeben, welche die Prieſter mit der Bildſäule Mem-
nons trieben? Wenn die „roſenfingerige Eos ihrem Sohn,
dem ruhmreichen Memnon eine Stimme verlieh“, 1 ſo war
dieſe Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgeſtell der

1 So heißt es in einer Inſchrift, die bezeugt, daß am 13. des
Monats Pachon im zehnten Regierungsjahre Antonins die Töne
vernommen worden.
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[91/0099] lich ſprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins Waſſer, zogen die Piroge mit einem Stricke ans Ufer und banden ſie an der Piedra del Carichana vieja feſt, einer nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß ſtieg bedeutend und man fürchtete mehreremal, die wilden Wogen möchten unſer ſchwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen. Der Granitfels, auf dem wir lagerten, iſt einer von denen, auf welchen Reiſende zuzeiten gegen Sonnenaufgang unterirdiſche Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die Miſſionäre nennen dergleichen Steine laxas de musica. „Es iſt Hexenwerk (cosa de bruxas),“ ſagte unſer junger in- dianiſcher Steuermann, der kaſtilianiſch ſprach. Wir ſelbſt haben dieſe geheimnisvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana, noch am oberen Orinoko; aber nach den Ausſagen glaub- würdiger Zeugen läßt ſich die Erſcheinung wohl nicht in Zweifel ziehen, und ſie ſcheint auf einem gewiſſen Zuſtande der Luft zu beruhen. Die Felsbänke ſind voll feiner, ſehr tiefer Spalten und ſie erhitzten ſich bei Tag auf 48 bis 50°. Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche 39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterſchied zwiſchen der unterirdiſchen und der äußeren Luft ſein Maximum um Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt ſich zugleich vom Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weiteſten entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn man, das Ohr dicht am Geſtein, auf dem Fels ſchläft, nicht von einem Luftſtrom herrühren, der aus den Spalten dringt? Hilft nicht der Umſtand, daß die Luft an die elaſtiſchen Glimmerplättchen ſtößt, welche in den Spalten hervorſtehen, die Töne modifizieren? Läßt ſich nicht annehmen, daß die alten Aegypter, die beſtändig den Nil auf und ab fuhren, an gewiſſen Felſen in der Thebais dieſelbe Beobachtung gemacht, und daß die „Muſik der Felſen“ Veranlaſſung zu den Gau- keleien gegeben, welche die Prieſter mit der Bildſäule Mem- nons trieben? Wenn die „roſenfingerige Eos ihrem Sohn, dem ruhmreichen Memnon eine Stimme verlieh“, 1 ſo war dieſe Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgeſtell der 1 So heißt es in einer Inſchrift, die bezeugt, daß am 13. des Monats Pachon im zehnten Regierungsjahre Antonins die Töne vernommen worden.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/99>, abgerufen am 21.11.2024.