Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.schrift von der Hand des berühmten d'Anville vorliegt. Dieser Was auch diese Figuren bedeuten sollen und zu welchem 1 Am 18. April 1749. Nikolaus Hortsmann schrieb Tag für
Tag an Ort und Stelle auf, was ihm Bemerkenswertes vorgekommen. Er verdient um so mehr Zutrauen, da er, höchst mißvergnügt, daß er nicht gefunden, was er gesucht (den See Dorado und Gold- und Diamantengruben), auf alles, was ihm unterwegs vorkommt, mit Geringschätzung zu blicken scheint. ſchrift von der Hand des berühmten d’Anville vorliegt. Dieſer Was auch dieſe Figuren bedeuten ſollen und zu welchem 1 Am 18. April 1749. Nikolaus Hortsmann ſchrieb Tag für
Tag an Ort und Stelle auf, was ihm Bemerkenswertes vorgekommen. Er verdient um ſo mehr Zutrauen, da er, höchſt mißvergnügt, daß er nicht gefunden, was er geſucht (den See Dorado und Gold- und Diamantengruben), auf alles, was ihm unterwegs vorkommt, mit Geringſchätzung zu blicken ſcheint. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0107" n="99"/> ſchrift von der Hand des berühmten d’Anville vorliegt. Dieſer<lb/> Reiſende, deſſen ich in dieſem Buche ſchon mehreremal ge-<lb/> dacht, fuhr den Rupunuvini, einen Nebenfluß des Eſſequibo,<lb/> herauf. Da wo der Fluß eine Menge kleiner Fälle bildet<lb/> und ſich zwiſchen den Bergen von Maracana durchſchlängelt,<lb/> fand er, <note place="foot" n="1">Am 18. April 1749. Nikolaus Hortsmann ſchrieb Tag für<lb/> Tag an Ort und Stelle auf, was ihm Bemerkenswertes vorgekommen.<lb/> Er verdient um ſo mehr Zutrauen, da er, höchſt mißvergnügt, daß<lb/> er nicht gefunden, was er geſucht (den See Dorado und Gold- und<lb/> Diamantengruben), auf alles, was ihm unterwegs vorkommt, mit<lb/> Geringſchätzung zu blicken ſcheint.</note> bevor er an den See Amucu kam, „Felſen, bedeckt<lb/> mit Figuren oder (wie er ſich portugieſiſch ausdrückt) <hi rendition="#aq">varias<lb/> letras</hi>“. Dieſes Wort <hi rendition="#g">Buchſtaben</hi> haben wir nicht in<lb/> ſeinem eigentlichen Sinn zu nehmen. Man hat auch uns am<lb/> Felſen Culimacari am Ufer des Caſſiquiare und im Hafen<lb/> von Caycara am unteren Orinoko Striche gezeigt, die man<lb/> für aneinander gereihte Buchſtaben hält. Es waren aber nur<lb/> unförmliche Figuren, welche die Himmelskörper, Tiger, Kroko-<lb/> dile, Boa und Werkzeuge zur Bereitung des Maniokmehls<lb/> vorſtellen ſollen. An den <hi rendition="#g">gemalten Felſen</hi> (ſo nennen<lb/> die Indianer dieſe mit Figuren bedeckten Steine) iſt durchaus<lb/> keine ſymmetriſche Anordnung, keine regelmäßige Abteilung<lb/> in Schriftzeichen zu bemerken. Die Striche, die der Miſſionär<lb/> Fray Ramon Bueno in den Bergen von Uruana entdeckt hat,<lb/> nähern ſich allerdings einer Buchſtabenſchrift mehr, indeſſen<lb/> iſt man über dieſe Züge, von denen ich anderswo gehandelt,<lb/> noch ſehr im unklaren.</p><lb/> <p>Was auch dieſe Figuren bedeuten ſollen und zu welchem<lb/> Zweck ſie in den Granit gegraben werden, immer verdienen<lb/> ſie von ſeiten des Geſchichtsphiloſophen die größte Beachtung.<lb/> Reiſt man von der Küſte von Caracas dem Aequator zu,<lb/> ſo kommt man zuerſt zur Anſicht, dieſe Denkmale ſeien der<lb/> Bergkette der Encamarada eigentümlich; man findet ſie beim<lb/> Hafen von Sedeño bei Caycara, bei San Rafael del Capu-<lb/> chino, Cabruta gegenüber, faſt überall, wo in der Savanne<lb/> zwiſchen dem Cerro Curiquima und dem Ufer des Caura das<lb/> Granitgeſtein zu Tage kommt. Die Völker von tamanaki-<lb/> ſchem Stamme, die alten Bewohner dieſes Landes, haben eine<lb/> lokale Mythologie, Sagen, die ſich auf dieſe Felſen mit Bildern<lb/> beziehen. <hi rendition="#g">Amalivaca</hi>, der Vater der Tamanaken, das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0107]
ſchrift von der Hand des berühmten d’Anville vorliegt. Dieſer
Reiſende, deſſen ich in dieſem Buche ſchon mehreremal ge-
dacht, fuhr den Rupunuvini, einen Nebenfluß des Eſſequibo,
herauf. Da wo der Fluß eine Menge kleiner Fälle bildet
und ſich zwiſchen den Bergen von Maracana durchſchlängelt,
fand er, 1 bevor er an den See Amucu kam, „Felſen, bedeckt
mit Figuren oder (wie er ſich portugieſiſch ausdrückt) varias
letras“. Dieſes Wort Buchſtaben haben wir nicht in
ſeinem eigentlichen Sinn zu nehmen. Man hat auch uns am
Felſen Culimacari am Ufer des Caſſiquiare und im Hafen
von Caycara am unteren Orinoko Striche gezeigt, die man
für aneinander gereihte Buchſtaben hält. Es waren aber nur
unförmliche Figuren, welche die Himmelskörper, Tiger, Kroko-
dile, Boa und Werkzeuge zur Bereitung des Maniokmehls
vorſtellen ſollen. An den gemalten Felſen (ſo nennen
die Indianer dieſe mit Figuren bedeckten Steine) iſt durchaus
keine ſymmetriſche Anordnung, keine regelmäßige Abteilung
in Schriftzeichen zu bemerken. Die Striche, die der Miſſionär
Fray Ramon Bueno in den Bergen von Uruana entdeckt hat,
nähern ſich allerdings einer Buchſtabenſchrift mehr, indeſſen
iſt man über dieſe Züge, von denen ich anderswo gehandelt,
noch ſehr im unklaren.
Was auch dieſe Figuren bedeuten ſollen und zu welchem
Zweck ſie in den Granit gegraben werden, immer verdienen
ſie von ſeiten des Geſchichtsphiloſophen die größte Beachtung.
Reiſt man von der Küſte von Caracas dem Aequator zu,
ſo kommt man zuerſt zur Anſicht, dieſe Denkmale ſeien der
Bergkette der Encamarada eigentümlich; man findet ſie beim
Hafen von Sedeño bei Caycara, bei San Rafael del Capu-
chino, Cabruta gegenüber, faſt überall, wo in der Savanne
zwiſchen dem Cerro Curiquima und dem Ufer des Caura das
Granitgeſtein zu Tage kommt. Die Völker von tamanaki-
ſchem Stamme, die alten Bewohner dieſes Landes, haben eine
lokale Mythologie, Sagen, die ſich auf dieſe Felſen mit Bildern
beziehen. Amalivaca, der Vater der Tamanaken, das
1 Am 18. April 1749. Nikolaus Hortsmann ſchrieb Tag für
Tag an Ort und Stelle auf, was ihm Bemerkenswertes vorgekommen.
Er verdient um ſo mehr Zutrauen, da er, höchſt mißvergnügt, daß
er nicht gefunden, was er geſucht (den See Dorado und Gold- und
Diamantengruben), auf alles, was ihm unterwegs vorkommt, mit
Geringſchätzung zu blicken ſcheint.
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