denen, die von rechts her in diesen majestätischen Strom sich ergießen, auf dem Carony und dem Caura, dem Padamo und dem Ventuari, wird die europäische Kultur in das 215 000 qkm große Wald- und Gebirgsland dringen, das der Orinoko gegen Nord, West und Süd umschlingt. Bereits haben Kapuziner aus Katalonien und Observanten aus Andalusien und Va- lencia Niederlassungen in den Thälern des Carony und des Caura gegründet; es war natürlich, daß an die Nebenflüsse des unteren Orinoko, als die der Küste und dem angebauten Striche von Venezuela zunächst liegenden, Missionare und mit ihnen einige Keime des gesellschaftlichen Lebens zuerst kamen. Bereits im Jahre 1797 zählten die Niederlassungen der Ka- puziner am Carony 16 600 Indianer, die friedlich in Dörfern lebten. Am Rio Caura waren es zu jener Zeit unter der Obhut der Observanten, nach gleichfalls offiziellen Zählungen, nur 640. Dieser Unterschied rührt daher, daß die sehr aus- gedehnten Weiden am Carony, Upatu und Cuyuni von vor- züglicher Güte sind, und daß die Missionen der Kapuziner näher bei der Mündung des Orinoko und der Hauptstadt von Guyana liegen, aber auch vom inneren Getriebe der Ver- waltung, von der industriellen Rührigkeit und dem Handels- geiste der katalonischen Mönche. Dem Carony und Caura, die gegen Nord fließen, entsprechen zwei große Nebenflüsse des oberen Orinoko, die gegen Süd herunterkommen, der Padamo und der Ventuari. Bis jetzt steht an ihren Ufern kein Dorf, und doch bieten sie für Ackerbau und Viehzucht günstige Verhältnisse, wie man sie im Thale des großen Stromes, in den sie sich ergießen, vergeblich suchen würde.
Wir brachen am 26. Mai morgens vom kleinen Dorfe Santa Barbara auf, wo wir mehrere Indianer aus Esmeralda getroffen hatten, die der Missionär zu ihrem großen Verdruß hatte kommen lassen, weil er sich ein zweistockiges Haus bauen wollte. Den ganzen Tag genossen wir der Aussicht auf die schönen Gebirge von Sipapo, die in 81 km Ent- fernung gegen Nord-Nord-West sich hinbreiten. Die Vege- tation an den Ufern des Orinoko ist hier ausnehmend mannig- faltig; Baumfarne kommen von den Bergen herunter und mischen sich unter die Palmen in der Niederung. Wir über- nachteten auf der Insel Minisi und langten, nachdem wir an den Mündungen der kleinen Flüsse Quejanuma, Ubua und Masao vorübergekommen, am 27. Mai in San Fernando de Atabapo an. Vor einem Monat, auf dem Wege zum Rio
denen, die von rechts her in dieſen majeſtätiſchen Strom ſich ergießen, auf dem Carony und dem Caura, dem Padamo und dem Ventuari, wird die europäiſche Kultur in das 215 000 qkm große Wald- und Gebirgsland dringen, das der Orinoko gegen Nord, Weſt und Süd umſchlingt. Bereits haben Kapuziner aus Katalonien und Obſervanten aus Andaluſien und Va- lencia Niederlaſſungen in den Thälern des Carony und des Caura gegründet; es war natürlich, daß an die Nebenflüſſe des unteren Orinoko, als die der Küſte und dem angebauten Striche von Venezuela zunächſt liegenden, Miſſionare und mit ihnen einige Keime des geſellſchaftlichen Lebens zuerſt kamen. Bereits im Jahre 1797 zählten die Niederlaſſungen der Ka- puziner am Carony 16 600 Indianer, die friedlich in Dörfern lebten. Am Rio Caura waren es zu jener Zeit unter der Obhut der Obſervanten, nach gleichfalls offiziellen Zählungen, nur 640. Dieſer Unterſchied rührt daher, daß die ſehr aus- gedehnten Weiden am Carony, Upatu und Cuyuni von vor- züglicher Güte ſind, und daß die Miſſionen der Kapuziner näher bei der Mündung des Orinoko und der Hauptſtadt von Guyana liegen, aber auch vom inneren Getriebe der Ver- waltung, von der induſtriellen Rührigkeit und dem Handels- geiſte der kataloniſchen Mönche. Dem Carony und Caura, die gegen Nord fließen, entſprechen zwei große Nebenflüſſe des oberen Orinoko, die gegen Süd herunterkommen, der Padamo und der Ventuari. Bis jetzt ſteht an ihren Ufern kein Dorf, und doch bieten ſie für Ackerbau und Viehzucht günſtige Verhältniſſe, wie man ſie im Thale des großen Stromes, in den ſie ſich ergießen, vergeblich ſuchen würde.
Wir brachen am 26. Mai morgens vom kleinen Dorfe Santa Barbara auf, wo wir mehrere Indianer aus Esmeralda getroffen hatten, die der Miſſionär zu ihrem großen Verdruß hatte kommen laſſen, weil er ſich ein zweiſtockiges Haus bauen wollte. Den ganzen Tag genoſſen wir der Ausſicht auf die ſchönen Gebirge von Sipapo, die in 81 km Ent- fernung gegen Nord-Nord-Weſt ſich hinbreiten. Die Vege- tation an den Ufern des Orinoko iſt hier ausnehmend mannig- faltig; Baumfarne kommen von den Bergen herunter und miſchen ſich unter die Palmen in der Niederung. Wir über- nachteten auf der Inſel Miniſi und langten, nachdem wir an den Mündungen der kleinen Flüſſe Quejanuma, Ubua und Maſao vorübergekommen, am 27. Mai in San Fernando de Atabapo an. Vor einem Monat, auf dem Wege zum Rio
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0114"n="106"/>
denen, die von rechts her in dieſen majeſtätiſchen Strom ſich<lb/>
ergießen, auf dem Carony und dem Caura, dem Padamo und<lb/>
dem Ventuari, wird die europäiſche Kultur in das 215 000 <hirendition="#aq">qkm</hi><lb/>
große Wald- und Gebirgsland dringen, das der Orinoko gegen<lb/>
Nord, Weſt und Süd umſchlingt. Bereits haben Kapuziner<lb/>
aus Katalonien und Obſervanten aus Andaluſien und Va-<lb/>
lencia Niederlaſſungen in den Thälern des Carony und des<lb/>
Caura gegründet; es war natürlich, daß an die Nebenflüſſe<lb/>
des unteren Orinoko, als die der Küſte und dem angebauten<lb/>
Striche von Venezuela zunächſt liegenden, Miſſionare und mit<lb/>
ihnen einige Keime des geſellſchaftlichen Lebens zuerſt kamen.<lb/>
Bereits im Jahre 1797 zählten die Niederlaſſungen der Ka-<lb/>
puziner am Carony 16 600 Indianer, die friedlich in Dörfern<lb/>
lebten. Am Rio Caura waren es zu jener Zeit unter der<lb/>
Obhut der Obſervanten, nach gleichfalls offiziellen Zählungen,<lb/>
nur 640. Dieſer Unterſchied rührt daher, daß die ſehr aus-<lb/>
gedehnten Weiden am Carony, Upatu und Cuyuni von vor-<lb/>
züglicher Güte ſind, und daß die Miſſionen der Kapuziner<lb/>
näher bei der Mündung des Orinoko und der Hauptſtadt<lb/>
von Guyana liegen, aber auch vom inneren Getriebe der Ver-<lb/>
waltung, von der induſtriellen Rührigkeit und dem Handels-<lb/>
geiſte der kataloniſchen Mönche. Dem Carony und Caura,<lb/>
die gegen Nord fließen, entſprechen zwei große Nebenflüſſe<lb/>
des oberen Orinoko, die gegen Süd herunterkommen, der<lb/>
Padamo und der Ventuari. Bis jetzt ſteht an ihren Ufern<lb/>
kein Dorf, und doch bieten ſie für Ackerbau und Viehzucht<lb/>
günſtige Verhältniſſe, wie man ſie im Thale des großen<lb/>
Stromes, in den ſie ſich ergießen, vergeblich ſuchen würde.</p><lb/><p>Wir brachen am 26. Mai morgens vom kleinen Dorfe<lb/>
Santa Barbara auf, wo wir mehrere Indianer aus Esmeralda<lb/>
getroffen hatten, die der Miſſionär zu ihrem großen Verdruß<lb/>
hatte kommen laſſen, weil er ſich ein zweiſtockiges Haus<lb/>
bauen wollte. Den ganzen Tag genoſſen wir der Ausſicht<lb/>
auf die ſchönen Gebirge von Sipapo, die in 81 <hirendition="#aq">km</hi> Ent-<lb/>
fernung gegen Nord-Nord-Weſt ſich hinbreiten. Die Vege-<lb/>
tation an den Ufern des Orinoko iſt hier ausnehmend mannig-<lb/>
faltig; Baumfarne kommen von den Bergen herunter und<lb/>
miſchen ſich unter die Palmen in der Niederung. Wir über-<lb/>
nachteten auf der Inſel Miniſi und langten, nachdem wir an<lb/>
den Mündungen der kleinen Flüſſe Quejanuma, Ubua und<lb/>
Maſao vorübergekommen, am 27. Mai in San Fernando de<lb/>
Atabapo an. Vor einem Monat, auf dem Wege zum Rio<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[106/0114]
denen, die von rechts her in dieſen majeſtätiſchen Strom ſich
ergießen, auf dem Carony und dem Caura, dem Padamo und
dem Ventuari, wird die europäiſche Kultur in das 215 000 qkm
große Wald- und Gebirgsland dringen, das der Orinoko gegen
Nord, Weſt und Süd umſchlingt. Bereits haben Kapuziner
aus Katalonien und Obſervanten aus Andaluſien und Va-
lencia Niederlaſſungen in den Thälern des Carony und des
Caura gegründet; es war natürlich, daß an die Nebenflüſſe
des unteren Orinoko, als die der Küſte und dem angebauten
Striche von Venezuela zunächſt liegenden, Miſſionare und mit
ihnen einige Keime des geſellſchaftlichen Lebens zuerſt kamen.
Bereits im Jahre 1797 zählten die Niederlaſſungen der Ka-
puziner am Carony 16 600 Indianer, die friedlich in Dörfern
lebten. Am Rio Caura waren es zu jener Zeit unter der
Obhut der Obſervanten, nach gleichfalls offiziellen Zählungen,
nur 640. Dieſer Unterſchied rührt daher, daß die ſehr aus-
gedehnten Weiden am Carony, Upatu und Cuyuni von vor-
züglicher Güte ſind, und daß die Miſſionen der Kapuziner
näher bei der Mündung des Orinoko und der Hauptſtadt
von Guyana liegen, aber auch vom inneren Getriebe der Ver-
waltung, von der induſtriellen Rührigkeit und dem Handels-
geiſte der kataloniſchen Mönche. Dem Carony und Caura,
die gegen Nord fließen, entſprechen zwei große Nebenflüſſe
des oberen Orinoko, die gegen Süd herunterkommen, der
Padamo und der Ventuari. Bis jetzt ſteht an ihren Ufern
kein Dorf, und doch bieten ſie für Ackerbau und Viehzucht
günſtige Verhältniſſe, wie man ſie im Thale des großen
Stromes, in den ſie ſich ergießen, vergeblich ſuchen würde.
Wir brachen am 26. Mai morgens vom kleinen Dorfe
Santa Barbara auf, wo wir mehrere Indianer aus Esmeralda
getroffen hatten, die der Miſſionär zu ihrem großen Verdruß
hatte kommen laſſen, weil er ſich ein zweiſtockiges Haus
bauen wollte. Den ganzen Tag genoſſen wir der Ausſicht
auf die ſchönen Gebirge von Sipapo, die in 81 km Ent-
fernung gegen Nord-Nord-Weſt ſich hinbreiten. Die Vege-
tation an den Ufern des Orinoko iſt hier ausnehmend mannig-
faltig; Baumfarne kommen von den Bergen herunter und
miſchen ſich unter die Palmen in der Niederung. Wir über-
nachteten auf der Inſel Miniſi und langten, nachdem wir an
den Mündungen der kleinen Flüſſe Quejanuma, Ubua und
Maſao vorübergekommen, am 27. Mai in San Fernando de
Atabapo an. Vor einem Monat, auf dem Wege zum Rio
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/114>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.