Negro, hatten wir im selben Hause des Präsidenten der Missionen gewohnt. Wir waren damals gegen Süd., den Atabapo und Temi hinaufgefahren; jetzt kamen wir von West her nach einem weiten Umwege über den Cassiquiare und den oberen Orinoko zurück. Während unserer langen Abwesenheit waren dem Präsidenten der Missionen über den eigentlichen Zweck unserer Reise, über mein Verhältnis zu den Mitgliedern des hohen Klerus in Spanien, über die Kenntnis des Zustandes der Missionen, die ich mir verschafft, bedeu- tende Bedenken aufgestiegen. Bei unserem Aufbruche nach Angostura, der Hauptstadt von Guyana, drang er in mich, ihm ein Schreiben zu hinterlassen, in dem ich bezeugte, daß ich die christlichen Niederlassungen am Orinoko in guter Ord- nung angetroffen, und daß die Eingeborenen im allgemeinen milde behandelt würden. Diesem Ansinnen des Superiors lag gewiß ein sehr löblicher Eifer für das Beste seines Or- dens zu Grunde, nichtsdestoweniger setzte es mich in Ver- legenheit. Ich erwiderte, das Zeugnis eines im Schoße der reformierten Kirche geborenen Reisenden könne in dem end- losen Streite, in dem fast überall in der Neuen Welt welt- liche und geistliche Macht miteinander liegen, doch wohl von keinem großen Gewichte sein. Ich gab ihm zu verstehen, da ich 900 km von der Küste, mitten in den Missionen und, wie die Cumaner boshaft sagen, en el poder de los frayles (in der Gewalt der Mönche) sei, möchte das Schreiben, das wir am Ufer des Atabapo miteinander abfaßten, wohl schwerlich als ein ganz freier Willensakt von meiner Seite angesehen werden. Der Gedanke, daß er einen Calvinisten gastfreundlich aufgenommen, erschreckte den Präsidenten nicht. Ich glaube allerdings, daß man vor meiner Ankunft schwer- lich je einen in den Missionen des heiligen Franziskus ge- sehen hat; aber Unduldsamkeit kann man den Missionären in Amerika nicht zur Last legen. Die Ketzereien des alten Eu- ropa machen ihnen nicht zu schaffen, es müßte denn an den Grenzen von Holländisch-Guyana sein, wo sich die Prädikanten auch mit dem Missionswesen abgeben. Der Präsident bestand nicht weiter auf der Schrift, die ich hätte unterzeichnen sollen, und wir benutzten die wenigen Augenblicke, die wir noch bei- sammen waren, um den Zustand des Landes, und ob Aus- sicht sei, die Indianer an den Segnungen der Kultur teil- nehmen zu lassen, freimütig zu besprechen. Ich sprach mich stark darüber aus, wie viel Schaden die Entradas, die feind-
Negro, hatten wir im ſelben Hauſe des Präſidenten der Miſſionen gewohnt. Wir waren damals gegen Süd., den Atabapo und Temi hinaufgefahren; jetzt kamen wir von Weſt her nach einem weiten Umwege über den Caſſiquiare und den oberen Orinoko zurück. Während unſerer langen Abweſenheit waren dem Präſidenten der Miſſionen über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, über mein Verhältnis zu den Mitgliedern des hohen Klerus in Spanien, über die Kenntnis des Zuſtandes der Miſſionen, die ich mir verſchafft, bedeu- tende Bedenken aufgeſtiegen. Bei unſerem Aufbruche nach Angoſtura, der Hauptſtadt von Guyana, drang er in mich, ihm ein Schreiben zu hinterlaſſen, in dem ich bezeugte, daß ich die chriſtlichen Niederlaſſungen am Orinoko in guter Ord- nung angetroffen, und daß die Eingeborenen im allgemeinen milde behandelt würden. Dieſem Anſinnen des Superiors lag gewiß ein ſehr löblicher Eifer für das Beſte ſeines Or- dens zu Grunde, nichtsdeſtoweniger ſetzte es mich in Ver- legenheit. Ich erwiderte, das Zeugnis eines im Schoße der reformierten Kirche geborenen Reiſenden könne in dem end- loſen Streite, in dem faſt überall in der Neuen Welt welt- liche und geiſtliche Macht miteinander liegen, doch wohl von keinem großen Gewichte ſein. Ich gab ihm zu verſtehen, da ich 900 km von der Küſte, mitten in den Miſſionen und, wie die Cumaner boshaft ſagen, en el poder de los frayles (in der Gewalt der Mönche) ſei, möchte das Schreiben, das wir am Ufer des Atabapo miteinander abfaßten, wohl ſchwerlich als ein ganz freier Willensakt von meiner Seite angeſehen werden. Der Gedanke, daß er einen Calviniſten gaſtfreundlich aufgenommen, erſchreckte den Präſidenten nicht. Ich glaube allerdings, daß man vor meiner Ankunft ſchwer- lich je einen in den Miſſionen des heiligen Franziskus ge- ſehen hat; aber Unduldſamkeit kann man den Miſſionären in Amerika nicht zur Laſt legen. Die Ketzereien des alten Eu- ropa machen ihnen nicht zu ſchaffen, es müßte denn an den Grenzen von Holländiſch-Guyana ſein, wo ſich die Prädikanten auch mit dem Miſſionsweſen abgeben. Der Präſident beſtand nicht weiter auf der Schrift, die ich hätte unterzeichnen ſollen, und wir benutzten die wenigen Augenblicke, die wir noch bei- ſammen waren, um den Zuſtand des Landes, und ob Aus- ſicht ſei, die Indianer an den Segnungen der Kultur teil- nehmen zu laſſen, freimütig zu beſprechen. Ich ſprach mich ſtark darüber aus, wie viel Schaden die Entradas, die feind-
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Negro, hatten wir im ſelben Hauſe des Präſidenten der
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Weſt her nach einem weiten Umwege über den Caſſiquiare
und den oberen Orinoko zurück. Während unſerer langen
Abweſenheit waren dem Präſidenten der Miſſionen über den
eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, über mein Verhältnis zu den
Mitgliedern des hohen Klerus in Spanien, über die Kenntnis
des Zuſtandes der Miſſionen, die ich mir verſchafft, bedeu-
tende Bedenken aufgeſtiegen. Bei unſerem Aufbruche nach
Angoſtura, der Hauptſtadt von Guyana, drang er in mich,
ihm ein Schreiben zu hinterlaſſen, in dem ich bezeugte, daß
ich die chriſtlichen Niederlaſſungen am Orinoko in guter Ord-
nung angetroffen, und daß die Eingeborenen im allgemeinen
milde behandelt würden. Dieſem Anſinnen des Superiors
lag gewiß ein ſehr löblicher Eifer für das Beſte ſeines Or-
dens zu Grunde, nichtsdeſtoweniger ſetzte es mich in Ver-
legenheit. Ich erwiderte, das Zeugnis eines im Schoße der
reformierten Kirche geborenen Reiſenden könne in dem end-
loſen Streite, in dem faſt überall in der Neuen Welt welt-
liche und geiſtliche Macht miteinander liegen, doch wohl von
keinem großen Gewichte ſein. Ich gab ihm zu verſtehen, da
ich 900 km von der Küſte, mitten in den Miſſionen und,
wie die Cumaner boshaft ſagen, en el poder de los frayles
(in der Gewalt der Mönche) ſei, möchte das Schreiben, das
wir am Ufer des Atabapo miteinander abfaßten, wohl
ſchwerlich als ein ganz freier Willensakt von meiner Seite
angeſehen werden. Der Gedanke, daß er einen Calviniſten
gaſtfreundlich aufgenommen, erſchreckte den Präſidenten nicht.
Ich glaube allerdings, daß man vor meiner Ankunft ſchwer-
lich je einen in den Miſſionen des heiligen Franziskus ge-
ſehen hat; aber Unduldſamkeit kann man den Miſſionären in
Amerika nicht zur Laſt legen. Die Ketzereien des alten Eu-
ropa machen ihnen nicht zu ſchaffen, es müßte denn an den
Grenzen von Holländiſch-Guyana ſein, wo ſich die Prädikanten
auch mit dem Miſſionsweſen abgeben. Der Präſident beſtand
nicht weiter auf der Schrift, die ich hätte unterzeichnen ſollen,
und wir benutzten die wenigen Augenblicke, die wir noch bei-
ſammen waren, um den Zuſtand des Landes, und ob Aus-
ſicht ſei, die Indianer an den Segnungen der Kultur teil-
nehmen zu laſſen, freimütig zu beſprechen. Ich ſprach mich
ſtark darüber aus, wie viel Schaden die Entradas, die feind-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/115>, abgerufen am 25.05.2024.
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