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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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die Frage auf, ob nicht der Gebrauch des Ampo (des java-
nischen Thones) dadurch gute Dienste leisten könnte, daß er
augenblicklich den Hunger beschwichtigt, wenn man keine Nah-
rungsmittel hat oder zu ungesunden, schädlichen, wenn auch
organischen Substanzen greifen müßte. Ich glaube, bei Ver-
suchen über die Folgen langer Entziehung der Nahrung würde
sich zeigen, daß ein Tier, das man (nach der Art der Oto-
maken) Thon verschlucken ließe, weniger zu leiden hätte als
ein anderes, in dessen Magen man gar keine Nahrung brächte.
Ein italienischer Physiologe hebt hervor, wie wenig phosphor-
saure Kalk- und Bittererde, Kieselerde, Schwefel, Natron,
Fluor, Eisen und Mangan, und dagegen wie viel Kohlen-
säure, Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff in den festen und
flüssigen Teilen des menschlichen Körpers enthalten sei, und
fragt, ob die Atmung nicht als ein fortwährender Er-
nährungsakt
zu betrachten sei, während der Verdauungs-
apparat mit Lehm gefüllt ist? Die chemische Analyse der
eingeatmeten und der ausgeatmeten Luft spricht nicht für diese
Annahme. Der Verlust einer sehr kleinen Menge Stickstoff
ist schwer zu ermitteln, und es ist anzunehmen, daß sich die
Funktion des Atmens im allgemeinen darauf beschränkt, Kohlen-
stoff und Wasserstoff dem Körper zu entziehen.

Ein befeuchtetes Gemisch von phosphorsaurem und kohlen-
saurem Kalk kann nicht nährend sein, wie gleichfalls stickstoff-
lose, aber dem organischen Reiche angehörende Substanzen
(Zucker, Gummi, Stärkemehl). Unsere Verdauungsapparate
sind gleichsam galvanische Säulen, die nicht alle Substanzen
zerlegen. Die Assimilation hört auf, nicht allein weil die
Stoffe, die in den Magen gelangen, keine Elemente enthalten,
die mit denen, aus welchen der menschliche Körper besteht,
übereinkommen, sondern auch, weil die Verdauung (die chemische
Zersetzung) nicht alle Verbindungen ohne Unterschied in ihren
Bereich zieht. Beschäftigt man sich übrigens mit solchen all-
gemeinen physiologischen Problemen, so fragt man sich unwill-
kürlich, wie es mit der Gesellschaft, oder vielmehr mit dem
Menschengeschlechte stünde, wenn der Mensch keine Produkte
der Organisation und der Lebenskraft als Nahrungsmittel
nötig hätte. Keine Gewöhnung kann die Art und Weise der
Ernährung wesentlich abändern. Wir werden niemals Erde
verdauen und assimilieren lernen; seit aber Gay-Lussacs und
Thenards wichtige Forschungen uns belehrt haben, daß das
härteste Holz und das Stärkemehl sich nur dadurch unter-

die Frage auf, ob nicht der Gebrauch des Ampo (des java-
niſchen Thones) dadurch gute Dienſte leiſten könnte, daß er
augenblicklich den Hunger beſchwichtigt, wenn man keine Nah-
rungsmittel hat oder zu ungeſunden, ſchädlichen, wenn auch
organiſchen Subſtanzen greifen müßte. Ich glaube, bei Ver-
ſuchen über die Folgen langer Entziehung der Nahrung würde
ſich zeigen, daß ein Tier, das man (nach der Art der Oto-
maken) Thon verſchlucken ließe, weniger zu leiden hätte als
ein anderes, in deſſen Magen man gar keine Nahrung brächte.
Ein italieniſcher Phyſiologe hebt hervor, wie wenig phosphor-
ſaure Kalk- und Bittererde, Kieſelerde, Schwefel, Natron,
Fluor, Eiſen und Mangan, und dagegen wie viel Kohlen-
ſäure, Sauerſtoff, Stickſtoff und Waſſerſtoff in den feſten und
flüſſigen Teilen des menſchlichen Körpers enthalten ſei, und
fragt, ob die Atmung nicht als ein fortwährender Er-
nährungsakt
zu betrachten ſei, während der Verdauungs-
apparat mit Lehm gefüllt iſt? Die chemiſche Analyſe der
eingeatmeten und der ausgeatmeten Luft ſpricht nicht für dieſe
Annahme. Der Verluſt einer ſehr kleinen Menge Stickſtoff
iſt ſchwer zu ermitteln, und es iſt anzunehmen, daß ſich die
Funktion des Atmens im allgemeinen darauf beſchränkt, Kohlen-
ſtoff und Waſſerſtoff dem Körper zu entziehen.

Ein befeuchtetes Gemiſch von phosphorſaurem und kohlen-
ſaurem Kalk kann nicht nährend ſein, wie gleichfalls ſtickſtoff-
loſe, aber dem organiſchen Reiche angehörende Subſtanzen
(Zucker, Gummi, Stärkemehl). Unſere Verdauungsapparate
ſind gleichſam galvaniſche Säulen, die nicht alle Subſtanzen
zerlegen. Die Aſſimilation hört auf, nicht allein weil die
Stoffe, die in den Magen gelangen, keine Elemente enthalten,
die mit denen, aus welchen der menſchliche Körper beſteht,
übereinkommen, ſondern auch, weil die Verdauung (die chemiſche
Zerſetzung) nicht alle Verbindungen ohne Unterſchied in ihren
Bereich zieht. Beſchäftigt man ſich übrigens mit ſolchen all-
gemeinen phyſiologiſchen Problemen, ſo fragt man ſich unwill-
kürlich, wie es mit der Geſellſchaft, oder vielmehr mit dem
Menſchengeſchlechte ſtünde, wenn der Menſch keine Produkte
der Organiſation und der Lebenskraft als Nahrungsmittel
nötig hätte. Keine Gewöhnung kann die Art und Weiſe der
Ernährung weſentlich abändern. Wir werden niemals Erde
verdauen und aſſimilieren lernen; ſeit aber Gay-Luſſacs und
Thenards wichtige Forſchungen uns belehrt haben, daß das
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[133/0141] die Frage auf, ob nicht der Gebrauch des Ampo (des java- niſchen Thones) dadurch gute Dienſte leiſten könnte, daß er augenblicklich den Hunger beſchwichtigt, wenn man keine Nah- rungsmittel hat oder zu ungeſunden, ſchädlichen, wenn auch organiſchen Subſtanzen greifen müßte. Ich glaube, bei Ver- ſuchen über die Folgen langer Entziehung der Nahrung würde ſich zeigen, daß ein Tier, das man (nach der Art der Oto- maken) Thon verſchlucken ließe, weniger zu leiden hätte als ein anderes, in deſſen Magen man gar keine Nahrung brächte. Ein italieniſcher Phyſiologe hebt hervor, wie wenig phosphor- ſaure Kalk- und Bittererde, Kieſelerde, Schwefel, Natron, Fluor, Eiſen und Mangan, und dagegen wie viel Kohlen- ſäure, Sauerſtoff, Stickſtoff und Waſſerſtoff in den feſten und flüſſigen Teilen des menſchlichen Körpers enthalten ſei, und fragt, ob die Atmung nicht als ein fortwährender Er- nährungsakt zu betrachten ſei, während der Verdauungs- apparat mit Lehm gefüllt iſt? Die chemiſche Analyſe der eingeatmeten und der ausgeatmeten Luft ſpricht nicht für dieſe Annahme. Der Verluſt einer ſehr kleinen Menge Stickſtoff iſt ſchwer zu ermitteln, und es iſt anzunehmen, daß ſich die Funktion des Atmens im allgemeinen darauf beſchränkt, Kohlen- ſtoff und Waſſerſtoff dem Körper zu entziehen. Ein befeuchtetes Gemiſch von phosphorſaurem und kohlen- ſaurem Kalk kann nicht nährend ſein, wie gleichfalls ſtickſtoff- loſe, aber dem organiſchen Reiche angehörende Subſtanzen (Zucker, Gummi, Stärkemehl). Unſere Verdauungsapparate ſind gleichſam galvaniſche Säulen, die nicht alle Subſtanzen zerlegen. Die Aſſimilation hört auf, nicht allein weil die Stoffe, die in den Magen gelangen, keine Elemente enthalten, die mit denen, aus welchen der menſchliche Körper beſteht, übereinkommen, ſondern auch, weil die Verdauung (die chemiſche Zerſetzung) nicht alle Verbindungen ohne Unterſchied in ihren Bereich zieht. Beſchäftigt man ſich übrigens mit ſolchen all- gemeinen phyſiologiſchen Problemen, ſo fragt man ſich unwill- kürlich, wie es mit der Geſellſchaft, oder vielmehr mit dem Menſchengeſchlechte ſtünde, wenn der Menſch keine Produkte der Organiſation und der Lebenskraft als Nahrungsmittel nötig hätte. Keine Gewöhnung kann die Art und Weiſe der Ernährung weſentlich abändern. Wir werden niemals Erde verdauen und aſſimilieren lernen; ſeit aber Gay-Luſſacs und Thenards wichtige Forſchungen uns belehrt haben, daß das härteſte Holz und das Stärkemehl ſich nur dadurch unter-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/141>, abgerufen am 26.05.2024.