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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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geborenen Maios und Auries genannt. Dieser Umstand
ist in mehr als einer Beziehung interessant. Was auch Pater
Gili sagen mag, es unterliegt keinem Zweifel, daß der Hund
in Südamerika einheimisch ist. Die verschiedenen indianischen
Sprachen haben Namen für das Tier, die nicht wohl von
europäischen Sprachen herkommen können. Das Wort Auri,
das Alonzo de Herrera vor dreihundert Jahren nannte, kommt
noch jetzt im Maypurischen vor. Die Hunde, welche wir am
Orinoko gesehen, mögen von denen abstammen, welche die
Spanier an die Küsten von Caracas gebracht; aber nichts-
destoweniger steht fest, daß es vor der Eroberung in Peru,
Neugranada und Guyana eine unseren Schäferhunden ähn-
liche Hunderasse gab. Der Allco der Eingeborenen in Peru,
und fast alle Hunde, die wir in den wildesten Strichen von
Südamerika angetroffen, bellen häufig; die ältesten Geschicht-
schreiber sprechen aber alle von stummen Hunden (Perros
mudos).
Es gibt noch dergleichen in Kanada, und, was mir
sehr zu beachten scheint, die stumme Spielart wurde in Mexiko
und am Orinoko vorzugsweise gegessen. Ein sehr unterrichteter
Reisender, Giesecke, der sechs Jahre in Grönland gelebt hat, ver-
sicherte mich, die Hunde der Eskimo, die beständig in freier
Luft sind und sich winters in den Schnee graben, bellen
auch nicht, sondern heulen wie die Wölfe. 1

Gegenwärtig ist der Gebrauch, Hundefleisch zu essen, am
Orinoko unbekannt; da aber diese Sitte im öftlichen Asien
ganz allgemein ist, scheint mir der Beweis, daß dieselbe früher
in den heißen Strichen von Guyana und auf der Hochebene
von Mexiko zu Hause war, von großem Belang für die
Völkergeschichte. Ich bemerke auch, daß auf den Grenzen der
Provinz Durango, am nördlichen Ende von Neuspanien, die
Komantschenindianer noch jetzt große Hunde, die sie auf ihren
Zügen begleiten, mit ihren Zelten aus Büffelfellen beladen.
Bekanntlich dient auch am Sklavensee und in Sibirien der
Hund gewöhnlich als Last- und Zugtier. Ich hebe solche
Züge von Uebereinstimmung in den Sitten der Völker ab-

1 Sie hocken im Kreise umher; zuerst heult einer allein und
dann fallen die anderen im selben Tone ein. Gerade so heulen die
Rudel von Aluaten, unter denen die Indianer den "Vorsänger"
herauskennen. In Mexiko wurde der stumme Hund (Techichi) ver-
schnitten, damit er fett werde, und dies mußte zur Veränderung
des Stimmorganes des Hundes beitragen.

geborenen Maios und Auries genannt. Dieſer Umſtand
iſt in mehr als einer Beziehung intereſſant. Was auch Pater
Gili ſagen mag, es unterliegt keinem Zweifel, daß der Hund
in Südamerika einheimiſch iſt. Die verſchiedenen indianiſchen
Sprachen haben Namen für das Tier, die nicht wohl von
europäiſchen Sprachen herkommen können. Das Wort Auri,
das Alonzo de Herrera vor dreihundert Jahren nannte, kommt
noch jetzt im Maypuriſchen vor. Die Hunde, welche wir am
Orinoko geſehen, mögen von denen abſtammen, welche die
Spanier an die Küſten von Caracas gebracht; aber nichts-
deſtoweniger ſteht feſt, daß es vor der Eroberung in Peru,
Neugranada und Guyana eine unſeren Schäferhunden ähn-
liche Hunderaſſe gab. Der Allco der Eingeborenen in Peru,
und faſt alle Hunde, die wir in den wildeſten Strichen von
Südamerika angetroffen, bellen häufig; die älteſten Geſchicht-
ſchreiber ſprechen aber alle von ſtummen Hunden (Perros
mudos).
Es gibt noch dergleichen in Kanada, und, was mir
ſehr zu beachten ſcheint, die ſtumme Spielart wurde in Mexiko
und am Orinoko vorzugsweiſe gegeſſen. Ein ſehr unterrichteter
Reiſender, Gieſecke, der ſechs Jahre in Grönland gelebt hat, ver-
ſicherte mich, die Hunde der Eskimo, die beſtändig in freier
Luft ſind und ſich winters in den Schnee graben, bellen
auch nicht, ſondern heulen wie die Wölfe. 1

Gegenwärtig iſt der Gebrauch, Hundefleiſch zu eſſen, am
Orinoko unbekannt; da aber dieſe Sitte im öftlichen Aſien
ganz allgemein iſt, ſcheint mir der Beweis, daß dieſelbe früher
in den heißen Strichen von Guyana und auf der Hochebene
von Mexiko zu Hauſe war, von großem Belang für die
Völkergeſchichte. Ich bemerke auch, daß auf den Grenzen der
Provinz Durango, am nördlichen Ende von Neuſpanien, die
Komantſchenindianer noch jetzt große Hunde, die ſie auf ihren
Zügen begleiten, mit ihren Zelten aus Büffelfellen beladen.
Bekanntlich dient auch am Sklavenſee und in Sibirien der
Hund gewöhnlich als Laſt- und Zugtier. Ich hebe ſolche
Züge von Uebereinſtimmung in den Sitten der Völker ab-

1 Sie hocken im Kreiſe umher; zuerſt heult einer allein und
dann fallen die anderen im ſelben Tone ein. Gerade ſo heulen die
Rudel von Aluaten, unter denen die Indianer den „Vorſänger“
herauskennen. In Mexiko wurde der ſtumme Hund (Techichi) ver-
ſchnitten, damit er fett werde, und dies mußte zur Veränderung
des Stimmorganes des Hundes beitragen.
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[139/0147] geborenen Maios und Auries genannt. Dieſer Umſtand iſt in mehr als einer Beziehung intereſſant. Was auch Pater Gili ſagen mag, es unterliegt keinem Zweifel, daß der Hund in Südamerika einheimiſch iſt. Die verſchiedenen indianiſchen Sprachen haben Namen für das Tier, die nicht wohl von europäiſchen Sprachen herkommen können. Das Wort Auri, das Alonzo de Herrera vor dreihundert Jahren nannte, kommt noch jetzt im Maypuriſchen vor. Die Hunde, welche wir am Orinoko geſehen, mögen von denen abſtammen, welche die Spanier an die Küſten von Caracas gebracht; aber nichts- deſtoweniger ſteht feſt, daß es vor der Eroberung in Peru, Neugranada und Guyana eine unſeren Schäferhunden ähn- liche Hunderaſſe gab. Der Allco der Eingeborenen in Peru, und faſt alle Hunde, die wir in den wildeſten Strichen von Südamerika angetroffen, bellen häufig; die älteſten Geſchicht- ſchreiber ſprechen aber alle von ſtummen Hunden (Perros mudos). Es gibt noch dergleichen in Kanada, und, was mir ſehr zu beachten ſcheint, die ſtumme Spielart wurde in Mexiko und am Orinoko vorzugsweiſe gegeſſen. Ein ſehr unterrichteter Reiſender, Gieſecke, der ſechs Jahre in Grönland gelebt hat, ver- ſicherte mich, die Hunde der Eskimo, die beſtändig in freier Luft ſind und ſich winters in den Schnee graben, bellen auch nicht, ſondern heulen wie die Wölfe. 1 Gegenwärtig iſt der Gebrauch, Hundefleiſch zu eſſen, am Orinoko unbekannt; da aber dieſe Sitte im öftlichen Aſien ganz allgemein iſt, ſcheint mir der Beweis, daß dieſelbe früher in den heißen Strichen von Guyana und auf der Hochebene von Mexiko zu Hauſe war, von großem Belang für die Völkergeſchichte. Ich bemerke auch, daß auf den Grenzen der Provinz Durango, am nördlichen Ende von Neuſpanien, die Komantſchenindianer noch jetzt große Hunde, die ſie auf ihren Zügen begleiten, mit ihren Zelten aus Büffelfellen beladen. Bekanntlich dient auch am Sklavenſee und in Sibirien der Hund gewöhnlich als Laſt- und Zugtier. Ich hebe ſolche Züge von Uebereinſtimmung in den Sitten der Völker ab- 1 Sie hocken im Kreiſe umher; zuerſt heult einer allein und dann fallen die anderen im ſelben Tone ein. Gerade ſo heulen die Rudel von Aluaten, unter denen die Indianer den „Vorſänger“ herauskennen. In Mexiko wurde der ſtumme Hund (Techichi) ver- ſchnitten, damit er fett werde, und dies mußte zur Veränderung des Stimmorganes des Hundes beitragen.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/147>, abgerufen am 18.05.2024.