Reisen gemacht hat, wohl bekannt sind. Sich wieder im Schoße der Kultur zu wissen, ist ein großer Genuß, aber er hält nicht lange an, wenn man für die Wunder der Natur im heißen Erdstrich ein lebendiges Gefühl hat. Die überstan- denen Beschwerden sind bald vergessen, und kaum ist man auf der Küste, auf dem von den spanischen Kolonisten bewohnten Boden, so entwirft man den Plan, wieder ins Binnenland zu gehen.
Ein schlimmer Umstand nötigte uns, einen ganzen Monat in Angostura zu verweilen. In den ersten Tagen nach un- serer Ankunft fühlten wir uns matt und schwach, aber voll- kommen gesund. Bonpland fing an, die wenigen Pflanzen zu untersuchen, welche er vor den Wirkungen des feuchten Klimas hatte schützen können; ich war beschäftigt, Länge und Breite der Hauptstadt 1 zu bestimmen und die Inklination der Magnetnadel zu beobachten. Aber nicht lange, so wurden wir in der Arbeit unterbrochen; fast am selben Tage befiel uns eine Krankheit, die bei meinem Reisegefährten den Charakter eines ataktischen Fiebers annahm. Die Luft war zur Zeit in Angostura vollkommen gesund, und da sich bei dem ein- zigen Diener, den wir von Cumana mitgebracht, die Vor- boten desselben Uebels einstellten, so zweifelte unsere Um- gebung, von der wir aufs sorgfältigste gepflegt wurden, nicht daran, daß wir den Keim des Typhus aus den feuchten Wäl- dern am Cassiquiare mitgebracht. Es kommt häufig vor, daß sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst dann äußern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeit- lang die Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben. Da unser Diener dem heftigen Regen weit mehr als wir ausgesetzt gewesen war, entwickelte sich die Krankheit bei ihm furchtbar rasch. Seine Kräfte lagen so danieder, daß man uns am neunten Tage seinen Tod meldete. Es war aber nur eine mehrstündige Ohnmacht, auf die eine heilsame Krise ein- trat. Zur selben Zeit wurde auch ich von einem sehr hef- tigen Fieber befallen; man gab mir mitten im Anfall ein Gemisch von Honig und Extrakt der China vom Rio Carony
1 Die Hauptkirche von Santo Tome de la Nueva Guyana, gemeiniglich Angostura oder der Engpaß genannt, liegt nach meinen Beobachtungen unter 8° 8' 11" der Breite und 66° 15' 21" der Länge.
Reiſen gemacht hat, wohl bekannt ſind. Sich wieder im Schoße der Kultur zu wiſſen, iſt ein großer Genuß, aber er hält nicht lange an, wenn man für die Wunder der Natur im heißen Erdſtrich ein lebendiges Gefühl hat. Die überſtan- denen Beſchwerden ſind bald vergeſſen, und kaum iſt man auf der Küſte, auf dem von den ſpaniſchen Koloniſten bewohnten Boden, ſo entwirft man den Plan, wieder ins Binnenland zu gehen.
Ein ſchlimmer Umſtand nötigte uns, einen ganzen Monat in Angoſtura zu verweilen. In den erſten Tagen nach un- ſerer Ankunft fühlten wir uns matt und ſchwach, aber voll- kommen geſund. Bonpland fing an, die wenigen Pflanzen zu unterſuchen, welche er vor den Wirkungen des feuchten Klimas hatte ſchützen können; ich war beſchäftigt, Länge und Breite der Hauptſtadt 1 zu beſtimmen und die Inklination der Magnetnadel zu beobachten. Aber nicht lange, ſo wurden wir in der Arbeit unterbrochen; faſt am ſelben Tage befiel uns eine Krankheit, die bei meinem Reiſegefährten den Charakter eines ataktiſchen Fiebers annahm. Die Luft war zur Zeit in Angoſtura vollkommen geſund, und da ſich bei dem ein- zigen Diener, den wir von Cumana mitgebracht, die Vor- boten desſelben Uebels einſtellten, ſo zweifelte unſere Um- gebung, von der wir aufs ſorgfältigſte gepflegt wurden, nicht daran, daß wir den Keim des Typhus aus den feuchten Wäl- dern am Caſſiquiare mitgebracht. Es kommt häufig vor, daß ſich bei Reiſenden die Folgen der Miasmen erſt dann äußern, wenn ſie wieder in reinerer Luft ſind und ſich zu erholen anfangen. Eine gewiſſe geiſtige Anſpannung kann eine Zeit- lang die Wirkung krankmachender Urſachen hinausſchieben. Da unſer Diener dem heftigen Regen weit mehr als wir ausgeſetzt geweſen war, entwickelte ſich die Krankheit bei ihm furchtbar raſch. Seine Kräfte lagen ſo danieder, daß man uns am neunten Tage ſeinen Tod meldete. Es war aber nur eine mehrſtündige Ohnmacht, auf die eine heilſame Kriſe ein- trat. Zur ſelben Zeit wurde auch ich von einem ſehr hef- tigen Fieber befallen; man gab mir mitten im Anfall ein Gemiſch von Honig und Extrakt der China vom Rio Carony
1 Die Hauptkirche von Santo Tome de la Nueva Guyana, gemeiniglich Angoſtura oder der Engpaß genannt, liegt nach meinen Beobachtungen unter 8° 8′ 11″ der Breite und 66° 15′ 21″ der Länge.
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Reiſen gemacht hat, wohl bekannt ſind. Sich wieder im
Schoße der Kultur zu wiſſen, iſt ein großer Genuß, aber er
hält nicht lange an, wenn man für die Wunder der Natur
im heißen Erdſtrich ein lebendiges Gefühl hat. Die überſtan-
denen Beſchwerden ſind bald vergeſſen, und kaum iſt man auf
der Küſte, auf dem von den ſpaniſchen Koloniſten bewohnten
Boden, ſo entwirft man den Plan, wieder ins Binnenland
zu gehen.
Ein ſchlimmer Umſtand nötigte uns, einen ganzen Monat
in Angoſtura zu verweilen. In den erſten Tagen nach un-
ſerer Ankunft fühlten wir uns matt und ſchwach, aber voll-
kommen geſund. Bonpland fing an, die wenigen Pflanzen
zu unterſuchen, welche er vor den Wirkungen des feuchten
Klimas hatte ſchützen können; ich war beſchäftigt, Länge und
Breite der Hauptſtadt 1 zu beſtimmen und die Inklination der
Magnetnadel zu beobachten. Aber nicht lange, ſo wurden wir
in der Arbeit unterbrochen; faſt am ſelben Tage befiel uns
eine Krankheit, die bei meinem Reiſegefährten den Charakter
eines ataktiſchen Fiebers annahm. Die Luft war zur Zeit
in Angoſtura vollkommen geſund, und da ſich bei dem ein-
zigen Diener, den wir von Cumana mitgebracht, die Vor-
boten desſelben Uebels einſtellten, ſo zweifelte unſere Um-
gebung, von der wir aufs ſorgfältigſte gepflegt wurden, nicht
daran, daß wir den Keim des Typhus aus den feuchten Wäl-
dern am Caſſiquiare mitgebracht. Es kommt häufig vor, daß
ſich bei Reiſenden die Folgen der Miasmen erſt dann äußern,
wenn ſie wieder in reinerer Luft ſind und ſich zu erholen
anfangen. Eine gewiſſe geiſtige Anſpannung kann eine Zeit-
lang die Wirkung krankmachender Urſachen hinausſchieben.
Da unſer Diener dem heftigen Regen weit mehr als wir
ausgeſetzt geweſen war, entwickelte ſich die Krankheit bei ihm
furchtbar raſch. Seine Kräfte lagen ſo danieder, daß man
uns am neunten Tage ſeinen Tod meldete. Es war aber nur
eine mehrſtündige Ohnmacht, auf die eine heilſame Kriſe ein-
trat. Zur ſelben Zeit wurde auch ich von einem ſehr hef-
tigen Fieber befallen; man gab mir mitten im Anfall ein
Gemiſch von Honig und Extrakt der China vom Rio Carony
1 Die Hauptkirche von Santo Tome de la Nueva
Guyana, gemeiniglich Angoſtura oder der Engpaß genannt,
liegt nach meinen Beobachtungen unter 8° 8′ 11″ der Breite und
66° 15′ 21″ der Länge.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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