Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Linie ab, um zu bestimmen, wie viel Zeit schwimmende Körper Nur schwer vermöchte ich das angenehme Gefühl zu Linie ab, um zu beſtimmen, wie viel Zeit ſchwimmende Körper Nur ſchwer vermöchte ich das angenehme Gefühl zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0156" n="148"/> Linie ab, um zu beſtimmen, wie viel Zeit ſchwimmende Körper<lb/> brauchten, um eine bekannte Strecke zurückzulegen. Oberhalb<lb/> Alta Gracia, beim Einfluß des Rio Ujape, hatte ich 74 <hi rendition="#aq">cm</hi><lb/> in der Sekunde gefunden; zwiſchen Muitaco und Borbon war<lb/> die Geſchwindigkeit nur noch 54 <hi rendition="#aq">cm.</hi> Aus den barometriſchen<lb/> Meſſungen in den benachbarten Steppen geht hervor, um wie<lb/> wenig der Boden vom 69. Grade der Länge bis zur Oſtküſte<lb/> von Guyana fällt. Muitaco war der letzte Ort, wo wir am<lb/> Ufer des Orinoko die Nacht unter freiem Himmel zubrachten;<lb/> wir fuhren noch zwei Nächte durch, ehe wir unſer Reiſeziel,<lb/> Angoſtura, erreichten. Eine ſolche Fahrt auf dem Thalweg<lb/> eines großen Stroms iſt ungemein bequem: man hat nichts<lb/> zu fürchten außer den natürlichen Flößen aus Bäumen, die<lb/> der Fluß, wenn er austritt, von den Ufern abreißt. In dun-<lb/> keln Nächten ſcheitern die Pirogen an dieſen ſchwimmenden<lb/> Eilanden wie an Sandbänken.</p><lb/> <p>Nur ſchwer vermöchte ich das angenehme Gefühl zu<lb/> ſchildern, mit dem wir in Angoſtura, der Hauptſtadt von Spa-<lb/> niſch-Guyana, das Land betraten. Die Beſchwerden, denen<lb/> man in kleinen Fahrzeugen zur See unterworfen iſt, ſind<lb/> nichts gegen das, was man auszuſtehen hat, wenn man unter<lb/> einem glühenden Himmel, in einem Schwarm von Moskiten,<lb/> monatelang in einer Piroge liegen muß, in der man ſich<lb/> wegen ihrer Unſtätigkeit gar keine Bewegung machen kann.<lb/> Wir hatten in 75 Tagen auf den fünf großen Flüſſen Apure,<lb/> Orinoko, Atabapo, Rio Negro und Caſſiquiare 2250 <hi rendition="#aq">km</hi> zu-<lb/> rückgelegt, und auf dieſer ungeheuren Strecke nur ſehr wenige<lb/> Orte angetroffen. Obgleich nach unſerem Leben in den Wäl-<lb/> dern unſer Anzug nichts weniger als gewählt war, ſäumten<lb/> wir doch nicht, uns Don Felipe de Ynciarte, dem Statthalter<lb/> der Provinz Guyana, vorzuſtellen. Er nahm uns auf das<lb/> zuvorkommendſte auf und wies uns beim Sekretär der In-<lb/> tendanz unſere Wohnung an. Da wir aus faſt menſchen-<lb/> leeren Ländern kamen, fiel uns das Treiben in einer Stadt,<lb/> die keine 6000 Einwohner hat, ungemein auf. Wir ſtaunten<lb/> an, was Gewerbfleiß und Handel dem civiliſierten Menſchen<lb/> an Bequemlichkeit bieten; beſcheidene Wohnräume kamen uns<lb/> prachtvoll vor, wer uns anredete, erſchien uns geiſtreich. Nach<lb/> langer Entbehrung gewähren Kleinigkeiten hohen Genuß, und<lb/> mit unbeſchreiblicher Freude ſahen wir zum erſtenmal wieder<lb/> Weizenbrot auf der Tafel des Statthalters. Vielleicht brauchte<lb/> ich nicht bei Empfindungen zu verweilen, die jedem, der weite<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [148/0156]
Linie ab, um zu beſtimmen, wie viel Zeit ſchwimmende Körper
brauchten, um eine bekannte Strecke zurückzulegen. Oberhalb
Alta Gracia, beim Einfluß des Rio Ujape, hatte ich 74 cm
in der Sekunde gefunden; zwiſchen Muitaco und Borbon war
die Geſchwindigkeit nur noch 54 cm. Aus den barometriſchen
Meſſungen in den benachbarten Steppen geht hervor, um wie
wenig der Boden vom 69. Grade der Länge bis zur Oſtküſte
von Guyana fällt. Muitaco war der letzte Ort, wo wir am
Ufer des Orinoko die Nacht unter freiem Himmel zubrachten;
wir fuhren noch zwei Nächte durch, ehe wir unſer Reiſeziel,
Angoſtura, erreichten. Eine ſolche Fahrt auf dem Thalweg
eines großen Stroms iſt ungemein bequem: man hat nichts
zu fürchten außer den natürlichen Flößen aus Bäumen, die
der Fluß, wenn er austritt, von den Ufern abreißt. In dun-
keln Nächten ſcheitern die Pirogen an dieſen ſchwimmenden
Eilanden wie an Sandbänken.
Nur ſchwer vermöchte ich das angenehme Gefühl zu
ſchildern, mit dem wir in Angoſtura, der Hauptſtadt von Spa-
niſch-Guyana, das Land betraten. Die Beſchwerden, denen
man in kleinen Fahrzeugen zur See unterworfen iſt, ſind
nichts gegen das, was man auszuſtehen hat, wenn man unter
einem glühenden Himmel, in einem Schwarm von Moskiten,
monatelang in einer Piroge liegen muß, in der man ſich
wegen ihrer Unſtätigkeit gar keine Bewegung machen kann.
Wir hatten in 75 Tagen auf den fünf großen Flüſſen Apure,
Orinoko, Atabapo, Rio Negro und Caſſiquiare 2250 km zu-
rückgelegt, und auf dieſer ungeheuren Strecke nur ſehr wenige
Orte angetroffen. Obgleich nach unſerem Leben in den Wäl-
dern unſer Anzug nichts weniger als gewählt war, ſäumten
wir doch nicht, uns Don Felipe de Ynciarte, dem Statthalter
der Provinz Guyana, vorzuſtellen. Er nahm uns auf das
zuvorkommendſte auf und wies uns beim Sekretär der In-
tendanz unſere Wohnung an. Da wir aus faſt menſchen-
leeren Ländern kamen, fiel uns das Treiben in einer Stadt,
die keine 6000 Einwohner hat, ungemein auf. Wir ſtaunten
an, was Gewerbfleiß und Handel dem civiliſierten Menſchen
an Bequemlichkeit bieten; beſcheidene Wohnräume kamen uns
prachtvoll vor, wer uns anredete, erſchien uns geiſtreich. Nach
langer Entbehrung gewähren Kleinigkeiten hohen Genuß, und
mit unbeſchreiblicher Freude ſahen wir zum erſtenmal wieder
Weizenbrot auf der Tafel des Statthalters. Vielleicht brauchte
ich nicht bei Empfindungen zu verweilen, die jedem, der weite
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |