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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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erlegen sind. Eine Kugel dringt nicht durch ihre Haut, und
der Schuß ist nur dann tödlich, wenn er in den Rachen oder
in die Achselhöhle trifft. Die Indianer, welche sich selten der
Feuerwaffen bedienen, greifen das Krokodil mit Lanzen an,
sobald es an starken, spitzen eisernen Haken, auf die Fleisch ge-
steckt ist und die mit einer Kette an einem Baumstamm befestigt
sind, angebissen hat. Man geht dem Tier erst dann zu Leibe,
wenn es sich lange abgemüht hat, um vom Eisen, das ihm
in der oberen Kinnlade steckt, loszukommen. Es ist nicht
wahrscheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land
von Krokodilen zu säubern, da aus einem Labyrinth zahlloser
Flüsse Tag für Tag neue Schwärme vom Ostabhang der Anden
über den Meta und den Apure an die Küsten von Spanisch-
Guyana herabkommen. Mit dem Fortschritt der Kultur wird
man es nur dahin bringen, daß die Tiere scheuer werden und
leichter zu verscheuchen sind.

Man erzählt rührende Fälle, wo afrikanische Sklaven
ihr Leben aufs Spiel setzten, um ihren Herren das Leben zu
retten, die in den Rachen eines Krokodils geraten waren.
Vor wenigen Jahren ergriff zwischen Uritucu und der Mission
de abaxo in den Llanos von Calabozo ein Neger auf das
Geschrei seines Herrn ein langes Messer (machete) und
sprang in den Fluß. Er stach dem Tiere die Augen aus
und zwang es so, seine Beute fahren zu lassen und sich
unter dem Wasser zu verbergen. Der Sklave trug seinen
sterbenden Herrn ans Ufer, aber alle Versuche, ihn wieder zum
Leben zu bringen, blieben fruchtlos; er war ertrunken, denn
seine Wunden waren nicht tief. Das Krokodil scheint, wie
der Hund, beim Schwimmen die Kinnladen nicht fest zu
schließen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Kinder
des Verstorbenen, obgleich sie sehr arm waren, dem Sklaven
die Freiheit schenkten.

Für die Anwohner des Orinoko und seiner Nebenflüsse
sind die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, ein Gegenstand
der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Kroko-
dils beobachtet, wie der Torero die Sitten des Stieres.
Sie wissen die Bewegungen des Tieres, seine Angriffsmittel,
den Grad seiner Keckheit gleichsam voraus zu berechnen. Sehen
sie sich angegriffen, so greifen sie mit der Geistesgegenwart
und Entschlossenheit, die den Indianern, den Zambos, über-
haupt den Farbigen eigen sind, zu all den Mitteln, die man
sie von Kindheit auf kennen gelehrt. In Ländern, wo die

erlegen ſind. Eine Kugel dringt nicht durch ihre Haut, und
der Schuß iſt nur dann tödlich, wenn er in den Rachen oder
in die Achſelhöhle trifft. Die Indianer, welche ſich ſelten der
Feuerwaffen bedienen, greifen das Krokodil mit Lanzen an,
ſobald es an ſtarken, ſpitzen eiſernen Haken, auf die Fleiſch ge-
ſteckt iſt und die mit einer Kette an einem Baumſtamm befeſtigt
ſind, angebiſſen hat. Man geht dem Tier erſt dann zu Leibe,
wenn es ſich lange abgemüht hat, um vom Eiſen, das ihm
in der oberen Kinnlade ſteckt, loszukommen. Es iſt nicht
wahrſcheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land
von Krokodilen zu ſäubern, da aus einem Labyrinth zahlloſer
Flüſſe Tag für Tag neue Schwärme vom Oſtabhang der Anden
über den Meta und den Apure an die Küſten von Spaniſch-
Guyana herabkommen. Mit dem Fortſchritt der Kultur wird
man es nur dahin bringen, daß die Tiere ſcheuer werden und
leichter zu verſcheuchen ſind.

Man erzählt rührende Fälle, wo afrikaniſche Sklaven
ihr Leben aufs Spiel ſetzten, um ihren Herren das Leben zu
retten, die in den Rachen eines Krokodils geraten waren.
Vor wenigen Jahren ergriff zwiſchen Uritucu und der Miſſion
de abaxo in den Llanos von Calabozo ein Neger auf das
Geſchrei ſeines Herrn ein langes Meſſer (machete) und
ſprang in den Fluß. Er ſtach dem Tiere die Augen aus
und zwang es ſo, ſeine Beute fahren zu laſſen und ſich
unter dem Waſſer zu verbergen. Der Sklave trug ſeinen
ſterbenden Herrn ans Ufer, aber alle Verſuche, ihn wieder zum
Leben zu bringen, blieben fruchtlos; er war ertrunken, denn
ſeine Wunden waren nicht tief. Das Krokodil ſcheint, wie
der Hund, beim Schwimmen die Kinnladen nicht feſt zu
ſchließen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Kinder
des Verſtorbenen, obgleich ſie ſehr arm waren, dem Sklaven
die Freiheit ſchenkten.

Für die Anwohner des Orinoko und ſeiner Nebenflüſſe
ſind die Gefahren, denen ſie ausgeſetzt ſind, ein Gegenſtand
der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Kroko-
dils beobachtet, wie der Torero die Sitten des Stieres.
Sie wiſſen die Bewegungen des Tieres, ſeine Angriffsmittel,
den Grad ſeiner Keckheit gleichſam voraus zu berechnen. Sehen
ſie ſich angegriffen, ſo greifen ſie mit der Geiſtesgegenwart
und Entſchloſſenheit, die den Indianern, den Zambos, über-
haupt den Farbigen eigen ſind, zu all den Mitteln, die man
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[155/0163] erlegen ſind. Eine Kugel dringt nicht durch ihre Haut, und der Schuß iſt nur dann tödlich, wenn er in den Rachen oder in die Achſelhöhle trifft. Die Indianer, welche ſich ſelten der Feuerwaffen bedienen, greifen das Krokodil mit Lanzen an, ſobald es an ſtarken, ſpitzen eiſernen Haken, auf die Fleiſch ge- ſteckt iſt und die mit einer Kette an einem Baumſtamm befeſtigt ſind, angebiſſen hat. Man geht dem Tier erſt dann zu Leibe, wenn es ſich lange abgemüht hat, um vom Eiſen, das ihm in der oberen Kinnlade ſteckt, loszukommen. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu ſäubern, da aus einem Labyrinth zahlloſer Flüſſe Tag für Tag neue Schwärme vom Oſtabhang der Anden über den Meta und den Apure an die Küſten von Spaniſch- Guyana herabkommen. Mit dem Fortſchritt der Kultur wird man es nur dahin bringen, daß die Tiere ſcheuer werden und leichter zu verſcheuchen ſind. Man erzählt rührende Fälle, wo afrikaniſche Sklaven ihr Leben aufs Spiel ſetzten, um ihren Herren das Leben zu retten, die in den Rachen eines Krokodils geraten waren. Vor wenigen Jahren ergriff zwiſchen Uritucu und der Miſſion de abaxo in den Llanos von Calabozo ein Neger auf das Geſchrei ſeines Herrn ein langes Meſſer (machete) und ſprang in den Fluß. Er ſtach dem Tiere die Augen aus und zwang es ſo, ſeine Beute fahren zu laſſen und ſich unter dem Waſſer zu verbergen. Der Sklave trug ſeinen ſterbenden Herrn ans Ufer, aber alle Verſuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, blieben fruchtlos; er war ertrunken, denn ſeine Wunden waren nicht tief. Das Krokodil ſcheint, wie der Hund, beim Schwimmen die Kinnladen nicht feſt zu ſchließen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Kinder des Verſtorbenen, obgleich ſie ſehr arm waren, dem Sklaven die Freiheit ſchenkten. Für die Anwohner des Orinoko und ſeiner Nebenflüſſe ſind die Gefahren, denen ſie ausgeſetzt ſind, ein Gegenſtand der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Kroko- dils beobachtet, wie der Torero die Sitten des Stieres. Sie wiſſen die Bewegungen des Tieres, ſeine Angriffsmittel, den Grad ſeiner Keckheit gleichſam voraus zu berechnen. Sehen ſie ſich angegriffen, ſo greifen ſie mit der Geiſtesgegenwart und Entſchloſſenheit, die den Indianern, den Zambos, über- haupt den Farbigen eigen ſind, zu all den Mitteln, die man ſie von Kindheit auf kennen gelehrt. In Ländern, wo die

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/163>, abgerufen am 21.11.2024.